DIE RÄTSELVOLLE PRINZESSIN / Von Richard Rieß
Im fernen Lande, zwei Meilen hinter Himmelfahrt, wohnte und
herrschte König Klabrias, der Glückliche Es war ein Märchenland
und ein Märchenkönig, und so waren denn auch die Reichtümer des
Königs Klabrias geradezu märchenhaft. König Klabrias hätte auch
König Superlativ heißen können, denn alles, was er besaß und was
in seiner Umgebung atmete, war höchste Potenz. Seine Schäfte waren
die größten, seine Edelsteine die strahlendsten, aber auch seine Güte die
ungewöhnlichste und seine Gattin die dickste. Da Königin Mastasia
einen Bubikopf trug — natürlich, wie es sich ziemte, den bübischsten -
glich sie Herakles, dem Halbgotte.
Auch eine Tochter besaß König Klabrias, und die war feen-
haft schön. Sie war wie eine Gazelle gewachsen, und in ihrem
edlen Antlitze standen zwei Augen, die tief waren wie ein Berg-
see. In diesen Augen aber stand das Rätsel, und so nannte
man sie »die rätselvolle Prinzessin". Und weil sie auf ihre
Rätselhaftigkeit gar so stolz war, wollte sie nicht dulden, daß ein
Mann sie enträtsele, und so schlug sie alle Werbungen der edel-
sten und klügsten Prinzen aus. König Klabrias war das gar
nicht recht. Er dachte oft, wenn er so einsam auf seinem Thron-
sessel saß und der Mittagsschlaf durchaus nicht kommen wollte:
»Warum muß ich, ein Märchcnkönig, eine Tochter von gar so proble-
matischer Batur haben! Meine Tochter hat, als modernes Mädchen,
in punkto Ehe das aktive Wahlrecht. Aber Wahlrecht ist doch auch
Wahlpflicht, und da der liebe Gott mir den Sohn versagt hat,
sollte meine liebe Tochter mir wenigstens den Schwiegersohn schen-
ken. Aber sie-es sind wirklich schwere Rätsel, die sie mir aufgibk!"
Da kletterte
der König von
seinem Throne
herab und begab
sich in des Töch-
terchens Keme-
nate und Hub
also zu reden an:
„Liebe Eharadia,
schon wieder ha-
ben mir einige
Prinzen Bewer-
bungsschreiben
um deine Hand
eingereicht. Es
sind einige Her-
ren darunter, die
nicht nur eine
prächtige Handschrift, sondern auch höchst komfortable Königreiche ihr
eigen nennen, und so meine ich, du solltest dich endlich entscheiden. Rätsel-
haftigkeit ist ja recht nett und außerdem die große Mode, aber — was
nützt dir das, wenn als Ergebnis schließlich eine — alte Jungfer heraus-
kommt? Ich bitte dich also, endlich mal eine Entscheidung zu treffen."
Da richtete Charadia ihre Rätselaugen auf ihren königlichen Papa
und sagte: »Wie du befiehlst, mein Gebieter. Bur gestatte mir die
Rechte in Anspruch zu nehmen, die Märchenprinzessinnen der Über-
lieferung gemäß haben: Ich will meinen Zukünftigen auf die Probe
stellen. Du weißt, daß es in unseren Kreisen üblich ist, den Heirats-
kandidaten drei Aufgaben oder drei Rätsel vorzulegen, deren Lösung
zur Hochzeit, deren Bichtlösung aber zum Tode führt. Sage das
meinen Bewerbern. Da in der Liebe so mancher den Kopf verliere,
werden sie den ihren leicht als Preis wagen. Sichere ihnen schmerz-
lose Operation zu. Mit Barkose meinetwegen."
„Du willst ihnen also Rätsel aufgeben. Ist das nicht ein bißchen
abgebraucht?"
„Gewiß will ich ihnen Rätsel aufgeben. Drei Rätsel, einen Rössel-
sprung, ein Silbenrätsel und eines mit Kreuzworten. Jeden Tag eines.
Und den ganzen Tag müssen sie in einsamer Zelle sitzen, tatenlos und
ohne den kleinsten Roman."
„Und da meinst du, sie werden die Rätsel nicht lösen? Heute, wo
doch fast jede Zeitung eine Rätselecke hat und jeder Zeitgenosse sozu-
sagen von Amts wegen aufs Rätselraten dressiert ist?"
»Sie sollen die Rätsel ja gar nicht raten. Sic dürfen sie nicht
raten. Bicht mal den Versuch machen dürfen sie. Bur wer die drei
Rätsel drei Tage lang liegen zu lassen vermag, ohne auch nur eine
Tabelle für die Worte der Lösung gemacht zu haben, wird inein Gatte
werden. Denn, königlicher Vater: nur die Ehe ist gut, in der die
Frau für den Mann dauernd etwas Geheimes, Ungelöstes behält.
Bur der Mann wird ein guter Ehemann sein, der dies Geheimnis
seiner Frau achtet."
Vor solchen Worten seiner modernen Tochter blieb dem guten
König Klabrias der Verstand stehen. Drei Rätsel, die nicht gelöst
werden dürfen? Aber er fügte sich dein Willen seines Kindes und
ging hin und gab Auftrag, noch gleichen Tages die Verlobungsaus-
schreibung derrätselvollenPrinzessin Charadia durch Rundfunk bekannt-
zugeben.
Man kann sich denken, welches Aufsehen diese Mitteilung erregte.
Alle Rätselonkels fühlten sich in ihren heiligsten Gefühlen verletzt.
Rätsel nicht lösen dürfen? Sie nahmen bekümmert den Kopfhörer
ab. Wenn das jetzt Mode würde? Da stünden ja Ex-is-ten-zcn auf
dem Spiele!!
Vor dem Schlosse des Königs Klabriaö aber standen die Prinzen
„Schlange". Denn die Tochter eines Königs, der alles im Super-
lativ besaß, die war eine begehrte Partie.
Einer nach dem anderen wurde der Prüfungskommission vorgeführt.
Zuerst Prinz Eric. Den Rösselsprung-Tag verbrachte er damit, das
Vermögen des Königs Klabrias in Inflationsmark umzurechnen. Da
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Im fernen Lande, zwei Meilen hinter Himmelfahrt, wohnte und
herrschte König Klabrias, der Glückliche Es war ein Märchenland
und ein Märchenkönig, und so waren denn auch die Reichtümer des
Königs Klabrias geradezu märchenhaft. König Klabrias hätte auch
König Superlativ heißen können, denn alles, was er besaß und was
in seiner Umgebung atmete, war höchste Potenz. Seine Schäfte waren
die größten, seine Edelsteine die strahlendsten, aber auch seine Güte die
ungewöhnlichste und seine Gattin die dickste. Da Königin Mastasia
einen Bubikopf trug — natürlich, wie es sich ziemte, den bübischsten -
glich sie Herakles, dem Halbgotte.
Auch eine Tochter besaß König Klabrias, und die war feen-
haft schön. Sie war wie eine Gazelle gewachsen, und in ihrem
edlen Antlitze standen zwei Augen, die tief waren wie ein Berg-
see. In diesen Augen aber stand das Rätsel, und so nannte
man sie »die rätselvolle Prinzessin". Und weil sie auf ihre
Rätselhaftigkeit gar so stolz war, wollte sie nicht dulden, daß ein
Mann sie enträtsele, und so schlug sie alle Werbungen der edel-
sten und klügsten Prinzen aus. König Klabrias war das gar
nicht recht. Er dachte oft, wenn er so einsam auf seinem Thron-
sessel saß und der Mittagsschlaf durchaus nicht kommen wollte:
»Warum muß ich, ein Märchcnkönig, eine Tochter von gar so proble-
matischer Batur haben! Meine Tochter hat, als modernes Mädchen,
in punkto Ehe das aktive Wahlrecht. Aber Wahlrecht ist doch auch
Wahlpflicht, und da der liebe Gott mir den Sohn versagt hat,
sollte meine liebe Tochter mir wenigstens den Schwiegersohn schen-
ken. Aber sie-es sind wirklich schwere Rätsel, die sie mir aufgibk!"
Da kletterte
der König von
seinem Throne
herab und begab
sich in des Töch-
terchens Keme-
nate und Hub
also zu reden an:
„Liebe Eharadia,
schon wieder ha-
ben mir einige
Prinzen Bewer-
bungsschreiben
um deine Hand
eingereicht. Es
sind einige Her-
ren darunter, die
nicht nur eine
prächtige Handschrift, sondern auch höchst komfortable Königreiche ihr
eigen nennen, und so meine ich, du solltest dich endlich entscheiden. Rätsel-
haftigkeit ist ja recht nett und außerdem die große Mode, aber — was
nützt dir das, wenn als Ergebnis schließlich eine — alte Jungfer heraus-
kommt? Ich bitte dich also, endlich mal eine Entscheidung zu treffen."
Da richtete Charadia ihre Rätselaugen auf ihren königlichen Papa
und sagte: »Wie du befiehlst, mein Gebieter. Bur gestatte mir die
Rechte in Anspruch zu nehmen, die Märchenprinzessinnen der Über-
lieferung gemäß haben: Ich will meinen Zukünftigen auf die Probe
stellen. Du weißt, daß es in unseren Kreisen üblich ist, den Heirats-
kandidaten drei Aufgaben oder drei Rätsel vorzulegen, deren Lösung
zur Hochzeit, deren Bichtlösung aber zum Tode führt. Sage das
meinen Bewerbern. Da in der Liebe so mancher den Kopf verliere,
werden sie den ihren leicht als Preis wagen. Sichere ihnen schmerz-
lose Operation zu. Mit Barkose meinetwegen."
„Du willst ihnen also Rätsel aufgeben. Ist das nicht ein bißchen
abgebraucht?"
„Gewiß will ich ihnen Rätsel aufgeben. Drei Rätsel, einen Rössel-
sprung, ein Silbenrätsel und eines mit Kreuzworten. Jeden Tag eines.
Und den ganzen Tag müssen sie in einsamer Zelle sitzen, tatenlos und
ohne den kleinsten Roman."
„Und da meinst du, sie werden die Rätsel nicht lösen? Heute, wo
doch fast jede Zeitung eine Rätselecke hat und jeder Zeitgenosse sozu-
sagen von Amts wegen aufs Rätselraten dressiert ist?"
»Sie sollen die Rätsel ja gar nicht raten. Sic dürfen sie nicht
raten. Bicht mal den Versuch machen dürfen sie. Bur wer die drei
Rätsel drei Tage lang liegen zu lassen vermag, ohne auch nur eine
Tabelle für die Worte der Lösung gemacht zu haben, wird inein Gatte
werden. Denn, königlicher Vater: nur die Ehe ist gut, in der die
Frau für den Mann dauernd etwas Geheimes, Ungelöstes behält.
Bur der Mann wird ein guter Ehemann sein, der dies Geheimnis
seiner Frau achtet."
Vor solchen Worten seiner modernen Tochter blieb dem guten
König Klabrias der Verstand stehen. Drei Rätsel, die nicht gelöst
werden dürfen? Aber er fügte sich dein Willen seines Kindes und
ging hin und gab Auftrag, noch gleichen Tages die Verlobungsaus-
schreibung derrätselvollenPrinzessin Charadia durch Rundfunk bekannt-
zugeben.
Man kann sich denken, welches Aufsehen diese Mitteilung erregte.
Alle Rätselonkels fühlten sich in ihren heiligsten Gefühlen verletzt.
Rätsel nicht lösen dürfen? Sie nahmen bekümmert den Kopfhörer
ab. Wenn das jetzt Mode würde? Da stünden ja Ex-is-ten-zcn auf
dem Spiele!!
Vor dem Schlosse des Königs Klabriaö aber standen die Prinzen
„Schlange". Denn die Tochter eines Königs, der alles im Super-
lativ besaß, die war eine begehrte Partie.
Einer nach dem anderen wurde der Prüfungskommission vorgeführt.
Zuerst Prinz Eric. Den Rösselsprung-Tag verbrachte er damit, das
Vermögen des Königs Klabrias in Inflationsmark umzurechnen. Da
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die rätselvolle Prinzessin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4189, S. 233
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg