(4. Forts.)
CDas gfüctcfefige cF[öienfpie[
<Sine Sfl/tmüncßner &ofgefcBiefite von £fforft cWoffram Seißfer
(Der Leutnant von Thaller liebt die Hofdame Gräfin Tauffkirchen. Liber
ihre Gefühle noch nicht im klaren, hat er doch schon ihre Verzeihung für ein
Eifersuchtsduell erbeten und erhalten.)
Uber den Kiefcrnwäldchen im Moose hob der Mond seine Laterne. -
Im smaragdnen Dunkel kamen die Reisenden nach der Stadt. Thaller
verabschiedete sich, musterte seine sechsköpfige Streitmacht noch einmal und
schickte sie unter Führung des Korporals in die Kaserne. Er selber schaute
in die Stube der Rcsidenzwache hinein, wo er zu seinem herzlichen Ver-
gnügen als Wachhabenden den Leutnant pezmüller entdeckte, der damit
beschäftigt war, Fliegen zu sangen, da er annahm, daß ein Anschlag auf das
Leben des Kurfürsten in dieser Rächt kaum zu befürchten sei.
Thaller, noch immer glücklich beschwingt und in der Laune, das Schicksal
beim Schopfe zu fassen, machte pezmüller den Vorschlag, ihm die Wache für
diese Rächt abzutreten. Jener war mit dem Einsall höchlich einverstanden,
hatte jedoch Bedenken wegen der Dienstwidrigkeit.
„Mensch!" sagte Thaller und leuchtete ihm ins Gesicht, „du bist ja sterbens-
blaß ! Du bist krank, du hast Anfälle! Wahrscheinlich kommt es von der Hitze
— aber gleichviel: du kannst unmöglich deinen anstrengenden Dienst tun.
Du mußt schleunig ins Bett, verstanden?"
„Wahrhaftig," antwortete pezmüller zwinkernd, „den ganzen Tag über
fühlt' ich schon ein trockenes Brennen in der Kehle! Run, da du es sagst,
kommt's mir erst zum Bewußtsein. Ratürlich muß ich ins Bett! Herr Leut-
nant von Thaller, Sie übernehmen die Wache —!!"
„Befehl!" sagte Thaller streng dienstlich und löste den Schwerkranken mit
kamcradschastlicher Bereitwilligkeit ab. Dies alles geschah in weniger als zehn
Minuten. Dann schnallte er öas Koppel
ab und kümmelte sich an den kahlen
Tisch, auf dem zwischen eingetrockne-
ten Bierkrug-Ringen und Brotkrumen
die zahlreichen, von pezmüller noch
nicht verhafteten Fliegen promenierten.
Rebcnan schnarchten die Soldaten auf
ihren Pritschen.
Draußen wurde die Rächt stiller und
tiefer. Von der Theatinerkirche klang
der Stundenschlag herüber. Thaller schneuzte die Öllampe, rückte sie näher
und begann, in einem zerlesenen Hefte die Dienstvorschrift zu studieren. Er
überzeugte sich, daß der wachhabende Offizier die Berechtigung hatte, sämt-
liche Höfe und Gänge der Residenz zu kontrollieren, wenn er etwas Ver-
dächtiges bemerkt 311 haben glaubte.
Es dauerte nicht lange, so glaubte der Leutnant in der Tat, etwas Ver-
dächtiges bemerkt zu haben,- er setzte den Dreispitz aus, schnallte um und ver-
ließ die Stube, beseelt vom Geiste treuester Pflichterfüllung. Das betreffende
Verdächtige schien ihm in der Richtung des sogenannten Damenganges bemerk-
bar zu sein, wo das Gefolge der Kurfürstin seine Zimmer hatte. Wenigstens
war dort noch Licht zu sehen. Thaller schlendcrte dahin, wobei er seinen soldati-
schen Schritt nach Möglichkeit dämpfte, und horchte pflichtgetreu an mehreren
Türen — ja, er blickte sogar voll Aufopferung gelegentlich durch ein Schlüssel-
loch, bis er endlich das Zimmer der Gräfin Tauffkirchen festgestellt zu haben
glaubte. Hier faßte er Posten und trat ans Korridorfenster.
Drunten lag der Brunnenhos im silbernen Mondlicht, und alles war so
sriedevoll und schlafselig, daß man meinen konnte, das Unglück habe die
geplagte Erde verlassen, und ein Paradies träume sich in neuer Reinheit
heraus. Und trotzdem — dachte der Leutnant — lauerte gerade in dieser Ruhe
bisweilen das Unheil,- im Zimmer der Gräfin Tauffkirchen brannte noch
Licht,- Thaller erinnerte sich daran, daß vor achtzig Jahren das Hoffräu-
lein de la Perouse über dem Beten eingeschlasen war - die Kerzenflamme
hatte den Bettvorhang ergriffen, und ein schrecklicher Brand war die Folge
gewesen. Hm, hm! Ob er ein wenig an die Tür der kleinen Gräfin klopfte?
Rur ein wenig ... ganz leise...
Es gibt sonderbare, kaum glaubliche Zufälle. Einer von ihnen ereignete
sich in diesem Augenblick. Während nämlich der pflichtgetreue Thaller noch
zauderte — öffnete sich die bewußte Tür, und heraus trat Madeleine Tauff-
kirchen oder ihr Gespenst (genau konnte er es in der Dunkelheit nicht so
geschwind ausmachen) Jedenfalls trug die
Erscheinung einen langen weißen Frisier-
mantel und fuhr beim unvermuteten An-
blick eines Mannes erschrocken zusammen,
woraus Thaller schloß, daß es doch kein
richtiges Gespenst sei.
In dieser Vermutung wurde er dadurch
bestärkt, daß die weiße Gestalt nach eini-
gem Zögern rief: „Offizier!" Es war die
Stimme der Tauffkirchen.
„Gräfin — ?" antwortete er ebenso leise.
„Mein Gott!!" flüsterte sie, „was tun
Sie hier?"
„Es wäre indiskret, die gleiche Frage
an Sie zu richten", sagte er.
Madelcine Tauffkirchen trat einen Schritt näher. „Wissen Sie denn
nicht -"
Er wollte antworten: er wisse nur eines, nämlich, daß er sie liebe. Aber
in ihrer Stimme lag eine so große Angst, daß er schwieg und nur den Kopf
schüttelte.
„Der Kurfürst hat von Ihrem Handel mit dem Chevalier erfahren — "
„Verflucht -"
„Er ist außer sich vor Zorn. Man war heute nachmittag in Ihrer Wohnung,
um Sie zu verhaften — ein Glück, daß Sie uns begleitet haben!"
In Thallers Gehirn war ein großer Wirbel. Er begriff die Gefahr, die
ihm drohte. Aber er hörte auch, daß die Gräfin zitternd sagte „ein Glück",
und dieses Wort war ein so herrliches Geschenk für ihn, daß er darüber
alles andere vergaß. „Run," sagte er fast übermütig, „dann Hab' ich ja das
Klügste getan, als ich hier die Wache übernahm,- denn in seiner eigenen Höhle
wird mich der Löwe wohl nicht suchen."
„Sie sind toll!" bebte sie, „fliehen Sie doch! Bringen Sie sich für ein
paar Tage in Sicherheit, bis alles aufgeklärt ist!"
„Wie sollte das auch möglich sein?"
„Vielleicht kann i ch — "
„Sie?"
„Mein Gott, ja ...! Man muß einen Weg finden. Es wäre zu schrecklich,
wenn — aber Sie werden alles verderben, Thaller! Sie werden sich unglück-
lich machen — und mich dazu!"
„Sie?" fragte er wieder und vergaß alle Vorsicht, „versteh' ich denn?
Sie kümmern sich um mich, Gräfin? Dann lieben Sie mich ja... ?"
„Ich glaube-l" sagte sie verzweifelt und sehr verwirrt, „aber das
geht Sie gar nichts an ... inachen Sie doch nur, daß Sie fortkommen, um
Himmels willen!"
„Und wann hör' ich wieder von Ihnen?"
„Das weiß ich nicht. Gehen Sie doch nur!"
„Geben Sie mir eine kleine Hoffnung mit, Gräfin — oder ich bleibe!"
„Übermorgen ist der elfte Juli, der Geburtstag Mar Emanuels. Der
Kurfürst hat ein Gartenfest in Rymphenburg befohlen. Ich werde sehen,
daß ich mit ihm reden kann. Aber jetzt fort, Thaller, ich beschwöre Sie!"
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<Sine Sfl/tmüncßner &ofgefcBiefite von £fforft cWoffram Seißfer
(Der Leutnant von Thaller liebt die Hofdame Gräfin Tauffkirchen. Liber
ihre Gefühle noch nicht im klaren, hat er doch schon ihre Verzeihung für ein
Eifersuchtsduell erbeten und erhalten.)
Uber den Kiefcrnwäldchen im Moose hob der Mond seine Laterne. -
Im smaragdnen Dunkel kamen die Reisenden nach der Stadt. Thaller
verabschiedete sich, musterte seine sechsköpfige Streitmacht noch einmal und
schickte sie unter Führung des Korporals in die Kaserne. Er selber schaute
in die Stube der Rcsidenzwache hinein, wo er zu seinem herzlichen Ver-
gnügen als Wachhabenden den Leutnant pezmüller entdeckte, der damit
beschäftigt war, Fliegen zu sangen, da er annahm, daß ein Anschlag auf das
Leben des Kurfürsten in dieser Rächt kaum zu befürchten sei.
Thaller, noch immer glücklich beschwingt und in der Laune, das Schicksal
beim Schopfe zu fassen, machte pezmüller den Vorschlag, ihm die Wache für
diese Rächt abzutreten. Jener war mit dem Einsall höchlich einverstanden,
hatte jedoch Bedenken wegen der Dienstwidrigkeit.
„Mensch!" sagte Thaller und leuchtete ihm ins Gesicht, „du bist ja sterbens-
blaß ! Du bist krank, du hast Anfälle! Wahrscheinlich kommt es von der Hitze
— aber gleichviel: du kannst unmöglich deinen anstrengenden Dienst tun.
Du mußt schleunig ins Bett, verstanden?"
„Wahrhaftig," antwortete pezmüller zwinkernd, „den ganzen Tag über
fühlt' ich schon ein trockenes Brennen in der Kehle! Run, da du es sagst,
kommt's mir erst zum Bewußtsein. Ratürlich muß ich ins Bett! Herr Leut-
nant von Thaller, Sie übernehmen die Wache —!!"
„Befehl!" sagte Thaller streng dienstlich und löste den Schwerkranken mit
kamcradschastlicher Bereitwilligkeit ab. Dies alles geschah in weniger als zehn
Minuten. Dann schnallte er öas Koppel
ab und kümmelte sich an den kahlen
Tisch, auf dem zwischen eingetrockne-
ten Bierkrug-Ringen und Brotkrumen
die zahlreichen, von pezmüller noch
nicht verhafteten Fliegen promenierten.
Rebcnan schnarchten die Soldaten auf
ihren Pritschen.
Draußen wurde die Rächt stiller und
tiefer. Von der Theatinerkirche klang
der Stundenschlag herüber. Thaller schneuzte die Öllampe, rückte sie näher
und begann, in einem zerlesenen Hefte die Dienstvorschrift zu studieren. Er
überzeugte sich, daß der wachhabende Offizier die Berechtigung hatte, sämt-
liche Höfe und Gänge der Residenz zu kontrollieren, wenn er etwas Ver-
dächtiges bemerkt 311 haben glaubte.
Es dauerte nicht lange, so glaubte der Leutnant in der Tat, etwas Ver-
dächtiges bemerkt zu haben,- er setzte den Dreispitz aus, schnallte um und ver-
ließ die Stube, beseelt vom Geiste treuester Pflichterfüllung. Das betreffende
Verdächtige schien ihm in der Richtung des sogenannten Damenganges bemerk-
bar zu sein, wo das Gefolge der Kurfürstin seine Zimmer hatte. Wenigstens
war dort noch Licht zu sehen. Thaller schlendcrte dahin, wobei er seinen soldati-
schen Schritt nach Möglichkeit dämpfte, und horchte pflichtgetreu an mehreren
Türen — ja, er blickte sogar voll Aufopferung gelegentlich durch ein Schlüssel-
loch, bis er endlich das Zimmer der Gräfin Tauffkirchen festgestellt zu haben
glaubte. Hier faßte er Posten und trat ans Korridorfenster.
Drunten lag der Brunnenhos im silbernen Mondlicht, und alles war so
sriedevoll und schlafselig, daß man meinen konnte, das Unglück habe die
geplagte Erde verlassen, und ein Paradies träume sich in neuer Reinheit
heraus. Und trotzdem — dachte der Leutnant — lauerte gerade in dieser Ruhe
bisweilen das Unheil,- im Zimmer der Gräfin Tauffkirchen brannte noch
Licht,- Thaller erinnerte sich daran, daß vor achtzig Jahren das Hoffräu-
lein de la Perouse über dem Beten eingeschlasen war - die Kerzenflamme
hatte den Bettvorhang ergriffen, und ein schrecklicher Brand war die Folge
gewesen. Hm, hm! Ob er ein wenig an die Tür der kleinen Gräfin klopfte?
Rur ein wenig ... ganz leise...
Es gibt sonderbare, kaum glaubliche Zufälle. Einer von ihnen ereignete
sich in diesem Augenblick. Während nämlich der pflichtgetreue Thaller noch
zauderte — öffnete sich die bewußte Tür, und heraus trat Madeleine Tauff-
kirchen oder ihr Gespenst (genau konnte er es in der Dunkelheit nicht so
geschwind ausmachen) Jedenfalls trug die
Erscheinung einen langen weißen Frisier-
mantel und fuhr beim unvermuteten An-
blick eines Mannes erschrocken zusammen,
woraus Thaller schloß, daß es doch kein
richtiges Gespenst sei.
In dieser Vermutung wurde er dadurch
bestärkt, daß die weiße Gestalt nach eini-
gem Zögern rief: „Offizier!" Es war die
Stimme der Tauffkirchen.
„Gräfin — ?" antwortete er ebenso leise.
„Mein Gott!!" flüsterte sie, „was tun
Sie hier?"
„Es wäre indiskret, die gleiche Frage
an Sie zu richten", sagte er.
Madelcine Tauffkirchen trat einen Schritt näher. „Wissen Sie denn
nicht -"
Er wollte antworten: er wisse nur eines, nämlich, daß er sie liebe. Aber
in ihrer Stimme lag eine so große Angst, daß er schwieg und nur den Kopf
schüttelte.
„Der Kurfürst hat von Ihrem Handel mit dem Chevalier erfahren — "
„Verflucht -"
„Er ist außer sich vor Zorn. Man war heute nachmittag in Ihrer Wohnung,
um Sie zu verhaften — ein Glück, daß Sie uns begleitet haben!"
In Thallers Gehirn war ein großer Wirbel. Er begriff die Gefahr, die
ihm drohte. Aber er hörte auch, daß die Gräfin zitternd sagte „ein Glück",
und dieses Wort war ein so herrliches Geschenk für ihn, daß er darüber
alles andere vergaß. „Run," sagte er fast übermütig, „dann Hab' ich ja das
Klügste getan, als ich hier die Wache übernahm,- denn in seiner eigenen Höhle
wird mich der Löwe wohl nicht suchen."
„Sie sind toll!" bebte sie, „fliehen Sie doch! Bringen Sie sich für ein
paar Tage in Sicherheit, bis alles aufgeklärt ist!"
„Wie sollte das auch möglich sein?"
„Vielleicht kann i ch — "
„Sie?"
„Mein Gott, ja ...! Man muß einen Weg finden. Es wäre zu schrecklich,
wenn — aber Sie werden alles verderben, Thaller! Sie werden sich unglück-
lich machen — und mich dazu!"
„Sie?" fragte er wieder und vergaß alle Vorsicht, „versteh' ich denn?
Sie kümmern sich um mich, Gräfin? Dann lieben Sie mich ja... ?"
„Ich glaube-l" sagte sie verzweifelt und sehr verwirrt, „aber das
geht Sie gar nichts an ... inachen Sie doch nur, daß Sie fortkommen, um
Himmels willen!"
„Und wann hör' ich wieder von Ihnen?"
„Das weiß ich nicht. Gehen Sie doch nur!"
„Geben Sie mir eine kleine Hoffnung mit, Gräfin — oder ich bleibe!"
„Übermorgen ist der elfte Juli, der Geburtstag Mar Emanuels. Der
Kurfürst hat ein Gartenfest in Rymphenburg befohlen. Ich werde sehen,
daß ich mit ihm reden kann. Aber jetzt fort, Thaller, ich beschwöre Sie!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das glückselige Flötenspiel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4190, S. 249
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg