Der Brief
Er hatte von seinem Flurnachbarn einen Brief bekommen. Einen
merkwürdigen Brief, er konnte aus ihm nicht klug werden. Die Sätze
klangen höflich, der Inhalt war liebenswürdig, dennoch war etwas darin,
was heimlich aufreizte. Er enthielt eine Beleidigung, die doch eigent-
lich keine war, eine gelinde Unverschämtheit, die aber etwas Schmeiche-
lei enthielt, eine starke Zumutung, die aber auch eine Ehre bedeutete,
eine verkleidete Dro-
bung, die man aber auch
anders auffassen konnte,
eine höflicheGeineinheit,
die aber v ielleicht nicht so
gemeint war, eine freche
Zudringlichkeit, die aber
aus redlichem Herzen
kam, eine boshafte Ver-
leumdung, die aber viel-
leicht argloser Naivität
entsprang-
Den ganzen Tag be-
sann er sich auf die pas-
sende Antwort. Fein
sollte sie sein, treffend,
ein Meisterwerk der
Diplomatie. Nicht zu
schroff, aber auch nicht
zu nachgiebig, nicht de-
mütig, aber auch um
Gottes willen nicht un-
höflich ! Nicht zu ernst,
aber auch nicht frivol,
nicht unterwürfig, aber
auch nicht frech, nicht
intim, aber auch nicht
so förmlich, nicht ver-
letzend, aber doch ein-
drucksvoll, nicht trocken,
aber auch nicht sentimen-
tal, nicht zu lang, aber
auch nicht beleidigend
kurz — sie sollte zurecht-
weisen, ohne zu brechen,
einlcnken, ohne nachzu-
gcben, Distanz halten,
ohne abzustoßen — es
mußte eine raffinierte,
superdiplomatische Ant-
wort werden!
Den ganzen Tag über
besann er sich, aber ach
— das richtige Wort
siel ihm nicht ein. Und
er hätte so gern eine Ant-
wort gegeben, die aus
dem Innern kam, die er-
löste, befreite: eine freu-
dige, siegreiche Antwort! Was er auch schrieb, es war so flau, so kon-
ventionell lauwarm!
Wieder und wieder las er den Brief,- wieder und wieder formulierte
er Antworten — es gelang ihm nichts Rechtes. Der Tag ging zu Ende,
ein neuer kam: er fand die richtige Antwort nicht. Sein Inneres be-
gann zu kochen. Wann und wo ihm der Brief einfiel, schoß heiße Wut
in ihm auf — viel weniger über die Frechheit des andern, einen solchen
Brief zu schreiben, als über die eigene Unfähigkeit, ihn nicht beant-
worten zu können. Und
der Brief mußte ge-
schrieben werden, mußte
bald, möglichst sofort ge-
schrieben werden, sonst
nahm das Schweigen
die Bedeutung an, als
wolle er die heimliche
Beleidigung cinstecken.
Er rannte im Zimmer
herum, der Kopf drohte
ihm zu platzen. Hatte er
in der einen Minute
einen Einfall, so mußte
er ihn in der nächsten
wieder verwerfen, weil
er zu freundlich oder zu
grob, zu heftig oder zu
inatt, zu deutlich oder zu
unverständlich war. Oh!
es war, um mit dem
Kopse durch die Wand
zu rennen. Und er tat
es ~ er rannte mit dem
Kopse durch die Wand
(es war ein Neubau).
In diesem Augen-
blick riß der Flurnach-
bar, der nun schon seit
einer Woche auf eine
Antwort wartete, die
Tür auf. Er wollte fra-
gen, wann er auf feinen
Brief eine Antwort er-
warten dürfe, da fiel ihm
ein seltsamer Anblick ins
Auge(„Er" stak noch mit
dem Kopfe in der Wand
und konnte sich nicht
rühren). Der Nachbar
bezog diesen Anblick aus
sich und sagte nur: „So
eine Frechheit! —" und
verließ das Zimmer.
Auf diese Weise hatte
„Er" einen Brief ge-
schrieben, ohnedieFeder
angerührt zu haben.
Robert Holm
Sommerlcherz
^ Ein Satimit «f*
REGENBOGEN
Bei Donner, Blitz und Regenbogen
wir um die Ecke in die Hütte
Fiiv jeden veröffentlichten Sommerlcherz
zahlen die Fliegenden Blatter Mk. SO,-
„Na, Iustav, dei'm Bäuchlein würd's auch janz jut tun, wenn de mal 'n bißcken
Freilustjümnastik triebst!' — „So? Meinste, dat det den Appetit fördert?"
Sommer fcherz
, Ein Sah mit
~ VORDERFUSS “
Ifaakche, wenn de wandern gehft,
nimm der was mit Vorderfuß Pflege!
Für jeden veröffentlichten Sommerlcherz
zahlen die Fliegenden Bl'&tter Mk. 20.-
16
Er hatte von seinem Flurnachbarn einen Brief bekommen. Einen
merkwürdigen Brief, er konnte aus ihm nicht klug werden. Die Sätze
klangen höflich, der Inhalt war liebenswürdig, dennoch war etwas darin,
was heimlich aufreizte. Er enthielt eine Beleidigung, die doch eigent-
lich keine war, eine gelinde Unverschämtheit, die aber etwas Schmeiche-
lei enthielt, eine starke Zumutung, die aber auch eine Ehre bedeutete,
eine verkleidete Dro-
bung, die man aber auch
anders auffassen konnte,
eine höflicheGeineinheit,
die aber v ielleicht nicht so
gemeint war, eine freche
Zudringlichkeit, die aber
aus redlichem Herzen
kam, eine boshafte Ver-
leumdung, die aber viel-
leicht argloser Naivität
entsprang-
Den ganzen Tag be-
sann er sich auf die pas-
sende Antwort. Fein
sollte sie sein, treffend,
ein Meisterwerk der
Diplomatie. Nicht zu
schroff, aber auch nicht
zu nachgiebig, nicht de-
mütig, aber auch um
Gottes willen nicht un-
höflich ! Nicht zu ernst,
aber auch nicht frivol,
nicht unterwürfig, aber
auch nicht frech, nicht
intim, aber auch nicht
so förmlich, nicht ver-
letzend, aber doch ein-
drucksvoll, nicht trocken,
aber auch nicht sentimen-
tal, nicht zu lang, aber
auch nicht beleidigend
kurz — sie sollte zurecht-
weisen, ohne zu brechen,
einlcnken, ohne nachzu-
gcben, Distanz halten,
ohne abzustoßen — es
mußte eine raffinierte,
superdiplomatische Ant-
wort werden!
Den ganzen Tag über
besann er sich, aber ach
— das richtige Wort
siel ihm nicht ein. Und
er hätte so gern eine Ant-
wort gegeben, die aus
dem Innern kam, die er-
löste, befreite: eine freu-
dige, siegreiche Antwort! Was er auch schrieb, es war so flau, so kon-
ventionell lauwarm!
Wieder und wieder las er den Brief,- wieder und wieder formulierte
er Antworten — es gelang ihm nichts Rechtes. Der Tag ging zu Ende,
ein neuer kam: er fand die richtige Antwort nicht. Sein Inneres be-
gann zu kochen. Wann und wo ihm der Brief einfiel, schoß heiße Wut
in ihm auf — viel weniger über die Frechheit des andern, einen solchen
Brief zu schreiben, als über die eigene Unfähigkeit, ihn nicht beant-
worten zu können. Und
der Brief mußte ge-
schrieben werden, mußte
bald, möglichst sofort ge-
schrieben werden, sonst
nahm das Schweigen
die Bedeutung an, als
wolle er die heimliche
Beleidigung cinstecken.
Er rannte im Zimmer
herum, der Kopf drohte
ihm zu platzen. Hatte er
in der einen Minute
einen Einfall, so mußte
er ihn in der nächsten
wieder verwerfen, weil
er zu freundlich oder zu
grob, zu heftig oder zu
inatt, zu deutlich oder zu
unverständlich war. Oh!
es war, um mit dem
Kopse durch die Wand
zu rennen. Und er tat
es ~ er rannte mit dem
Kopse durch die Wand
(es war ein Neubau).
In diesem Augen-
blick riß der Flurnach-
bar, der nun schon seit
einer Woche auf eine
Antwort wartete, die
Tür auf. Er wollte fra-
gen, wann er auf feinen
Brief eine Antwort er-
warten dürfe, da fiel ihm
ein seltsamer Anblick ins
Auge(„Er" stak noch mit
dem Kopfe in der Wand
und konnte sich nicht
rühren). Der Nachbar
bezog diesen Anblick aus
sich und sagte nur: „So
eine Frechheit! —" und
verließ das Zimmer.
Auf diese Weise hatte
„Er" einen Brief ge-
schrieben, ohnedieFeder
angerührt zu haben.
Robert Holm
Sommerlcherz
^ Ein Satimit «f*
REGENBOGEN
Bei Donner, Blitz und Regenbogen
wir um die Ecke in die Hütte
Fiiv jeden veröffentlichten Sommerlcherz
zahlen die Fliegenden Blatter Mk. SO,-
„Na, Iustav, dei'm Bäuchlein würd's auch janz jut tun, wenn de mal 'n bißcken
Freilustjümnastik triebst!' — „So? Meinste, dat det den Appetit fördert?"
Sommer fcherz
, Ein Sah mit
~ VORDERFUSS “
Ifaakche, wenn de wandern gehft,
nimm der was mit Vorderfuß Pflege!
Für jeden veröffentlichten Sommerlcherz
zahlen die Fliegenden Bl'&tter Mk. 20.-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Na, Justav"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4171, S. 16
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg