HOMESPUN UND PANAMA
Von Hans Natonek
' v/jT
' W5.
3f-
Wenn man jung ist,
hängt man sehr an äuße-
rem Tand und ist stolz
auf seine Sachen. Ich
besaß damals einen
Homespun-Anzug und
Äysx trug ihn gern und gut
durch den dritten Lenz
und den dazu gehöri-
1 gen Sommer. Es war
ein Heller, echt englischer,
unverwüstlicher Homespun, was soviel bedeutet wie heimgesponnen.
Wenn ich den Anzug trug, hatte ich stets die erhebende Vorstellung:
Weber aus Wales oder vielleicht aus 7)orkshire, oder aus der Graf-
schaft Northfolk, haben das Tuch mit der Hand gewebt, an langen
Winterabenden in niedrigen Hütten. Das ist doch was anderes, als
ein Anzug aus maschinengewebtem Bautzener Kammgarn. Ebenso stolz
war ich auf meinen echten, unverwüstlichen Panama. Wind und Wetter
hatten ihn gebräunt,- er sah wie ein Mestize aus, der lange unter der
Aquatorsonne gedörrt hat. Stülpte ich ihn auf, sah ich die flimmernde
Fläche des Pampasgrascs, aus dem der Hut geflochten war,- und die
verwegensten tropischen Phantasien von Haciendas und Rio Grande
quollen aus dem Hut in den Kopf.
Mein Freund Hans aber ist eine kritische Natur und ein Wider-
spruchsgeist ersten Ranges. Wir treffen uns da von ungefähr im park.
Er sieht mich zum ersten Male im Homespun und Panama, denn er
ist noch nicht lange mein Freund. „Ein hübscher Anzug", sagt er wohl-
wollend, und nimmt denStoff prüfend zwischenZeigefinger undDaumen.
„Ja," sage ich mit tiefer Genugtuung dar-
über, daß mein Homespun einem so kriti-
schen Kenner gefällt, „es ist aber auch ein
echt englischer Homespun." „So?" meint er
und reibt noch immer den Stoff zwischen
Zeigefinger und Daumen. Und in diesem
„So?" schwingt alle Skepsis der Welt. „Ent-
schuldige mal," brause ich auf, „mein Home-
spun ist — " „Es gibt da eine Probe, die ein-
zige, ob ein Homespun ein Homespun ist oder
nicht. Durch einen echten Homespun kann
man einen Bleistift hindurchstecken und es
schadet dem Stoff nicht im geringsten, so wunderbar locker ist er ge-
webt." Und er zieht einen Bleistist — es war ein extrastarker Büro-
tintenstist mit Metallhülse — und ehe ich etwas zu sagen wage, sagte
er „Gestatte mal, das werden wir gleich haben", und bohrt den Blei-
stist durch den Sakko meines Homespun. Mit erweiterten Pupillen
starre ich auf die Prozedur. So ungefähr muß einem zum Gottes-
gericht Verurteilten zumute gewesen sein, der glühendes Eisen an-
fassen mußte, um seine Unschuld zu beweisen. „Kein Homespun", ent-
schied er, mit der unumstößlichen Gewißheit eines letztinstanzlichen
Urteils. Im Rock war ein Loch, hübsch groß, denn er hatte den ganzen
Bürotintenstist samt Metallhülse durchgezogen, die noch einen kleinen
Riß hinzusügte. „Es ist Bautzener Kammgarn", sagte er noch, steckte
den Bleistist wieder in die Westentasche und interessierte sich nicht
mehr für den Fall.
Wir schritten fürbas. Was blieb mir anderes übrig, da er nicht
fortgkng, der ekelhafte Kerl. Er redete in einem fort von Kommers
und Mensuren, ich schwieg beharrlich und schwenkte, um meiner Ge-
mütsbewegung Lust zu machen, den Panama. „Ist das ein echter
Panama?", fragte er, da ich nichts sagte. „Gewiß!" sagte ich und
warf ihm einen giftigen Seitenblick zu. „Erlaube mal, nur einen
Augenblick." Und er langte nach meinem Hut. Bebenden Herzens
überließ ich ihm meinen Panama. Nach drei Sekunden reichte er ihn
mir zurück,- mit energischem Kopfschütteln. „Ein Panama ist das nicht."
„Und doch ist es ein Panama!" rief ich und verbiß meine Wut. „Er
hat 65 Friedensmark gekostet, folglich muß es ein echter Panama sein."
— „Es ist immerhin möglich", meinte er und das machte mich so
wütend, daß ich ihm den Hut auf seinen Wunsch noch einmal zur
Prüfung überließ. „Einen echten Panama," dozierte er, „kann man
wie eine Papierdüte zusammenrollen und in
die Tasche stecken. Daran erkennt man den
echten Panama. Das ist die einzige Methode.
Du gestattest doch —." Sollte ich etwa nicht
gestatten und einen feigen Rückzug antreten?
Nachdem er Öen wie eine Papierdüte zusam-
mengerollten Panama aus seiner Hosentasche
herausgezogen hatte, betrachtete er einen
Augenblick die Verwüstung, händigte mir
dann die Strohtrümmer aus und stellte fest:
„Ein Panama ist es nicht. Radebeuler Fabri-
kat. " Es klang,wie wenn ein berühmterChirurg
76
Von Hans Natonek
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Wenn man jung ist,
hängt man sehr an äuße-
rem Tand und ist stolz
auf seine Sachen. Ich
besaß damals einen
Homespun-Anzug und
Äysx trug ihn gern und gut
durch den dritten Lenz
und den dazu gehöri-
1 gen Sommer. Es war
ein Heller, echt englischer,
unverwüstlicher Homespun, was soviel bedeutet wie heimgesponnen.
Wenn ich den Anzug trug, hatte ich stets die erhebende Vorstellung:
Weber aus Wales oder vielleicht aus 7)orkshire, oder aus der Graf-
schaft Northfolk, haben das Tuch mit der Hand gewebt, an langen
Winterabenden in niedrigen Hütten. Das ist doch was anderes, als
ein Anzug aus maschinengewebtem Bautzener Kammgarn. Ebenso stolz
war ich auf meinen echten, unverwüstlichen Panama. Wind und Wetter
hatten ihn gebräunt,- er sah wie ein Mestize aus, der lange unter der
Aquatorsonne gedörrt hat. Stülpte ich ihn auf, sah ich die flimmernde
Fläche des Pampasgrascs, aus dem der Hut geflochten war,- und die
verwegensten tropischen Phantasien von Haciendas und Rio Grande
quollen aus dem Hut in den Kopf.
Mein Freund Hans aber ist eine kritische Natur und ein Wider-
spruchsgeist ersten Ranges. Wir treffen uns da von ungefähr im park.
Er sieht mich zum ersten Male im Homespun und Panama, denn er
ist noch nicht lange mein Freund. „Ein hübscher Anzug", sagt er wohl-
wollend, und nimmt denStoff prüfend zwischenZeigefinger undDaumen.
„Ja," sage ich mit tiefer Genugtuung dar-
über, daß mein Homespun einem so kriti-
schen Kenner gefällt, „es ist aber auch ein
echt englischer Homespun." „So?" meint er
und reibt noch immer den Stoff zwischen
Zeigefinger und Daumen. Und in diesem
„So?" schwingt alle Skepsis der Welt. „Ent-
schuldige mal," brause ich auf, „mein Home-
spun ist — " „Es gibt da eine Probe, die ein-
zige, ob ein Homespun ein Homespun ist oder
nicht. Durch einen echten Homespun kann
man einen Bleistift hindurchstecken und es
schadet dem Stoff nicht im geringsten, so wunderbar locker ist er ge-
webt." Und er zieht einen Bleistist — es war ein extrastarker Büro-
tintenstist mit Metallhülse — und ehe ich etwas zu sagen wage, sagte
er „Gestatte mal, das werden wir gleich haben", und bohrt den Blei-
stist durch den Sakko meines Homespun. Mit erweiterten Pupillen
starre ich auf die Prozedur. So ungefähr muß einem zum Gottes-
gericht Verurteilten zumute gewesen sein, der glühendes Eisen an-
fassen mußte, um seine Unschuld zu beweisen. „Kein Homespun", ent-
schied er, mit der unumstößlichen Gewißheit eines letztinstanzlichen
Urteils. Im Rock war ein Loch, hübsch groß, denn er hatte den ganzen
Bürotintenstist samt Metallhülse durchgezogen, die noch einen kleinen
Riß hinzusügte. „Es ist Bautzener Kammgarn", sagte er noch, steckte
den Bleistist wieder in die Westentasche und interessierte sich nicht
mehr für den Fall.
Wir schritten fürbas. Was blieb mir anderes übrig, da er nicht
fortgkng, der ekelhafte Kerl. Er redete in einem fort von Kommers
und Mensuren, ich schwieg beharrlich und schwenkte, um meiner Ge-
mütsbewegung Lust zu machen, den Panama. „Ist das ein echter
Panama?", fragte er, da ich nichts sagte. „Gewiß!" sagte ich und
warf ihm einen giftigen Seitenblick zu. „Erlaube mal, nur einen
Augenblick." Und er langte nach meinem Hut. Bebenden Herzens
überließ ich ihm meinen Panama. Nach drei Sekunden reichte er ihn
mir zurück,- mit energischem Kopfschütteln. „Ein Panama ist das nicht."
„Und doch ist es ein Panama!" rief ich und verbiß meine Wut. „Er
hat 65 Friedensmark gekostet, folglich muß es ein echter Panama sein."
— „Es ist immerhin möglich", meinte er und das machte mich so
wütend, daß ich ihm den Hut auf seinen Wunsch noch einmal zur
Prüfung überließ. „Einen echten Panama," dozierte er, „kann man
wie eine Papierdüte zusammenrollen und in
die Tasche stecken. Daran erkennt man den
echten Panama. Das ist die einzige Methode.
Du gestattest doch —." Sollte ich etwa nicht
gestatten und einen feigen Rückzug antreten?
Nachdem er Öen wie eine Papierdüte zusam-
mengerollten Panama aus seiner Hosentasche
herausgezogen hatte, betrachtete er einen
Augenblick die Verwüstung, händigte mir
dann die Strohtrümmer aus und stellte fest:
„Ein Panama ist es nicht. Radebeuler Fabri-
kat. " Es klang,wie wenn ein berühmterChirurg
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Homespun und Panama"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4176, S. 76
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg