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Es warein verregneter, gar nicht sehr reinlichcrheiliger Abend, so daß
man sich's dreimal überlegte, bevor man aus dem Haus ging, als derLat-
schentritt um halb neun Uhr noch als der erste an den Stammtisch'» Feuchte
Nischen" kam. Er schimpfte die Zenzi wegen dem Sauwetter draußen,
wegen der Kälte des Bieres, der allzu großen Auswahl der Speisen-
karte und weil sie gerade das strich, was er hätte haben wollen. Voll Un-
willen zuzelte er an einer Wirdschinia, die wo natürlich nicht zog. Aber
der Latschentritt ist weiter nicht wichtig,- er heizt seine Maß mit dem Bier-
wärmer an, und wer das tut, der ist weniger wert als etn <palbetnnfer
— und ein Halbetrinker ist doch schon ein halberer Limonadlsäufer. Da
dreh' ich die Hand nicht um zwischen einem solchen und einem Berliner.

Es dauert nicht lang, da kommt der alte Riedesel, auch so eine ein-
schichtige Kreatur. Seine Eheliebste hat der Herr nach weisem Rat-
schluß zu sich genommen, seine Tochter hat er selber verflucht, wie sie
zum Brettl ging — und gesegnet, wie sie nachher einen Grafen zur
Ehe erwischte — und enterbt, wie der Gras doch bloß ein Hilfskellner
gewesen ist — und also ist er jetzt ganz allein. »Der Teufel soll des
Sauwetter holen!" grüßt er — „und die Feiertag derzua,- die Leit san
alle scho' ganz verdraht!" Der Latschentritt schmeißt zuftimmend seine
Wirdschinia weg. Keinen einzigen Abschluß hat er in den letzten drei
Tagen getätigt. Eine halbe Stunde lang nähren sie schweigend den
Wurm an ihren Herzen mit dunklem Bier. Bis der Kugler Franz
kommt und über das Wetter und den Weihnachtszauber klagt. Gegen
zehn Uhr kommt noch der Huber Toni mit dem Ramsauer Pauli an.
Der alte Raumsauer hat wie immer seinen Rucksack mit den Lieder-
bücheln dabei, aber den hätte er heut' schon daheim lassen können,
meinen die andern. Man unterkält sich unter Einschaltung großer
Pausen — über das Wetter und die sesttagnarrischen Leut. — „Der
Teufel soll s' holen!" schlägt der Latschentritt wiederum vor. »Seit
drei Tagen Hab' ich keinen Abschluß mehr getätigt!" Auf einmal zieht
der Ramsauer Pauli fünf Liederbücheln aus dem Rucksack und sagt:
»Wißts was - mir machen uns ah unser Weihnachten - g'rad' extra!
Jetzt singen mer die Heilige Nacht!" - »Geh'! Bist narrisch?" —
„Denhat's!" — Aber »G'rad'extra!" beharrte der Pauli. Und»G'rad'
extra!" ist ja doch schließlich ein Grund. Der Kugler Franz! verschwin-
det derweil in der Küche und kommt mit einem packl Stearinkerzen
zurück. Die werden mit ihrem eigenen weißen Blute auf den Maßkrug-
deckeln ausmontiert und leuchten so schön wie die Sternlein über der
heiligen Krippe. Bloß trinken kann man jetzt gerad' halt nicht,- sonst
fallen sie herunter und gehen aus.

,2hr spinnts komplett!" höhnt noch der Latschentritt - da breitet
aber schon der Pauli die Hände aus, nickt dreimal mit dem Kopfe und
fängt an: »Stiii — hil - le Naaacht-." Der Kugler am anderen

Tischeck sieht ihm scharf auf Hände und Mund und dirigiert sorgfältig
nach. Nur singt er etwas anders, als er dirigiert. „Hei-li —ge

Nacht-" hört man jetzt auch dem Riedesel seinen zerbrochenen

Baß — und das trotz dem Huber Toni seinem machtvollen Tenor.

»Aaa — les schläääst — aain - sam wacht-geh, sing mit, fade

Nocken!" Also singt in Gottes Namen auch der Latschentritt. Die
Zenzi sitzt an ihrer Anricht und faltet die Hände. Sie muß sich aber
bald in den Schurz schneuzen vor lauter Rührung.

„Zu schön, zu schön!" schluchzt die wackere Zenzi. »So auferbaulich
und erheblich! Gottogottogott!" — »No, warum heulst denn nachher,
wann's doch schön war?" fragt befriedigt der Kugler. Der dumme
Kerl! Weiß er denn nicht, daß einem das Herz weh tut, wenn etwas
gar so schön ist, und daß die Zenzl bei solchen Weihnachtsliedern
an ihren versehentlichen Buben, den Raverl, denken muß? »Wenn i
drandenk', daß er koan Batern hat, der arm' Kerl, und wie die andern
aufwachsen - dös tuat oan halt weh! Und is a so a schöner Schwoli
g'wesen, sei' Vater, und hat mir bei jeder Mahlzeit ewige Liab und
Treue g'schworen-und wia der arm'Bua kemma is, hat er st' druckt!"

Der Ricdejel putzt mit dem Taschenmesser am Docht seines Lichtls
herum und erklärt mit Rührung, das sei hart, das sei hart, und denkt
dabei an seine Frieda. Und der Pauli nickt melancholisch Iajajajaja.
— »Oh me!'Zenzl," sagt der Kugler und tut einen regelrechten Seufzer,
„bringst mir halt doch noch a Maß!" - „Mir aa!" ruft der Huber
Toni. »Aber daß d' mir net in mei' Bier einiwoanst! . . . Ma muaß
sei' Schicksal halt annehmen. Wia's kommt, so kimmt's. Denn der
Mensch denkt und Gott lenkt — basta." Aber der Huber ist gar kein
so kühler Philosoph, wie es jetzt scheinen möchte, und sobald die Zenzi
mit ihren Maßkrügen hinweggewallt ist, offenbart sich dies in den
Worten: »Meine Herrn! Weil mir jetzt g'rad' a so schön g'sungen
haben — und weil doch Weihnachten is und der kloane Bua hat
koan Vätern — also schlage ich vor, daß halt nachher mir a wengl

Vater spuin und a bisserl was
z'amm'steuern, wo er doch aa
nix dcrfür koh, daß er auf d'
Welt kemma is." - »Gut!
Sehr gut!" schreit einer voll
Bereitwilligkeit - und ob ihr's
glaubt oder nicht: es ist der
Latschentritt! Da nimmt der
Huber seinen Koks vom Haken
und sammelt mit Zureden und
Loben neun bare Mark für
das Kind.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Stammtisch sammelt für Xaverl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4143, S. 688

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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