Vier Generationen fahren in den April
Von Paul Neu
Wir sind eine humorbegabte Fami-
lie. Mehrere von uns sind am 1. April
geboren, und mein Erbonkel ist sogar
am 1. April - in die Ehe getreten.
Man steht, mir geht vieles schief. Mein
Leben ist gewissermaßen eine schiefe
Ebene, auf der ich an den guten Ge-
legenheiten, meineWitze loszuwerden,
vorbeisause. „Redaktionsschluß!" ist
mir ein gewohntes, wenn auch nicht
lieb gewordenes Wort. „Redaktions-
schluß!" hieß es auch bei den „Flie-
genden Blättern", als ich mit diesen meinen
Erinnerungen kam. Na, eine Seite Hab' ich
den Herren abgerungen und kann loslegen.
Mein Urgroßpapa bekam alljährlich von
seiner Frau Eheliebsten an, ersten April ganz
heimlich einen Knoten ins Schnupftuch ge-
macht, und dann hatte sie mitsamt der Familie
und der liebe» Verwandtschaft bis ins dritte
Glied einen ganzen Tag lang einen unbändi-
gen Spaß, weil dem Herrn Papa absolüment
nicht einfallen konnte, was der Knopf bedeuten
sollte,- halbtot vor heimlichem Lachen fiel die
gute Frau eng umschlungen mit dem Herrn
Vetter Archibald mehrmals am
Tage in die Sofaecke und (Sakra-
ment, ich habe ja inir eine Seite zur
Verfügung).
Meinem Großvater ging es schon
weniger harmlos. Den schickte man
in die Apotheke mit der Bitte, er
sollte für 50 Pfennig Ibiclum (I bin
dumm) oder Oxclrachum (Ochs drah'
di um) holen. Durchs Ladenfenster
beobachtete inan den Effekt, der sich
dann auf der Straße und durchs
ganze Städtchen zu einer lautschal-
lenden Heiterkeitsorgie auswuchs. — Ach, das waren nette lind gemüt-
volle Zeiten,- meines Vaters erster April war nicht mehr so poetisch. El-
mar Kassenhalter bei Hutsche & Eo.
und hatte sich durch eisernen Fleiß und
stählerne Sparsamkeit ein Vermögen
erworben, das er in einer Schublade
seines Schreibtisches uitter der Kasse
seinesGeschäftshauses verbarg.Eines
Tages treten drei sehr elegante Kava-
liere zu ihm ins Büro, tragen spaß-
hafterweise Halbmasken,- Verbeu-
gung, treten vor, entnehmen ihren
Aktenmappen drei solide Revolver,
stellen dieselben exakt auf den Herrn
Papa ein,- einer lispelt: „Pardon,
mein Herr, ein kleiner Aprilscherz!
Wollen Sie uns, bttte,Ihre besseren,
leicht beweglichen Werte ausfolgen." Sache wickelt sich in charman-
tester Weise ab, Händedruck, Verbeugung, nochmalige Versicherung:
„Nur ein Aprilscherz!" Kavaliere fahren mit Auto weg - - - -
Dies geschah vor zwanzig Jahren,- der Herr Papa wartete ein, zwei
Stunden, immerhiil etwas befremdet, auf die Lösung des Scherzes,
dann ging er bekümincrten Herzens zu seinem Chef, die Sache zu melden.
Infolge dieses Geschehnisses machten Hutsche & Co. im nächsten Jahr
Konkurs, unter fachmännischer Anleitung meines Vaters: am 1. April:
Er ordnete die gesamte Konkursmasse in gefälliger Weise etwa in der
Art des Bildchens, so daß die Gläubiger, als sie zur Einstreichung der
Schulden kamen, eine wenn auch geringfügige, so dock apart arran-
gierte Konkursmasse fanden.
Das war damals! Heute ist man nicht mehr so poetisch, und es ist
nicht mehr möglich, mit so einfachen
Mitteln derart glänzende Wirkungen zu
erzielen. Der heutige Mensch, wenn er
sich nicht an und für sich schon für einen
Aprilnarren in Permanenz hält infolge
der Zeitereignisse überhaupt, oder weil
er auf die Aufwertung seiner soge-
nannten mündclsicheren Papiere oder
auf die Zuweisung einer Wohnung
durch das Wohnungsamt wartet, rea-
giert nur auf ganz grobe sensationelle Schcrzideen. - Heute geht man
mit einer, besser mehreren humorbegabten jungen Damen in eine Kon-
ditorei, bestellt eine Serie Schaumrollen (aber echte! Zuckerschaum
klebt zu sehr) und pustet den Inhalt der Rollen den fröhlich quie-
kenden Damen in die Front. Der Effekt ist fabelhaft. — Ich könnte
Ihnen noch eine ganze Menge sol-
cher modernen Scherze Hermalen, zum
Beispiel die totsichere Sache mit der
Handgranate oder den Bombenschlager
mit der Frau und dem Mann und dem
Niggerboxer-halt! Den Endeffekt
davon nehme ich als Schlußvignette,
wlmn ich Ihnen auch den ganzen Her-
gang der Sache leider nicht schildern
darf (Stimme der Redaktion im Tele-
phon: „Herr Neu! Das ist ja eine
Riesenschweinerei: Die Nummer ist
abgeschlossen, und Sie-■”)
167
Von Paul Neu
Wir sind eine humorbegabte Fami-
lie. Mehrere von uns sind am 1. April
geboren, und mein Erbonkel ist sogar
am 1. April - in die Ehe getreten.
Man steht, mir geht vieles schief. Mein
Leben ist gewissermaßen eine schiefe
Ebene, auf der ich an den guten Ge-
legenheiten, meineWitze loszuwerden,
vorbeisause. „Redaktionsschluß!" ist
mir ein gewohntes, wenn auch nicht
lieb gewordenes Wort. „Redaktions-
schluß!" hieß es auch bei den „Flie-
genden Blättern", als ich mit diesen meinen
Erinnerungen kam. Na, eine Seite Hab' ich
den Herren abgerungen und kann loslegen.
Mein Urgroßpapa bekam alljährlich von
seiner Frau Eheliebsten an, ersten April ganz
heimlich einen Knoten ins Schnupftuch ge-
macht, und dann hatte sie mitsamt der Familie
und der liebe» Verwandtschaft bis ins dritte
Glied einen ganzen Tag lang einen unbändi-
gen Spaß, weil dem Herrn Papa absolüment
nicht einfallen konnte, was der Knopf bedeuten
sollte,- halbtot vor heimlichem Lachen fiel die
gute Frau eng umschlungen mit dem Herrn
Vetter Archibald mehrmals am
Tage in die Sofaecke und (Sakra-
ment, ich habe ja inir eine Seite zur
Verfügung).
Meinem Großvater ging es schon
weniger harmlos. Den schickte man
in die Apotheke mit der Bitte, er
sollte für 50 Pfennig Ibiclum (I bin
dumm) oder Oxclrachum (Ochs drah'
di um) holen. Durchs Ladenfenster
beobachtete inan den Effekt, der sich
dann auf der Straße und durchs
ganze Städtchen zu einer lautschal-
lenden Heiterkeitsorgie auswuchs. — Ach, das waren nette lind gemüt-
volle Zeiten,- meines Vaters erster April war nicht mehr so poetisch. El-
mar Kassenhalter bei Hutsche & Eo.
und hatte sich durch eisernen Fleiß und
stählerne Sparsamkeit ein Vermögen
erworben, das er in einer Schublade
seines Schreibtisches uitter der Kasse
seinesGeschäftshauses verbarg.Eines
Tages treten drei sehr elegante Kava-
liere zu ihm ins Büro, tragen spaß-
hafterweise Halbmasken,- Verbeu-
gung, treten vor, entnehmen ihren
Aktenmappen drei solide Revolver,
stellen dieselben exakt auf den Herrn
Papa ein,- einer lispelt: „Pardon,
mein Herr, ein kleiner Aprilscherz!
Wollen Sie uns, bttte,Ihre besseren,
leicht beweglichen Werte ausfolgen." Sache wickelt sich in charman-
tester Weise ab, Händedruck, Verbeugung, nochmalige Versicherung:
„Nur ein Aprilscherz!" Kavaliere fahren mit Auto weg - - - -
Dies geschah vor zwanzig Jahren,- der Herr Papa wartete ein, zwei
Stunden, immerhiil etwas befremdet, auf die Lösung des Scherzes,
dann ging er bekümincrten Herzens zu seinem Chef, die Sache zu melden.
Infolge dieses Geschehnisses machten Hutsche & Co. im nächsten Jahr
Konkurs, unter fachmännischer Anleitung meines Vaters: am 1. April:
Er ordnete die gesamte Konkursmasse in gefälliger Weise etwa in der
Art des Bildchens, so daß die Gläubiger, als sie zur Einstreichung der
Schulden kamen, eine wenn auch geringfügige, so dock apart arran-
gierte Konkursmasse fanden.
Das war damals! Heute ist man nicht mehr so poetisch, und es ist
nicht mehr möglich, mit so einfachen
Mitteln derart glänzende Wirkungen zu
erzielen. Der heutige Mensch, wenn er
sich nicht an und für sich schon für einen
Aprilnarren in Permanenz hält infolge
der Zeitereignisse überhaupt, oder weil
er auf die Aufwertung seiner soge-
nannten mündclsicheren Papiere oder
auf die Zuweisung einer Wohnung
durch das Wohnungsamt wartet, rea-
giert nur auf ganz grobe sensationelle Schcrzideen. - Heute geht man
mit einer, besser mehreren humorbegabten jungen Damen in eine Kon-
ditorei, bestellt eine Serie Schaumrollen (aber echte! Zuckerschaum
klebt zu sehr) und pustet den Inhalt der Rollen den fröhlich quie-
kenden Damen in die Front. Der Effekt ist fabelhaft. — Ich könnte
Ihnen noch eine ganze Menge sol-
cher modernen Scherze Hermalen, zum
Beispiel die totsichere Sache mit der
Handgranate oder den Bombenschlager
mit der Frau und dem Mann und dem
Niggerboxer-halt! Den Endeffekt
davon nehme ich als Schlußvignette,
wlmn ich Ihnen auch den ganzen Her-
gang der Sache leider nicht schildern
darf (Stimme der Redaktion im Tele-
phon: „Herr Neu! Das ist ja eine
Riesenschweinerei: Die Nummer ist
abgeschlossen, und Sie-■”)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vier Generationen fahren in den April"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4157, S. 167
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg