ACH SO! KEIN BUCHHÄNDLER!
Eine übertriebene Gefchichte von Richard Euringer
Ich führe und besitze — was Sie vielleicht interessieren dürste -
ein überaus anmutiges, appetitanregendes, bestrenommiertes Wurst-
warengeschäst, Fa. Lohr & Co., in dem Sic nach Wunsch und Laune
Ihren Bedarf an ff. Roulade, stets frischer Bläschen-, Gelb-, Rot-,
Schwarz-, Mett- und Leberwurst eindecken mögen, wobei ich als Spe-
zialität Ia Teewurst und prima Fleischsalat hausgemacht, mundfertig,
stchgästlich sehr beliebt, empfehle. WaS mein Temperament anlangt,
so mag es im Lauf der Jahrzehnte durch den Umgang mit allzuviel
totem Schwein mäßig gelitten haben, und wenn auch derjenige über-
treibt, der mich etwa phlegmatisch hieße, so gebe ich doch offen zu, daß
ich von Friedfertigkeit ziemlich erfüllt mich fühle. Uin so weniger darf
man mir die Rolle verübeln, die ich diesen Morgen wider Willen zu
spielen gezwungen war, die ich selber kaum begreife, und die ich mit
aus diesem Grunde Ihrer Einsicht unterbreite:
Denken Sie sich, stellen Sie sich vor, wie ich still, beschaulich, fried-
lich zwischen meinen Schinken wandle.., da taucht ein Mensch auf,
unfrisiert, halbbärtig, init einem sonderbaren Blick von unten herauf,
im übrigen selbstbewußt, rücksichtslos, verachtend ...
Er lüstet kaum den Hut, dringt hinter die Theke, hält ein Trumm
Gorgonzola vor die Base, tastet sich an meinen Schinken heran, be-
schnuppert meinen Kalbskopf, stochert im Auf-
schnitt herum, wendet — mit bloßen Fingern,
bitt' ich Sie! — die Happen hin und her,
zückt einen Kneifer, rückt ihn auf die Base,
schüttelt den Kopf, klettert — bitt' ich
Sie! — klettert auf die Letter, holt
sich eine Dose Ochsenmaulsalat
herunter, dreht sie hinum, her-
uin, schiinpst etwas in den Bart,
ringt die Hände, flucht, knurrt,
zieht ein Botizbuch aus der
Tasche, sucht etwas, findet, for-
dert einen Bleistift, schreibt
etwas auf, nähert sich dem
Büchsenfleisch, läßt sich eine
Büchse Comed öffnen, schmeckt, rümpft die Base, äugt wieder hilfe-
suchend durch den mit Köstlichkeiten angefüllten Raum, der ihn anzu-
widern scheint, steckt endlich die zwei Pfund ff. Gorgonzola in die Tasche
und sagt: »Den leihen Sie mir! Wenn ich Geschmack dran finde, so.
Ich rufe Sie zum Zeugen an, meine verehrte Kundschaft, Damen
uitö Herren, daß ich auf solche Handlungsweise als reeller Kaufmann
nicht eingehen durste einerseits, daß ich andrerseits kaum zu weit ging,
wenn ich den Interessenten höflich aufmerksam machte, daß es den
Gepflogenheiten derWurstwarcnbranche en gros und en miniature ln
etwas widerspreche, Käse pfundweise auszuleihen. Ich habe ganz gewiß
meine Bedenken in keiner andern Form als mit der Bemerkung ge-
äußert: „Mein Herr, es widerspricht.
Darauf schmiß (ich gebrauche dies harte Wort nicht gerne!), darauf
schmiß der Täter mir den Käse auf die Theke, daß dieselbe — wie man
sagt — nur so wackelte, was mich aufrichtig betrübte.
„Sie verstehen es nicht, Kunden zu gewinnen!" schrie mich der Mensch
an, mich, einen Mann, der nicht nur die obersten Schichten der ein-
sässigen Gesellschaft zu seinem Kundenkreise zählt, sondern sich rühmen
darf, weiland großherzoglicher Hoflieferant gewesen zu sein.
. Sie verstehen nichts von Geschäft und Geschästsdiplomatie! Man
sollte Sie boykottieren, ja boykottieren, das ist das rechte Wort! Ich will
das Zeug doch gar nicht haben! Ich informiere mich, was dran ist, und
stelle es Ihnen zurück. Punktum." Und schon packten seine mir ausneh-
mend unsympathischen Finger wieder meinen berühmten ff.Gorgonzola.
„Aber ich wiederhole ..,' bemerkte ich in einwandfreiem Anstand,
«daß ich nicht verstehe, wie..
„WeilSie nichts verstehen!"schrie
er, „weil Sie überhaupt keine blasse
Ahnung haben! Aber gegen die Bor-
niertheit und so weiter.. Vorschlag zum
Kompromiß: Sie überlassen mir den
Käse endgültig als Eigentum, dafür
empfehle ich ihn in Bekanntenkreisen...
Bicht? Sic sind verrückt! Sic wahren
IhreheiligstenBelange nicht! Ich werde
mir das merken! Ich schneide Sie! In
Zukunft! Aber für heute nehmen Sie Vernunft an! Es handelt fick
ja weniger um den vermaledeiten Stinker (solche Worte sagte mir der
Mann!) als um das Prinzip! Man kann mit Ihnen nicht vcrhandelit!
Aber hören Sic: Ich habe zu Hause eine alte Schwarte, die mir nur
herumliegt, und Sie machen dabei ein Geschäft: topp! wir tauschen! —
Bicht? Mensch, Sie sündigen auf meine Berven los, daß es einSkandal
ist! Das nimmt kein gutes Ende, sag' ich, nein. Das nimmt.. kein . .
gutes Ende I II"
Mir traten die Tränen ins Auge. „Mein Herr," sagte ich, „wenn
ich ein Wort verdient habe von alledem, was .."
„Ich weiß, Sie verdienen nichts!" klatschte er mich ab — (er, er,
der mir durchaus Unsympathische, klatschte mich ab, einen Mann von
neunundfünfzlg Jahren, zwei Zentnern Lebendgewicht!), „ich weiß,
daß Sie nichts verdienen. Trösten Sie sich! Ich helfe Ihnen ja. Ich
will doch nichts, als Ihnen helfen. Ich fördere Sie! passen Sie auf,
heulen Sie nicht wie ein Kalb, dem man die Haut abzteht, seien Sie
gut I Ich schaue, daß ich weiterkomme mit dem verdammten Stinker,
dafür stelle ich Ihnen im Tageblatt ein ehrendes Zeugnis über Ihren
Käse aus. Topp?"
ff
Eine übertriebene Gefchichte von Richard Euringer
Ich führe und besitze — was Sie vielleicht interessieren dürste -
ein überaus anmutiges, appetitanregendes, bestrenommiertes Wurst-
warengeschäst, Fa. Lohr & Co., in dem Sic nach Wunsch und Laune
Ihren Bedarf an ff. Roulade, stets frischer Bläschen-, Gelb-, Rot-,
Schwarz-, Mett- und Leberwurst eindecken mögen, wobei ich als Spe-
zialität Ia Teewurst und prima Fleischsalat hausgemacht, mundfertig,
stchgästlich sehr beliebt, empfehle. WaS mein Temperament anlangt,
so mag es im Lauf der Jahrzehnte durch den Umgang mit allzuviel
totem Schwein mäßig gelitten haben, und wenn auch derjenige über-
treibt, der mich etwa phlegmatisch hieße, so gebe ich doch offen zu, daß
ich von Friedfertigkeit ziemlich erfüllt mich fühle. Uin so weniger darf
man mir die Rolle verübeln, die ich diesen Morgen wider Willen zu
spielen gezwungen war, die ich selber kaum begreife, und die ich mit
aus diesem Grunde Ihrer Einsicht unterbreite:
Denken Sie sich, stellen Sie sich vor, wie ich still, beschaulich, fried-
lich zwischen meinen Schinken wandle.., da taucht ein Mensch auf,
unfrisiert, halbbärtig, init einem sonderbaren Blick von unten herauf,
im übrigen selbstbewußt, rücksichtslos, verachtend ...
Er lüstet kaum den Hut, dringt hinter die Theke, hält ein Trumm
Gorgonzola vor die Base, tastet sich an meinen Schinken heran, be-
schnuppert meinen Kalbskopf, stochert im Auf-
schnitt herum, wendet — mit bloßen Fingern,
bitt' ich Sie! — die Happen hin und her,
zückt einen Kneifer, rückt ihn auf die Base,
schüttelt den Kopf, klettert — bitt' ich
Sie! — klettert auf die Letter, holt
sich eine Dose Ochsenmaulsalat
herunter, dreht sie hinum, her-
uin, schiinpst etwas in den Bart,
ringt die Hände, flucht, knurrt,
zieht ein Botizbuch aus der
Tasche, sucht etwas, findet, for-
dert einen Bleistift, schreibt
etwas auf, nähert sich dem
Büchsenfleisch, läßt sich eine
Büchse Comed öffnen, schmeckt, rümpft die Base, äugt wieder hilfe-
suchend durch den mit Köstlichkeiten angefüllten Raum, der ihn anzu-
widern scheint, steckt endlich die zwei Pfund ff. Gorgonzola in die Tasche
und sagt: »Den leihen Sie mir! Wenn ich Geschmack dran finde, so.
Ich rufe Sie zum Zeugen an, meine verehrte Kundschaft, Damen
uitö Herren, daß ich auf solche Handlungsweise als reeller Kaufmann
nicht eingehen durste einerseits, daß ich andrerseits kaum zu weit ging,
wenn ich den Interessenten höflich aufmerksam machte, daß es den
Gepflogenheiten derWurstwarcnbranche en gros und en miniature ln
etwas widerspreche, Käse pfundweise auszuleihen. Ich habe ganz gewiß
meine Bedenken in keiner andern Form als mit der Bemerkung ge-
äußert: „Mein Herr, es widerspricht.
Darauf schmiß (ich gebrauche dies harte Wort nicht gerne!), darauf
schmiß der Täter mir den Käse auf die Theke, daß dieselbe — wie man
sagt — nur so wackelte, was mich aufrichtig betrübte.
„Sie verstehen es nicht, Kunden zu gewinnen!" schrie mich der Mensch
an, mich, einen Mann, der nicht nur die obersten Schichten der ein-
sässigen Gesellschaft zu seinem Kundenkreise zählt, sondern sich rühmen
darf, weiland großherzoglicher Hoflieferant gewesen zu sein.
. Sie verstehen nichts von Geschäft und Geschästsdiplomatie! Man
sollte Sie boykottieren, ja boykottieren, das ist das rechte Wort! Ich will
das Zeug doch gar nicht haben! Ich informiere mich, was dran ist, und
stelle es Ihnen zurück. Punktum." Und schon packten seine mir ausneh-
mend unsympathischen Finger wieder meinen berühmten ff.Gorgonzola.
„Aber ich wiederhole ..,' bemerkte ich in einwandfreiem Anstand,
«daß ich nicht verstehe, wie..
„WeilSie nichts verstehen!"schrie
er, „weil Sie überhaupt keine blasse
Ahnung haben! Aber gegen die Bor-
niertheit und so weiter.. Vorschlag zum
Kompromiß: Sie überlassen mir den
Käse endgültig als Eigentum, dafür
empfehle ich ihn in Bekanntenkreisen...
Bicht? Sic sind verrückt! Sic wahren
IhreheiligstenBelange nicht! Ich werde
mir das merken! Ich schneide Sie! In
Zukunft! Aber für heute nehmen Sie Vernunft an! Es handelt fick
ja weniger um den vermaledeiten Stinker (solche Worte sagte mir der
Mann!) als um das Prinzip! Man kann mit Ihnen nicht vcrhandelit!
Aber hören Sic: Ich habe zu Hause eine alte Schwarte, die mir nur
herumliegt, und Sie machen dabei ein Geschäft: topp! wir tauschen! —
Bicht? Mensch, Sie sündigen auf meine Berven los, daß es einSkandal
ist! Das nimmt kein gutes Ende, sag' ich, nein. Das nimmt.. kein . .
gutes Ende I II"
Mir traten die Tränen ins Auge. „Mein Herr," sagte ich, „wenn
ich ein Wort verdient habe von alledem, was .."
„Ich weiß, Sie verdienen nichts!" klatschte er mich ab — (er, er,
der mir durchaus Unsympathische, klatschte mich ab, einen Mann von
neunundfünfzlg Jahren, zwei Zentnern Lebendgewicht!), „ich weiß,
daß Sie nichts verdienen. Trösten Sie sich! Ich helfe Ihnen ja. Ich
will doch nichts, als Ihnen helfen. Ich fördere Sie! passen Sie auf,
heulen Sie nicht wie ein Kalb, dem man die Haut abzteht, seien Sie
gut I Ich schaue, daß ich weiterkomme mit dem verdammten Stinker,
dafür stelle ich Ihnen im Tageblatt ein ehrendes Zeugnis über Ihren
Käse aus. Topp?"
ff
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ach so! Kein Buchhändler!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4170, S. 4
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg