folgen, um mir das Leben vollends zu vergällen! Wollen Sie, daß ich um
Hilfe rufe?"
Thaller war sonst gegenüber Frauen gewiß kein Held, und eine Gewitter-
wolke auf der Stirn eines jungen Mädchens konnte ihn sehr unsicher machen.
Diesmal aber wußte er, was auf dem Spiele stand, und fühlte sich sonder-
barerweise um so ruhiger, je aufgeregter die Tauffkirchen das Köpfchen hin
und her wendete. — „Man würde Ihre Hilferufe wahrscheinlich nicht verstehen,
Gräfin," sagte er, „denn niemand weiß, was sich ereignet hat, und getan
Hab' ich Ihnen ja nichts."
«So?" fragte sie flammend, „getan haben Sic mir nichts? Nennen Sie
es nichts, wenn man einen Menschen umbringt?"
„Wer ist denn umgebracht worden?" fragte er, beinahe lächelnd.
„Fast umgebracht wenigstens!" antwortete sie immer zorniger.
„Ich höre, daß der Chevalier morgen wieder spazierengehen wird. Leichen
pflegen dies im allgemeinen nicht zu tun."
„Spotten Sie auch noch? Und warum haben Sie ihn umgebracht. ..
fast umgebracht? Meinetwegen!"
„Natürlich!" sagte Thaller mit Seelenruhe.
„Sie finden das natürlich?"
„Ihretwegen würde ich sogar den Teufel in den Schwanz zwicken, obgleich
er dies sehr übelnehmen soll. Dagegen ist meine Affäre mit Mazctte eine
Kleinigkeit,- reden wir nicht weiter davon!"
„Ich muß aber davon reden!"
„Nur mit mir, Gräfin, wenn ich bitten darf!" sagte er nachdrücklich, „eben
deshalb Hab' ich Sie gesucht. Ich muß Sie bitten, niemandem, wer cs auch
sei, von dieser Sache zu erzählen." Thaller gab einige Erklärungen dazu.
„So?" sagte die Tauffkirchen wieder, „ich soll Ihre Untat aucb noch ver-
bergen helfen?"
„Wär cs Ihnen lieb, in eine große Skandalgeschichte hineingezogen zu
werden?"
„Nein - ", sagte sie, zum ersten Male ruhiger und überlegend. „Gewiß
nicht. Auch steht es uns Menschen übel an, den Richter zu spielen."
„Hierin bin ich völlig Ihrer Meinung!" erwiderte er lächelnd.
„Wenn es eine ewige Gerechtigkeit gibt — "
„ — so bin ich außer Sorge.- Der liebe Gott, Gräfin, sieht bekanntlich das
Herz an."
„Das wird bei Ihnen, Herr von Thaller, ein recht liebliches Bild sein!"
„Ohne Zweifel, da mein Herz durchaus von Ihnen erfüllt ist!"
„Ihr Benehmen —"
„ — ist das eines Mannes, der liebt und keineswegs daran denkt, das
Feld zu räumen — vor allem nicht vor einem französischen Windhund, von
dem Sie nicht einmal wissen - "
„Genug!" sagte die Tauffkirchen, heftig errötend. Sie dachte an die abscheu-
lichen Minuten im Borzimmer des Chevaliers, an ihre grenzenlose Ent-
täuschung und an die Einsamkeit, die sie seitdem empfand.
Der Leutnant fühlte, daß er im richtigen Punkt eingesetzt hatte. „Ich
werde ihn doch noch totschlagen!" sagte er.
„Thaller!" erwiderte sie, ganz ruhig und milde. Er blickte verwundert
auf und erkannte in ihren Augen etwas Bittendes, eine kleine Angst und
ein kleines Lächeln. Die Gräfin machte eine kleine Bewegung. „Gehen Sie
jetzt, Herr von Thaller —!"
„Nicht mehr beladen mit Ihrem Groll?"
„Wenn Sie mir versprechen, sich zu benehmen wie ein vernünftiger
Mensch!"
„Ich verspreche alles, was Sie wollen!"
„Dann — dann begegnen wir einander vielleicht noch einmal."
„Das hoff' ich zuversichtlich, Gräfin!" sagte er und verließ die Stelle
dieses sonderbaren Zweikampfes mit dem sicheren Gefühl, Sieger geblieben
zu sein. Insgeheim wunderte er sich iminer noch darüber, wie in Gegen-
wart der Tauffkirchen ein anderer Mensch iir ihm wach wurde, ein anderer
Thaller, der gar nicht unbeholfen war und dessen Geist mit einem schnellen
Flügelschlage über die Erdschwere hinwegkam.
Thaller hielt sich darauf bescheiden im Hintergründe, bis vor dem
Schlosse die Wagen bereitstanden. An den weißen Mauern leuchtete golden
und rosenfarb das Abcndlicht, während unten die gottgesegnete Ebene von
einem Schimmerglast übersponnen war, der mählich erlosch wie der immer
veilchenblauere Himmel. Die Dörfer fangen sich das Ave zu.
Da begannen die vier kurfürstlichen Kutschen Öen Dachauer Berg hinab-
zuknirschen, eskortiert von einem Leutnant und sechs Mann, wobei es freilich
ein wenig unvorschriftsmäßig war, daß der Leutnant nicht an der Spitze
und neben jenem Wagen ritt, in dem die Kurfürstin saß, sondern daß er den
Nach-Trab bildete - denn die Gräfin Tauffkirchen saß in dem letzten Wagen.
Die Plätze im Fond hakten zwei rangältere Damen, so daß sie ganz allein
nach rückwärts blickte, wo nun auch das Schlößchen in Dämmerung erlosch.
Bielletcht kam es von dem wundervollen Frieden dieses Sommerabends,
daß ihre Augen so ruhig und gar nicht mehr feindselig waren. Wenigstens
flammte sie den Leutnant, der sein Pferd dicht hinter der Kutsche hielt, nicht
mehr an, sondern betrachtete ihn mit leiser Nachdenklichkeit. (Forts, folgt)
238
Hilfe rufe?"
Thaller war sonst gegenüber Frauen gewiß kein Held, und eine Gewitter-
wolke auf der Stirn eines jungen Mädchens konnte ihn sehr unsicher machen.
Diesmal aber wußte er, was auf dem Spiele stand, und fühlte sich sonder-
barerweise um so ruhiger, je aufgeregter die Tauffkirchen das Köpfchen hin
und her wendete. — „Man würde Ihre Hilferufe wahrscheinlich nicht verstehen,
Gräfin," sagte er, „denn niemand weiß, was sich ereignet hat, und getan
Hab' ich Ihnen ja nichts."
«So?" fragte sie flammend, „getan haben Sic mir nichts? Nennen Sie
es nichts, wenn man einen Menschen umbringt?"
„Wer ist denn umgebracht worden?" fragte er, beinahe lächelnd.
„Fast umgebracht wenigstens!" antwortete sie immer zorniger.
„Ich höre, daß der Chevalier morgen wieder spazierengehen wird. Leichen
pflegen dies im allgemeinen nicht zu tun."
„Spotten Sie auch noch? Und warum haben Sie ihn umgebracht. ..
fast umgebracht? Meinetwegen!"
„Natürlich!" sagte Thaller mit Seelenruhe.
„Sie finden das natürlich?"
„Ihretwegen würde ich sogar den Teufel in den Schwanz zwicken, obgleich
er dies sehr übelnehmen soll. Dagegen ist meine Affäre mit Mazctte eine
Kleinigkeit,- reden wir nicht weiter davon!"
„Ich muß aber davon reden!"
„Nur mit mir, Gräfin, wenn ich bitten darf!" sagte er nachdrücklich, „eben
deshalb Hab' ich Sie gesucht. Ich muß Sie bitten, niemandem, wer cs auch
sei, von dieser Sache zu erzählen." Thaller gab einige Erklärungen dazu.
„So?" sagte die Tauffkirchen wieder, „ich soll Ihre Untat aucb noch ver-
bergen helfen?"
„Wär cs Ihnen lieb, in eine große Skandalgeschichte hineingezogen zu
werden?"
„Nein - ", sagte sie, zum ersten Male ruhiger und überlegend. „Gewiß
nicht. Auch steht es uns Menschen übel an, den Richter zu spielen."
„Hierin bin ich völlig Ihrer Meinung!" erwiderte er lächelnd.
„Wenn es eine ewige Gerechtigkeit gibt — "
„ — so bin ich außer Sorge.- Der liebe Gott, Gräfin, sieht bekanntlich das
Herz an."
„Das wird bei Ihnen, Herr von Thaller, ein recht liebliches Bild sein!"
„Ohne Zweifel, da mein Herz durchaus von Ihnen erfüllt ist!"
„Ihr Benehmen —"
„ — ist das eines Mannes, der liebt und keineswegs daran denkt, das
Feld zu räumen — vor allem nicht vor einem französischen Windhund, von
dem Sie nicht einmal wissen - "
„Genug!" sagte die Tauffkirchen, heftig errötend. Sie dachte an die abscheu-
lichen Minuten im Borzimmer des Chevaliers, an ihre grenzenlose Ent-
täuschung und an die Einsamkeit, die sie seitdem empfand.
Der Leutnant fühlte, daß er im richtigen Punkt eingesetzt hatte. „Ich
werde ihn doch noch totschlagen!" sagte er.
„Thaller!" erwiderte sie, ganz ruhig und milde. Er blickte verwundert
auf und erkannte in ihren Augen etwas Bittendes, eine kleine Angst und
ein kleines Lächeln. Die Gräfin machte eine kleine Bewegung. „Gehen Sie
jetzt, Herr von Thaller —!"
„Nicht mehr beladen mit Ihrem Groll?"
„Wenn Sie mir versprechen, sich zu benehmen wie ein vernünftiger
Mensch!"
„Ich verspreche alles, was Sie wollen!"
„Dann — dann begegnen wir einander vielleicht noch einmal."
„Das hoff' ich zuversichtlich, Gräfin!" sagte er und verließ die Stelle
dieses sonderbaren Zweikampfes mit dem sicheren Gefühl, Sieger geblieben
zu sein. Insgeheim wunderte er sich iminer noch darüber, wie in Gegen-
wart der Tauffkirchen ein anderer Mensch iir ihm wach wurde, ein anderer
Thaller, der gar nicht unbeholfen war und dessen Geist mit einem schnellen
Flügelschlage über die Erdschwere hinwegkam.
Thaller hielt sich darauf bescheiden im Hintergründe, bis vor dem
Schlosse die Wagen bereitstanden. An den weißen Mauern leuchtete golden
und rosenfarb das Abcndlicht, während unten die gottgesegnete Ebene von
einem Schimmerglast übersponnen war, der mählich erlosch wie der immer
veilchenblauere Himmel. Die Dörfer fangen sich das Ave zu.
Da begannen die vier kurfürstlichen Kutschen Öen Dachauer Berg hinab-
zuknirschen, eskortiert von einem Leutnant und sechs Mann, wobei es freilich
ein wenig unvorschriftsmäßig war, daß der Leutnant nicht an der Spitze
und neben jenem Wagen ritt, in dem die Kurfürstin saß, sondern daß er den
Nach-Trab bildete - denn die Gräfin Tauffkirchen saß in dem letzten Wagen.
Die Plätze im Fond hakten zwei rangältere Damen, so daß sie ganz allein
nach rückwärts blickte, wo nun auch das Schlößchen in Dämmerung erlosch.
Bielletcht kam es von dem wundervollen Frieden dieses Sommerabends,
daß ihre Augen so ruhig und gar nicht mehr feindselig waren. Wenigstens
flammte sie den Leutnant, der sein Pferd dicht hinter der Kutsche hielt, nicht
mehr an, sondern betrachtete ihn mit leiser Nachdenklichkeit. (Forts, folgt)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das glückselige Flötenspiel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4189, S. 238
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg