DON CARLOS VON LINDENAU oder DER HYPNOTISIERTE LIEBHABER
Beinahe eine Familientragödie von Hans Bachwitz
er alte Herr Theodor W. Batz war nicht
nur ein Lebemann, sondern sah auch immer
noch so aus. Wenn man ihn den „Alten"
nannte, so wollte man damit weniger die
j Zahl seiner Jahre andeuten, als vielmehr
ein Unterscheidungsmerkmal zu seinem
Sohn schaffen, dem jungen Herrn Wolf-
gang Amadeus Bah. Dieser Wolfgang
Amadeus war die einzige Tatsache, die
daran erinnerte, daß der alte Bah einmal
verheiratet gewesen war. Die Ehe war übrigens nicht allzu glücklich
gewesen. Dagegen sprach einmal des alten Batzens Iunggesellen-
natur, die gerade kn der Ehe ihre vollen Schwingen entfaltete, und
weiterhin der Umstand, daß seine Frau eine geborene Chopin war.
Nicht als ob sie in direkter Linie, ohne umzusteigen, von dem be-
rühmten Musiker hergekommen wäre. Nein, sie war nur das Produkt
einer schmalspurigen Seitenliitie und in Bergedorf bei Hamburg ge-
boren, wo ihr Vater insbesondere mit getrocknetem Sesamöl in
Würfelform gehandelt und gewandelt hatte. Aber wie Gott manchmal
will, ein ganz kleines Tüpferl von des großen Ahnen unsterblichem
Blute hatte die geborene Chopin aus Bergedorf doch mit abbekommen,
und sie frönte zeitlebens einem starren Katholizismus und Phantasien
ttt Es-Dur und B-Moll. Offenbarte sich auch bei Wohltätigkeits-
festen und anderen wehrlosen Gelegenheiten als Virtuosin auf dem
Blütbnerflügel,und von ihr hatte es nun wieder Wolfgang Amadeus,
des alten Theodor W. Bah einziger Sohn, der im dritten Jahre der
elterlichen Ehe eines Wintermorgens gegen 4 Uhr das Nachtlicht der
Welt zu einer Zelt erblickte, wo sein Vater im Commerz-Club zu
Hamburg einen unerhörten Royal Flush in der Hand und 18600 Mark
im Debet hatte. So stand von Anfang an das Leben des jungen Batz
unterm Zeichen des Spiels in jeglicher Bedeutung.
Seine Mutter starb unerwartet ln seinem fünften Jahre an den
Folgen eines Krippenfestes, die in eine Lungenentzündung ausgeartet
waren. Der alte Bah erfuhr auch von diesem Familienereignis im
Commerz-Club zu Hamburg, als er grade Zero erlebte, und es schien,
als ob jeder Verlust innerhalb seiner Familie mit einem Gewinn
beim Spiel verknüpft sein sollte.
Denn auch der junge Wolfgang Amadeus Batz war ein Verlust.
Cr war in einer Art aus der Art geschlagen, daß es schon keine Art
mehr war. Mit achtzehn Jahren hatte er zwar das Abiturientenexamen,
aber noch kein einziges Liebesabenteuer bestanden. Mit einundzwanzig
Jahren war er Doktor der Musik und ließ eine Messe aufführen, von
der zwei Kritiker sehr lobend und — das machte den Erfolg — alle
andern sehr tadelnd sprachen. Auf der Börse nannte man nunmehr
den alten Herrn Theodor W Bah die heilige Cäcilie, weil diese die
Mutter der Musik gewesen sein soll, und das gab den Ausschlag. Herr
Dr. Wolfgang Amadeus Batz mußte den Flügel mit dem amerikani-
schen Drehsessel im Lhefbüro der Firma Th. W. Bah am Doven-
fleth vertauschen, und der alte Batz ging in seiner Rachsucht so weit,
daß er seinen Sohn im zarten Alter von dreiundzwanzig Jahren mit
Fräulein Evalice von Eccius verheiratete, einziger Tochter des ver-
blichenen Majors von Eccius, der durch sein militärisches Werk „War,
um ging der Weltkrieg verloren?" berühmt geworden ist. Auf diese
schicksalsschwangere Frage nämlich hatte v. Eccius auf 610 Seiten
und mit zahlreichen Illustrationen geantwortet: „Weil in der ersten
Marneschlacht das 3. Bataillon 532. Res.-Inf.-Rgts. nicht eingesetzt
wurde" / welches Fähnlein unter dem Befehl des Autors gestanden hatte.
Wider alles Erwarten marschierte die Ehe Batz gegen Eccius aus-
gezeichnet. Wolfgang Amadeus war verliebt in seine reizende Frau,
deren Grazie, Charme und Eleganz aus dem pastosen Hintergründe
des Bahschen Familienreichtums ihre gesellschaftliche Position unan-
tastbar machte, eine Position, die auch des künstlerischen Fundamentes
nicht entbehrte, weil man innerhalb der Senatorenkreise die Musik
Wolfgangs ernst nahm und im übrigen nicht zuhörte. Der alte Herr
hatte gegen die ästhetischen Neigungen seines Sohnes nichts eknzu-
wenden, da sie in bescheidenen Grenzen blieben und des Meisters
Beschäftigung mit Santos II. Sorte und Guatemala I nicht berührten.
In jener Zeit war Wolfgang Amadeus mit der Komposition seiner
Oper „Marienopfer" befaßt, und es mußte ein epochales Werk wer-
den, bestimmt, seinen Ruhm zu begründen und ihn auf immer auS
der banalen Welt der Konnossemente, Mäklerprovlstonen und Meta-
geschäste in die reinen Sphären des Parnasses zu erheben.
Hätte er nur die Möglichkeit gehabt, sich sechs Wochen ganz un-
gestört seiner Arbeit zu widmen! Aber da lag der Hase im Pfeffer
und das Kompott im Staube! Der alte Theodor W. Bah war durch
eine peinlich strenge Zeiteinteilung, die ihn bis 8 Uhr abends an die
Seite von Madame Ioujou Printemps fesselte und von da ab an die
Spieltische des Commerz-Clubs kettete, nicht in der Lage, den Geschäften
vorzustehen. Sein unseliger Sohn mußte deshalb von 10 Uhr mor-
gens bis 7 Uhr abends ängstlich darüber wachen, daß die große, von
Amsterdam aus betriebene Hausse in ostindischen Gewürzen am Hause
Th. W. Batz nicht spurlos vorübergehe. Infolgedessen ließ ihm der
Tag keine Minute für das Marienopfer, und seine junge Ehe ver-
langte für die übrige Zeit Dispositionen, die zwar auch unter dein
Lächeln der Musen standen, aber der strengen Feierlichkeit sakraler
Opernmusik nicht förderlich sein konnten.
Dr. Wolfgang Maria Bah, mütterlicherseits mit Chopin nicht un-
verwandt, geriet in ein düsteres Delirium künstlerischer Verzweiflung.
Es bestand, soweit Menschenmacht reichte, nicht die allermindeste Mög-
lichkeit, sich auf sechs Wochen in die Ode zu verkriechen, die nun einmal
die Welt der Genies ist. Ein mehrfach angesuchter Urlaub war vom
alten Bah gütig, aber entschieden verweigert worden. Eine täuschend
simulierte Influenza verfing nicht, denn sofort beorderte Batz Bater drei
strenge Karmeliterinncn, die abwechselnd amLager seinesSohnes wach-
ten und Rosenkränze murmelten. Wäre nun auch an sich diese Situation
geeignet gewesen, den Komponisten gehörig und speziell zu inspirieren,
so konnte er doch keine Note niederschreiben, weil er, in lauwarme Tücher
bis zur Nasenspitze gleich Tut-Anch-Amon eingewickelt, seine Gesund-
heit ausschwitzke, bis er nach drei Tagen, blaß, hinfällig und ausgeptimpt,
(Forts, folgt.)
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Beinahe eine Familientragödie von Hans Bachwitz
er alte Herr Theodor W. Batz war nicht
nur ein Lebemann, sondern sah auch immer
noch so aus. Wenn man ihn den „Alten"
nannte, so wollte man damit weniger die
j Zahl seiner Jahre andeuten, als vielmehr
ein Unterscheidungsmerkmal zu seinem
Sohn schaffen, dem jungen Herrn Wolf-
gang Amadeus Bah. Dieser Wolfgang
Amadeus war die einzige Tatsache, die
daran erinnerte, daß der alte Bah einmal
verheiratet gewesen war. Die Ehe war übrigens nicht allzu glücklich
gewesen. Dagegen sprach einmal des alten Batzens Iunggesellen-
natur, die gerade kn der Ehe ihre vollen Schwingen entfaltete, und
weiterhin der Umstand, daß seine Frau eine geborene Chopin war.
Nicht als ob sie in direkter Linie, ohne umzusteigen, von dem be-
rühmten Musiker hergekommen wäre. Nein, sie war nur das Produkt
einer schmalspurigen Seitenliitie und in Bergedorf bei Hamburg ge-
boren, wo ihr Vater insbesondere mit getrocknetem Sesamöl in
Würfelform gehandelt und gewandelt hatte. Aber wie Gott manchmal
will, ein ganz kleines Tüpferl von des großen Ahnen unsterblichem
Blute hatte die geborene Chopin aus Bergedorf doch mit abbekommen,
und sie frönte zeitlebens einem starren Katholizismus und Phantasien
ttt Es-Dur und B-Moll. Offenbarte sich auch bei Wohltätigkeits-
festen und anderen wehrlosen Gelegenheiten als Virtuosin auf dem
Blütbnerflügel,und von ihr hatte es nun wieder Wolfgang Amadeus,
des alten Theodor W. Bah einziger Sohn, der im dritten Jahre der
elterlichen Ehe eines Wintermorgens gegen 4 Uhr das Nachtlicht der
Welt zu einer Zelt erblickte, wo sein Vater im Commerz-Club zu
Hamburg einen unerhörten Royal Flush in der Hand und 18600 Mark
im Debet hatte. So stand von Anfang an das Leben des jungen Batz
unterm Zeichen des Spiels in jeglicher Bedeutung.
Seine Mutter starb unerwartet ln seinem fünften Jahre an den
Folgen eines Krippenfestes, die in eine Lungenentzündung ausgeartet
waren. Der alte Bah erfuhr auch von diesem Familienereignis im
Commerz-Club zu Hamburg, als er grade Zero erlebte, und es schien,
als ob jeder Verlust innerhalb seiner Familie mit einem Gewinn
beim Spiel verknüpft sein sollte.
Denn auch der junge Wolfgang Amadeus Batz war ein Verlust.
Cr war in einer Art aus der Art geschlagen, daß es schon keine Art
mehr war. Mit achtzehn Jahren hatte er zwar das Abiturientenexamen,
aber noch kein einziges Liebesabenteuer bestanden. Mit einundzwanzig
Jahren war er Doktor der Musik und ließ eine Messe aufführen, von
der zwei Kritiker sehr lobend und — das machte den Erfolg — alle
andern sehr tadelnd sprachen. Auf der Börse nannte man nunmehr
den alten Herrn Theodor W Bah die heilige Cäcilie, weil diese die
Mutter der Musik gewesen sein soll, und das gab den Ausschlag. Herr
Dr. Wolfgang Amadeus Batz mußte den Flügel mit dem amerikani-
schen Drehsessel im Lhefbüro der Firma Th. W. Bah am Doven-
fleth vertauschen, und der alte Batz ging in seiner Rachsucht so weit,
daß er seinen Sohn im zarten Alter von dreiundzwanzig Jahren mit
Fräulein Evalice von Eccius verheiratete, einziger Tochter des ver-
blichenen Majors von Eccius, der durch sein militärisches Werk „War,
um ging der Weltkrieg verloren?" berühmt geworden ist. Auf diese
schicksalsschwangere Frage nämlich hatte v. Eccius auf 610 Seiten
und mit zahlreichen Illustrationen geantwortet: „Weil in der ersten
Marneschlacht das 3. Bataillon 532. Res.-Inf.-Rgts. nicht eingesetzt
wurde" / welches Fähnlein unter dem Befehl des Autors gestanden hatte.
Wider alles Erwarten marschierte die Ehe Batz gegen Eccius aus-
gezeichnet. Wolfgang Amadeus war verliebt in seine reizende Frau,
deren Grazie, Charme und Eleganz aus dem pastosen Hintergründe
des Bahschen Familienreichtums ihre gesellschaftliche Position unan-
tastbar machte, eine Position, die auch des künstlerischen Fundamentes
nicht entbehrte, weil man innerhalb der Senatorenkreise die Musik
Wolfgangs ernst nahm und im übrigen nicht zuhörte. Der alte Herr
hatte gegen die ästhetischen Neigungen seines Sohnes nichts eknzu-
wenden, da sie in bescheidenen Grenzen blieben und des Meisters
Beschäftigung mit Santos II. Sorte und Guatemala I nicht berührten.
In jener Zeit war Wolfgang Amadeus mit der Komposition seiner
Oper „Marienopfer" befaßt, und es mußte ein epochales Werk wer-
den, bestimmt, seinen Ruhm zu begründen und ihn auf immer auS
der banalen Welt der Konnossemente, Mäklerprovlstonen und Meta-
geschäste in die reinen Sphären des Parnasses zu erheben.
Hätte er nur die Möglichkeit gehabt, sich sechs Wochen ganz un-
gestört seiner Arbeit zu widmen! Aber da lag der Hase im Pfeffer
und das Kompott im Staube! Der alte Theodor W. Bah war durch
eine peinlich strenge Zeiteinteilung, die ihn bis 8 Uhr abends an die
Seite von Madame Ioujou Printemps fesselte und von da ab an die
Spieltische des Commerz-Clubs kettete, nicht in der Lage, den Geschäften
vorzustehen. Sein unseliger Sohn mußte deshalb von 10 Uhr mor-
gens bis 7 Uhr abends ängstlich darüber wachen, daß die große, von
Amsterdam aus betriebene Hausse in ostindischen Gewürzen am Hause
Th. W. Batz nicht spurlos vorübergehe. Infolgedessen ließ ihm der
Tag keine Minute für das Marienopfer, und seine junge Ehe ver-
langte für die übrige Zeit Dispositionen, die zwar auch unter dein
Lächeln der Musen standen, aber der strengen Feierlichkeit sakraler
Opernmusik nicht förderlich sein konnten.
Dr. Wolfgang Maria Bah, mütterlicherseits mit Chopin nicht un-
verwandt, geriet in ein düsteres Delirium künstlerischer Verzweiflung.
Es bestand, soweit Menschenmacht reichte, nicht die allermindeste Mög-
lichkeit, sich auf sechs Wochen in die Ode zu verkriechen, die nun einmal
die Welt der Genies ist. Ein mehrfach angesuchter Urlaub war vom
alten Bah gütig, aber entschieden verweigert worden. Eine täuschend
simulierte Influenza verfing nicht, denn sofort beorderte Batz Bater drei
strenge Karmeliterinncn, die abwechselnd amLager seinesSohnes wach-
ten und Rosenkränze murmelten. Wäre nun auch an sich diese Situation
geeignet gewesen, den Komponisten gehörig und speziell zu inspirieren,
so konnte er doch keine Note niederschreiben, weil er, in lauwarme Tücher
bis zur Nasenspitze gleich Tut-Anch-Amon eingewickelt, seine Gesund-
heit ausschwitzke, bis er nach drei Tagen, blaß, hinfällig und ausgeptimpt,
(Forts, folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Don Carlos von Lindenau oder Der hypnotisierte Liebhaber"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4151, S. 96
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg