mir nicht gesagt, aber der Sinn ist der gleiche. Weil nämlich die Tauff-
kirchen — '
-Ha?"
„Weil also die Tauffkirchen außer sich ist und meint, sie ist an allem schuld,
und es ist ein Finger Gottes, damit sie nun erst recht ins Kloster gehen soll."
Thaller schlug sich an die Stirn. „Oh iperrgott! Mir scheint, was Dümmeres
bätt' mir nicht cinfallen können. Was tu' ich jetzt? Hilf mir doch, pezmüller!"
„Es wird am besten sein," sagte pezmüller weise, „wenn du dem piosasque
alles erzählst. Denn der piosasque ist ein schlauer Fuchs, sonst wär' er nicht
aus einem armen Katzelmacher ein Generalwachtmeister geworden. Er mag
dich gern. Lass dich pflichtschuldig anraunzen, und dann schult' ihm dein Herz
aus und tu' was er dir sagt, nicht mehr und nicht weniger, verstanden?"
„Jawohl!" sagteThaller erleichtert und henkte den Degen ein. „ Gehst du mit ?"
„Nur bis an die Türe!!" sagte pezmüller vorsichtig. —
Der Graf piosasque de Non empfing den Leutnant von Thaller in einer
höchst unbehaglichen Kasernenstube. An
den grauen Wänden hing weder Bild
noch Spiegel, gegen die vorhanglosen
Fensterscheiben prallten ein paar dicke
Fliegen, und die heiße Sonne trug dazu
bei, den übel angestrichenen Bänken und
Kästen einen lieblichen Kommisduft zu
entlocken, piosasque saß an einem mit
Papieren bedeckten Tisch und rauchte
eine langstielige weiße Tonpfeife — dies
stellte Thaller mit einer gewissen Be-
ruhigung fest, denn die Hand, die ein
so gebrechliches Ding hielt, konnte nicht
wohl in den Tisch hauen.
„So!" sagte der Generalwachtmeister
„so!! Da ist er ja, der Herr Leutnant!
Allerliebste Sachen, Monsieur! Der
Chevalier ist Geschäfttsträger für Frank-
reich —: Beleidigung einer fremden
Macht! Kriegsgericht! Kassation! Was
'oben Sie ßu ßagen?" Wenn der Alte
aufgeregt war, vergaß er bisweilen das
Deutsche, das ihm immer noch ein wenig
Mühe machte.
Thaller schwieg dickschädlig.
„Nichts? Sie geben also zu, schuld
zu sein an diesem — "
„Nein!" sagte Thaller, „derSchul-
dige sind Sie, Herr Graf!"
piosasque tat die Pfeife auf den Tisch
und sah den Leutnant aus runden Augen an. „O'est epatant — wie sagt
man — da legest du dich nieder!! Wieso?"
„Hätten Sie, Herr Graf, mir nichts davon gesagt, daß die Tauffkirchen
unglücklich verliebt ist und ins Kloster gehen will, so hält' ich der Sache
nicht nachgefragt und wäre nicht auf den Mazekte gestoßen. Also-"
piosasques gelbes Faltengestcht war wie ein Borhang — man wußte nicht:
bereitete sich dahinter eine Tragödie oder eine Komödie vor. In den schwarzen
Augen zuckte es auf — Wetterleuchten oder Sonne? Und dann spielte eine
ganz kleine, feine Bewegung um den alten Mund, lief zu den Augen hinauf
und in die hundert Fältchen — schließlich wurde ein Lächeln daraus — dem
Thaller war der Handstreich gelungen.
„Sie sind ein Nichtsnutz, Leutnant!" sagte piosasque, wandte sich ab
und griff nach der pfeife. „Was soll man auf eine solche Frechheit er-
widern? Genau besehen, haben Sie nicht einmal ganz Unrecht. Aber was
machen wir mit Ihnen? Wär' es ein anderer, so hätt' ich gesagt: besuchen
Sie den Chevalier und bitten Sie ihn um Entschuldigung,- aber ich weiß,
daß Ihr bayrischer Dickkopf sich dazu niemals bereit finden wird. Lassen
wir es also."
„Dann ist ja alles in Ordnung!" bemerkte Thaller.
„Meinen Sie? Und wenn der Kurfürst von der Sache hört? Wenn
Mazette sich beschwert?"
„Ick hätt' ihn doch totschlagen sollen ...", sagte Thaller nachdenklich.
„Das fehlte noch. — Nun, er wird sich boffentlich nicht beschweren, denn
ich werde ein Wort für Sie einlegen. Aber die Tauffkirchen, Leutnant ? Ja,
nun erschrecken Sie! Glauben Sie, daß sie schweigen wird? Ich glaube es
nicht."
„Ich werde ihr alles erklären!"
„Sie wird Sie überhaupt nicht empfangeir."
„Dann werde ich ihr schreiben!"
„Tun Sie das. Erklären Sic — nun, das werden Sie besser wissen als
ich. Und berichten Sie mir sofort, wenn sich etwas ereignet."
„Sofort, Herr Graf", sagte Thaller, sehr erleichtert, stellte sich und wollte
den Rückzug ankreten.
„Halt,halt!" rief piosasque, „so einfach ist das denn doch nicht. Sie wer-
den erlauben, daß ich Sie einstweilen ein paar Wochen einsperre, nicht wahr?"
„Herr Graf !!"
„ — aber erst nach Erledigung dieser Angelegenheit!" sagte piosasque
lächelnd. „Guten Morgen!"-
Der Leutnant von Thaller ging nach
Hause, rückte den Tisch ans Fenster und
begann einen ausführlichen Brief an
Madeleine Tauffkirchen. Es war eine
saureArbeit, denn er pflegte feilte Kennt-
nis der Schreibkunft nur im äußersten
Notfall anzuwenden. Thaller vergaß
das Mittagessen und arbeitete fast bis
in die Dämmerung. Dann aber hatte
er eine Epistel zustande gebracht, die
ebenso lang wie inhaltsschwer war, unD
sogleich schickte er seinen Diener damit
in die Residenz.
Schon nach einer Biertelstunde sah
er den Mann zurückkommen und geriet
in eine schreckliche Aufregung: was
würde er bringen?
Er brachte dem Leutnant von Thaller
sein eigenes Schreiben zurück mit der
Bemerkung, daß die Gräfin Tauff-
kirchen nicht die Absicht habe, Briefe
zu empfangen von Leuten, die nur durch
Zufall nicht zum Mörder geworden
seien. Und der Herr Leutnant werde
hiermit aufs dringendste gebeten, jeden
Bersuch einer Annäherung künftig-
hin zu unterlassen. Im übrigen werde
die Gerechtigkeit ja wohl ihren Gang
nehmen.
Der arme Thaller war über diese Abweisung sehr unglücklich, denn einer-
seits erkannte er daraus, daß seine etwa vorhandenen Aussichten auf ein pünkt-
lein zusammengeschrumpft waren, andererseits kränkte ihn die heiße und
durchaus vergebliche Mühe, die er init dem Briefe gehabt hatte. Am meisten
aber beunruhigte ihn augenblicklich der letzte Satz, der ihn auf die unbehag-
lichste Weise an die sogenannte Gerechtigkeit eriitnerte. Die Tauffkirchen —
welcher Torheit wäre ein verliebtes, geschweige dein, ein unglücklich verliebtes
Frauenzimmer nicht fähig? — die Tauffkirchen dachte offenbar daran, sich bei
irgendwem zu beklagen,- dieser „Irgendwer" konnte letzten Endes nur der
Kurfürst sein... Dem Leutnant von Thaller wurde schwül zumute. Er wußte
sich keinen andern Rat, als wieder zu piosasque zu laufen.
„Sie müssen aber mit ihr sprechen!" sagte der Alte, „der Kurfürst
darf nichts von der Sache erfahren!"
„Gut!" antwortete Thaller entschlossen, „ich werde morgen selber zu ihr
gehen und einen Fußfall tun."
piosasque schüttelte den Kopf. „Den Fußfall heben Sie sich für eine
bessere Gelegenheit auf. Die Kurfürstin fährt morgen mit dem frühesten auf
ein paar Tage nach Dachau. Ich werde dafür sorgen, daß die Tauffkirchen
zum Gefolge gehört. Auf diese Welse schaffen wir sie wenigstens für kurze
Zeit aus München weg. Das weitere wird sich finden. Lassen Sie mir Zeit.
Je gefährlicher die Lage ist, desto ruhiger muß man bleiben. Mein Gott —
und dies alles um das bißchen Liebe!!" (Fortsetzung folgt)
226
kirchen — '
-Ha?"
„Weil also die Tauffkirchen außer sich ist und meint, sie ist an allem schuld,
und es ist ein Finger Gottes, damit sie nun erst recht ins Kloster gehen soll."
Thaller schlug sich an die Stirn. „Oh iperrgott! Mir scheint, was Dümmeres
bätt' mir nicht cinfallen können. Was tu' ich jetzt? Hilf mir doch, pezmüller!"
„Es wird am besten sein," sagte pezmüller weise, „wenn du dem piosasque
alles erzählst. Denn der piosasque ist ein schlauer Fuchs, sonst wär' er nicht
aus einem armen Katzelmacher ein Generalwachtmeister geworden. Er mag
dich gern. Lass dich pflichtschuldig anraunzen, und dann schult' ihm dein Herz
aus und tu' was er dir sagt, nicht mehr und nicht weniger, verstanden?"
„Jawohl!" sagteThaller erleichtert und henkte den Degen ein. „ Gehst du mit ?"
„Nur bis an die Türe!!" sagte pezmüller vorsichtig. —
Der Graf piosasque de Non empfing den Leutnant von Thaller in einer
höchst unbehaglichen Kasernenstube. An
den grauen Wänden hing weder Bild
noch Spiegel, gegen die vorhanglosen
Fensterscheiben prallten ein paar dicke
Fliegen, und die heiße Sonne trug dazu
bei, den übel angestrichenen Bänken und
Kästen einen lieblichen Kommisduft zu
entlocken, piosasque saß an einem mit
Papieren bedeckten Tisch und rauchte
eine langstielige weiße Tonpfeife — dies
stellte Thaller mit einer gewissen Be-
ruhigung fest, denn die Hand, die ein
so gebrechliches Ding hielt, konnte nicht
wohl in den Tisch hauen.
„So!" sagte der Generalwachtmeister
„so!! Da ist er ja, der Herr Leutnant!
Allerliebste Sachen, Monsieur! Der
Chevalier ist Geschäfttsträger für Frank-
reich —: Beleidigung einer fremden
Macht! Kriegsgericht! Kassation! Was
'oben Sie ßu ßagen?" Wenn der Alte
aufgeregt war, vergaß er bisweilen das
Deutsche, das ihm immer noch ein wenig
Mühe machte.
Thaller schwieg dickschädlig.
„Nichts? Sie geben also zu, schuld
zu sein an diesem — "
„Nein!" sagte Thaller, „derSchul-
dige sind Sie, Herr Graf!"
piosasque tat die Pfeife auf den Tisch
und sah den Leutnant aus runden Augen an. „O'est epatant — wie sagt
man — da legest du dich nieder!! Wieso?"
„Hätten Sie, Herr Graf, mir nichts davon gesagt, daß die Tauffkirchen
unglücklich verliebt ist und ins Kloster gehen will, so hält' ich der Sache
nicht nachgefragt und wäre nicht auf den Mazekte gestoßen. Also-"
piosasques gelbes Faltengestcht war wie ein Borhang — man wußte nicht:
bereitete sich dahinter eine Tragödie oder eine Komödie vor. In den schwarzen
Augen zuckte es auf — Wetterleuchten oder Sonne? Und dann spielte eine
ganz kleine, feine Bewegung um den alten Mund, lief zu den Augen hinauf
und in die hundert Fältchen — schließlich wurde ein Lächeln daraus — dem
Thaller war der Handstreich gelungen.
„Sie sind ein Nichtsnutz, Leutnant!" sagte piosasque, wandte sich ab
und griff nach der pfeife. „Was soll man auf eine solche Frechheit er-
widern? Genau besehen, haben Sie nicht einmal ganz Unrecht. Aber was
machen wir mit Ihnen? Wär' es ein anderer, so hätt' ich gesagt: besuchen
Sie den Chevalier und bitten Sie ihn um Entschuldigung,- aber ich weiß,
daß Ihr bayrischer Dickkopf sich dazu niemals bereit finden wird. Lassen
wir es also."
„Dann ist ja alles in Ordnung!" bemerkte Thaller.
„Meinen Sie? Und wenn der Kurfürst von der Sache hört? Wenn
Mazette sich beschwert?"
„Ick hätt' ihn doch totschlagen sollen ...", sagte Thaller nachdenklich.
„Das fehlte noch. — Nun, er wird sich boffentlich nicht beschweren, denn
ich werde ein Wort für Sie einlegen. Aber die Tauffkirchen, Leutnant ? Ja,
nun erschrecken Sie! Glauben Sie, daß sie schweigen wird? Ich glaube es
nicht."
„Ich werde ihr alles erklären!"
„Sie wird Sie überhaupt nicht empfangeir."
„Dann werde ich ihr schreiben!"
„Tun Sie das. Erklären Sic — nun, das werden Sie besser wissen als
ich. Und berichten Sie mir sofort, wenn sich etwas ereignet."
„Sofort, Herr Graf", sagte Thaller, sehr erleichtert, stellte sich und wollte
den Rückzug ankreten.
„Halt,halt!" rief piosasque, „so einfach ist das denn doch nicht. Sie wer-
den erlauben, daß ich Sie einstweilen ein paar Wochen einsperre, nicht wahr?"
„Herr Graf !!"
„ — aber erst nach Erledigung dieser Angelegenheit!" sagte piosasque
lächelnd. „Guten Morgen!"-
Der Leutnant von Thaller ging nach
Hause, rückte den Tisch ans Fenster und
begann einen ausführlichen Brief an
Madeleine Tauffkirchen. Es war eine
saureArbeit, denn er pflegte feilte Kennt-
nis der Schreibkunft nur im äußersten
Notfall anzuwenden. Thaller vergaß
das Mittagessen und arbeitete fast bis
in die Dämmerung. Dann aber hatte
er eine Epistel zustande gebracht, die
ebenso lang wie inhaltsschwer war, unD
sogleich schickte er seinen Diener damit
in die Residenz.
Schon nach einer Biertelstunde sah
er den Mann zurückkommen und geriet
in eine schreckliche Aufregung: was
würde er bringen?
Er brachte dem Leutnant von Thaller
sein eigenes Schreiben zurück mit der
Bemerkung, daß die Gräfin Tauff-
kirchen nicht die Absicht habe, Briefe
zu empfangen von Leuten, die nur durch
Zufall nicht zum Mörder geworden
seien. Und der Herr Leutnant werde
hiermit aufs dringendste gebeten, jeden
Bersuch einer Annäherung künftig-
hin zu unterlassen. Im übrigen werde
die Gerechtigkeit ja wohl ihren Gang
nehmen.
Der arme Thaller war über diese Abweisung sehr unglücklich, denn einer-
seits erkannte er daraus, daß seine etwa vorhandenen Aussichten auf ein pünkt-
lein zusammengeschrumpft waren, andererseits kränkte ihn die heiße und
durchaus vergebliche Mühe, die er init dem Briefe gehabt hatte. Am meisten
aber beunruhigte ihn augenblicklich der letzte Satz, der ihn auf die unbehag-
lichste Weise an die sogenannte Gerechtigkeit eriitnerte. Die Tauffkirchen —
welcher Torheit wäre ein verliebtes, geschweige dein, ein unglücklich verliebtes
Frauenzimmer nicht fähig? — die Tauffkirchen dachte offenbar daran, sich bei
irgendwem zu beklagen,- dieser „Irgendwer" konnte letzten Endes nur der
Kurfürst sein... Dem Leutnant von Thaller wurde schwül zumute. Er wußte
sich keinen andern Rat, als wieder zu piosasque zu laufen.
„Sie müssen aber mit ihr sprechen!" sagte der Alte, „der Kurfürst
darf nichts von der Sache erfahren!"
„Gut!" antwortete Thaller entschlossen, „ich werde morgen selber zu ihr
gehen und einen Fußfall tun."
piosasque schüttelte den Kopf. „Den Fußfall heben Sie sich für eine
bessere Gelegenheit auf. Die Kurfürstin fährt morgen mit dem frühesten auf
ein paar Tage nach Dachau. Ich werde dafür sorgen, daß die Tauffkirchen
zum Gefolge gehört. Auf diese Welse schaffen wir sie wenigstens für kurze
Zeit aus München weg. Das weitere wird sich finden. Lassen Sie mir Zeit.
Je gefährlicher die Lage ist, desto ruhiger muß man bleiben. Mein Gott —
und dies alles um das bißchen Liebe!!" (Fortsetzung folgt)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das glückselige Flötenspiel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4188, S. 226
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg