Ich starrte den Menschen an. Nun
zweifelte ich nicht mehr, daß er nicht ganz
in Ordnung sek.
Seine Flucht wurde verhindert durch
die Tatsache, daß ein Herr meiner Kund-
schaft das Geschäft betrat. Er tat mir
damit einen, darf ich sagen,Freundschafts-
dienst, für den ich ihm auch an dieser
Stelle herzlichst danke. Er trat auf den
Unsympathischen zu und begrüßte ihn
freundschaftlich mit den Worten: »Ah!
guten Tag, Herr Meuselwitz, was führt
Sie denn zu meinem Hoflieferanten?"
Da zog der Furchtbare lächelnd die
Augenbrauen hoch und sagte: „Wissen
Sie, ich wollte diesem Herrn nur eine
kleine Lehre erteilen. - Gestatten Sie:
Buchhändler Meuselwitz," trat er nun
mit übertriebener Grandezza auf mich
zu, „waren Sie nicht vor einigen Tagen
in meinem Laden in der Absicht, Bücher
zu kaufen?" — „Ja, allerdings," stam-
melte ich und erinnerte mich, die Physio-
gnomie irgendwo im Hintergründe des
Buchladens gesehen zu haben, „ich habe
leider unter Ihren Vorräten nur wenig
paffendes gefunden..." — „Und das
paffende haben Sie zwecks näherer
Kenntnisnahme und eventueller späterer
Erwerbung mit nach Hause genommen?"
— „Ja,gewiß," antwortete ich und wollte
mit einer Deduktion fortfahren, daß die
Usancen im Buchhandel doch andre seien
als in der Lebensmittelbranche, aber der
Rohe schnitt mir das Wort ab, indem er
sagte: „Nun, ich habe bei Ihnen dasselbe
versucht."
„Aberich bin dochkein Buchhändler!"
rief ich empört.
„Ach so! kein Buchhändler," verließ
er höhnisch meinen Laden, „nun,immer-
hin: wie Sie meinem Emil Zola, so ich
Ihrem Gorgonzola! Guten Tag!"
Mein Kunde sah mich, ich meinen
Kunden sprachlos an,- ich mußte mich erst
wieder in der Wirklichkeit zurechtfinden,
ehe ich ihm ein Viertelpfündchen von
meinem prima Fleischsalat abwiegen
konnte. Es gibt Leute!! —
Sommerfcherz
Ein SiUf mit
S TI LWAND L U N G
Pankratius, der für Gotik Ichwärmte,
War Itark „romanifch"von Statur,
Worüber er lieh feelifch härmte,
Bis ihm ein Liebes widerfuhr:
Die goti(ch=fchlanke Coefeltine,
Die war „romanifch" angehaucht
Und fpradi zu ihm mit ernfier Miene:
„Du bilt's, den meine Seele braucht!"
Sie wurden eins im Schönheitstriebe,
Doch blieben ihre Herzen kühl:
Sie nahmen fich ja nicht aus Liebe,
Sie nahmen lieh aus Stilgefühl!
In wechselseitiger Befchauung
Verrann die Zeit dem jungen Paar,
Was zur ästhetischen Erbauung
Der Seelen anfangs heilsam war.
Da hat das sorgenlose Leben
Die Maid „romanisch" umgeformt.
Pankratius fah's mit Widerstreben,
Und innerlich hat's ihn gewormt!
Vor lauter Gram, der ihn despotisch
Beherrschte, ward er zum Skelett
Und wurde dergefialten „gotilch",-
Die Gattin aber schwamm im Fett!
Der Anblick war nicht mehr ersprießlich
Für den ästhetischen Genuß,
Und alle zwei beschlossen schließlich:
Wir machen mit der Ehe Schluß!-
Getrennt, bei vorgefchob'nem Riegel
Und auf das eig'ne Ich gestellt,
Beschaut sich jedes jetzt im Spiegel,
Weil jedes jetzt sich felblt gefällt!
Beda Hafen
<#.
V ! echerei
Wo sich die Hasen gute Nacht sagen,
standen zwei Mäniter. Der eilte schien
einen Affen zu haben, denit er schwankte
beträchtlich hin und her. Der andere
schien einen Kater zu haben, denn er zer-
biß bereits die dritte Natrontablette.
„Mit Ihnen habe ich ein Hühnchen
zu rupfen!" murmelte der eine.
„Und ich," versetzte der andere, eben-
falls flüsternd, „ich werde Ihnen schon
die Würmer aus der Nase ziehen!"
„Da haben Sie bei mir kein Schwein!"
warf sich der erste m die Brust.
„Wir stehen nicht hier, um Mückeit
zu seihen, mein Herr!" brauste der
zweite auf.
„Michüberläuft eine Gänsehaut/wenn
ich Sie so reden höre."
„Sie haben es heute anscheinend aus
die Zoologie abgesehen, Herr Nachbar",
schmunzelte der erste. „Aberich habe nicht
die mindeste Lust, Vogel-Strauß-Politik
zu treiben."
„Es hieße Eulen nach Athen tragen,
über die Angelegenheit itoch ein einziges
Wörtchen zu verlieren", wendete sich der
zweite zum Gehen.
„Wer hat Ihnen denn diesen Floh ins
Ohr gesetzt?" fragte der erste ironisch.
„Das ist kein Floh, verehrter Herr!"
schrie der andere. „Von Ihnen lass' ich
mir keinen Bären aufbinden!"
„Oho!" protestierte der erste. „Da
machen Sie aus einer Mücke einen Ele-
fanten!"
„Wenn man auch mit den Wölfen
heulen muß, so geht doch eher ein Kamel
durchs Nadelöhr, als daß ich die Unter-
haltung mit Ihnen fortsetzte!"
„Warum nicht? Eine blinde HeNne
findet auch zuweilen ein Korn. Doch
ganz, wie Sie belieben. Schließen wir
also unseren Dialog."
Nach solchen Worten gingen sie beide
heim und schliefen wie die Murmel-
tiere. H. R.
Sommerfcherz
Ein Latz mit
ib
-ZUGSPITZE-
, rH X'f Vp V?
—-—NORWEGEN—-—
Im Zugfpitze ich immer nach der
Zeitung meines Nachbarn
4 \\
Norwegen dem Seehund geh ich
in den Zirkus
Für jeden veröffentlichten Sommerfcherz
zahlen die Fliesenden Bl'Ätter Mk. 20.-
Fiir jeden veröffentlichten Sommerfcherz
Zahlen die Fliesenden Bl'Ätter Mk. 20-
6
zweifelte ich nicht mehr, daß er nicht ganz
in Ordnung sek.
Seine Flucht wurde verhindert durch
die Tatsache, daß ein Herr meiner Kund-
schaft das Geschäft betrat. Er tat mir
damit einen, darf ich sagen,Freundschafts-
dienst, für den ich ihm auch an dieser
Stelle herzlichst danke. Er trat auf den
Unsympathischen zu und begrüßte ihn
freundschaftlich mit den Worten: »Ah!
guten Tag, Herr Meuselwitz, was führt
Sie denn zu meinem Hoflieferanten?"
Da zog der Furchtbare lächelnd die
Augenbrauen hoch und sagte: „Wissen
Sie, ich wollte diesem Herrn nur eine
kleine Lehre erteilen. - Gestatten Sie:
Buchhändler Meuselwitz," trat er nun
mit übertriebener Grandezza auf mich
zu, „waren Sie nicht vor einigen Tagen
in meinem Laden in der Absicht, Bücher
zu kaufen?" — „Ja, allerdings," stam-
melte ich und erinnerte mich, die Physio-
gnomie irgendwo im Hintergründe des
Buchladens gesehen zu haben, „ich habe
leider unter Ihren Vorräten nur wenig
paffendes gefunden..." — „Und das
paffende haben Sie zwecks näherer
Kenntnisnahme und eventueller späterer
Erwerbung mit nach Hause genommen?"
— „Ja,gewiß," antwortete ich und wollte
mit einer Deduktion fortfahren, daß die
Usancen im Buchhandel doch andre seien
als in der Lebensmittelbranche, aber der
Rohe schnitt mir das Wort ab, indem er
sagte: „Nun, ich habe bei Ihnen dasselbe
versucht."
„Aberich bin dochkein Buchhändler!"
rief ich empört.
„Ach so! kein Buchhändler," verließ
er höhnisch meinen Laden, „nun,immer-
hin: wie Sie meinem Emil Zola, so ich
Ihrem Gorgonzola! Guten Tag!"
Mein Kunde sah mich, ich meinen
Kunden sprachlos an,- ich mußte mich erst
wieder in der Wirklichkeit zurechtfinden,
ehe ich ihm ein Viertelpfündchen von
meinem prima Fleischsalat abwiegen
konnte. Es gibt Leute!! —
Sommerfcherz
Ein SiUf mit
S TI LWAND L U N G
Pankratius, der für Gotik Ichwärmte,
War Itark „romanifch"von Statur,
Worüber er lieh feelifch härmte,
Bis ihm ein Liebes widerfuhr:
Die goti(ch=fchlanke Coefeltine,
Die war „romanifch" angehaucht
Und fpradi zu ihm mit ernfier Miene:
„Du bilt's, den meine Seele braucht!"
Sie wurden eins im Schönheitstriebe,
Doch blieben ihre Herzen kühl:
Sie nahmen fich ja nicht aus Liebe,
Sie nahmen lieh aus Stilgefühl!
In wechselseitiger Befchauung
Verrann die Zeit dem jungen Paar,
Was zur ästhetischen Erbauung
Der Seelen anfangs heilsam war.
Da hat das sorgenlose Leben
Die Maid „romanisch" umgeformt.
Pankratius fah's mit Widerstreben,
Und innerlich hat's ihn gewormt!
Vor lauter Gram, der ihn despotisch
Beherrschte, ward er zum Skelett
Und wurde dergefialten „gotilch",-
Die Gattin aber schwamm im Fett!
Der Anblick war nicht mehr ersprießlich
Für den ästhetischen Genuß,
Und alle zwei beschlossen schließlich:
Wir machen mit der Ehe Schluß!-
Getrennt, bei vorgefchob'nem Riegel
Und auf das eig'ne Ich gestellt,
Beschaut sich jedes jetzt im Spiegel,
Weil jedes jetzt sich felblt gefällt!
Beda Hafen
<#.
V ! echerei
Wo sich die Hasen gute Nacht sagen,
standen zwei Mäniter. Der eilte schien
einen Affen zu haben, denit er schwankte
beträchtlich hin und her. Der andere
schien einen Kater zu haben, denn er zer-
biß bereits die dritte Natrontablette.
„Mit Ihnen habe ich ein Hühnchen
zu rupfen!" murmelte der eine.
„Und ich," versetzte der andere, eben-
falls flüsternd, „ich werde Ihnen schon
die Würmer aus der Nase ziehen!"
„Da haben Sie bei mir kein Schwein!"
warf sich der erste m die Brust.
„Wir stehen nicht hier, um Mückeit
zu seihen, mein Herr!" brauste der
zweite auf.
„Michüberläuft eine Gänsehaut/wenn
ich Sie so reden höre."
„Sie haben es heute anscheinend aus
die Zoologie abgesehen, Herr Nachbar",
schmunzelte der erste. „Aberich habe nicht
die mindeste Lust, Vogel-Strauß-Politik
zu treiben."
„Es hieße Eulen nach Athen tragen,
über die Angelegenheit itoch ein einziges
Wörtchen zu verlieren", wendete sich der
zweite zum Gehen.
„Wer hat Ihnen denn diesen Floh ins
Ohr gesetzt?" fragte der erste ironisch.
„Das ist kein Floh, verehrter Herr!"
schrie der andere. „Von Ihnen lass' ich
mir keinen Bären aufbinden!"
„Oho!" protestierte der erste. „Da
machen Sie aus einer Mücke einen Ele-
fanten!"
„Wenn man auch mit den Wölfen
heulen muß, so geht doch eher ein Kamel
durchs Nadelöhr, als daß ich die Unter-
haltung mit Ihnen fortsetzte!"
„Warum nicht? Eine blinde HeNne
findet auch zuweilen ein Korn. Doch
ganz, wie Sie belieben. Schließen wir
also unseren Dialog."
Nach solchen Worten gingen sie beide
heim und schliefen wie die Murmel-
tiere. H. R.
Sommerfcherz
Ein Latz mit
ib
-ZUGSPITZE-
, rH X'f Vp V?
—-—NORWEGEN—-—
Im Zugfpitze ich immer nach der
Zeitung meines Nachbarn
4 \\
Norwegen dem Seehund geh ich
in den Zirkus
Für jeden veröffentlichten Sommerfcherz
zahlen die Fliesenden Bl'Ätter Mk. 20.-
Fiir jeden veröffentlichten Sommerfcherz
Zahlen die Fliesenden Bl'Ätter Mk. 20-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Stilwandlung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4170, S. 6
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg