DER WITZPRUFER / Von Fritz Müller = Partenkirdien
Erst war unser Stammtisch so gemütlich. Seitdem jedoch der
lange Mensch vom Nebentisch herübergrinst, ist's aus.
Für gewöhnlich grinst er nicht, sondern sitzt stocksteis und todernst
da. Erst wenn ein Witz an unsrem Stammtisch steigt —
Was nämlich Witze anbclangt, war unser Stammtisch hoch
berühmt. Wer in unsre Runde ausgenommen wurde, mußte zwei
Gesetze unterschreiben. Handschlag eins: Jeder Witz, ob ich ihn
mache oder ob er über andere gemacht wird, ist als sunkelnagelneu
zu werten. Handschlag zwei: Ich gelobe über jeden Witz zu lachen.
Der lange Fremde lachte nicht. Der langeFremde grinste. Wenn
einer über einen Witz grinst, ist's erträglich. Wenn einer über jeden
Witz grinst, rückt das Faustrecht nahe: „Warum grinsen Sie, mein
Herr?"
„24. Februar 1875", sagte der Lange sachlich.
Aha, verrückt. Mochte er weitergrinsen, denkt man. Aber schon
beim nächsten Grinsen denkt man anders. Kritik an unsren Witzen
nimmt man auch den Irren übel: „Herr, weshalb —"
„17. Dezember 1909."
„Herr, ich muß bitten - "
„Bitten Sie. Ich registriere."
„Was registrieren Sie?"
„Das Erstdrucksdatum Ihrer Witze. Ich bin Wihprüfer."
„Witzprüser, was ist das?"
„Ein Angestellter eines ersten Witzblattes, der auf dem einge-
sandten Witz anmerkt, ob und wann er schon einmal erschienen ist."
„Also will Ihr Grinsen wohl besagen, unsre Witze seien - "
„ — alt beziehungsweise uralt."
Unser Stammtisch kochte. Unsres Stammtisches Existenz stand auf
dem Spiele. Unser Stammtischvorstand mußte handeln.
„Mein Herr," sagte er mit verhalt'ner Würde, „Sie behaupten
also, daß Sie alle jemals in der Welt gemachten Witze kennen?"
„Kenn ich."
„Hm, und die neuen Witze - "
„Kenn' ich auch. Noch bevor man sie gemacht hat. Fassen Sie
sich, meine Herren, es gibt überhaupt nur siebzehn gute Witze. Alle
übrigen sind mehr oder minder gute Abwandlungen dieser siebzehn.
Ich bedaure das für Ihren Stammtisch ~ "
„13. November 1491", unterbrach ihn unser Vorstand.
Der Lange erbleichte: „Ich kann mich nicht erinnern —"
„24. Mai 1117, morgens elf ein viertel."
„Sollte nicht ein Irrtum — ", stotterte der Lange.
Aber unser Vorstand blieb jetzt auf der Höhe: „Sagen Sie mal.
Sie kennen doch die famose Anekdote von Friedrich dem Großen
und dem Bahnwärter?"
„S - selbst — selbstverständlich."
„Desto besser. Dann brauche ich sie Ihnen nicht erst zu erzählen,
nicht wahr?"
„Nein."
„Aber vielleicht erzählen Sie sie mir?"
„Ich?" gackste er, „ich sie Ihnen?"
„Sie sie mir," nickte unser Vorstand feierlich, „darf ich bitten,
zu beginnen — unser Stammtisch ist ganz Ohr."
Er gab sich einen Ruck: „Eine alte Geschichte — eigentlich zum
Lachen — sie steht in jedem Lesebuche, die Geschichte von Friedrich
dem Großen und dem Müller von Sanssouci —"
„Dem Bahnwärter von Sanssouci, meinen Sic wohl."
„N —natürlich dem Bahnwärter, meine ich."
„Dem Bahnwärter von Sanssouci?"
„Freilich, dem Bahnwärter — von — "
Ein Gelächter unterbrach ihn, ein schallendes Gelächter, unter
dem der Lange eilig das Lokal verließ.
Unser Stammtisch hatte ihn besiegt. - Warum?
Wie der kleine Moritz vom Hapa zum Geburtstag ein Skizzenbuch geschenkt erhielt mit dem Auftrag, „recht schöne Sachen, aber
nur nach der Natur" hineinzuzeichncn und — was dabei herauskam.
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Erst war unser Stammtisch so gemütlich. Seitdem jedoch der
lange Mensch vom Nebentisch herübergrinst, ist's aus.
Für gewöhnlich grinst er nicht, sondern sitzt stocksteis und todernst
da. Erst wenn ein Witz an unsrem Stammtisch steigt —
Was nämlich Witze anbclangt, war unser Stammtisch hoch
berühmt. Wer in unsre Runde ausgenommen wurde, mußte zwei
Gesetze unterschreiben. Handschlag eins: Jeder Witz, ob ich ihn
mache oder ob er über andere gemacht wird, ist als sunkelnagelneu
zu werten. Handschlag zwei: Ich gelobe über jeden Witz zu lachen.
Der lange Fremde lachte nicht. Der langeFremde grinste. Wenn
einer über einen Witz grinst, ist's erträglich. Wenn einer über jeden
Witz grinst, rückt das Faustrecht nahe: „Warum grinsen Sie, mein
Herr?"
„24. Februar 1875", sagte der Lange sachlich.
Aha, verrückt. Mochte er weitergrinsen, denkt man. Aber schon
beim nächsten Grinsen denkt man anders. Kritik an unsren Witzen
nimmt man auch den Irren übel: „Herr, weshalb —"
„17. Dezember 1909."
„Herr, ich muß bitten - "
„Bitten Sie. Ich registriere."
„Was registrieren Sie?"
„Das Erstdrucksdatum Ihrer Witze. Ich bin Wihprüfer."
„Witzprüser, was ist das?"
„Ein Angestellter eines ersten Witzblattes, der auf dem einge-
sandten Witz anmerkt, ob und wann er schon einmal erschienen ist."
„Also will Ihr Grinsen wohl besagen, unsre Witze seien - "
„ — alt beziehungsweise uralt."
Unser Stammtisch kochte. Unsres Stammtisches Existenz stand auf
dem Spiele. Unser Stammtischvorstand mußte handeln.
„Mein Herr," sagte er mit verhalt'ner Würde, „Sie behaupten
also, daß Sie alle jemals in der Welt gemachten Witze kennen?"
„Kenn ich."
„Hm, und die neuen Witze - "
„Kenn' ich auch. Noch bevor man sie gemacht hat. Fassen Sie
sich, meine Herren, es gibt überhaupt nur siebzehn gute Witze. Alle
übrigen sind mehr oder minder gute Abwandlungen dieser siebzehn.
Ich bedaure das für Ihren Stammtisch ~ "
„13. November 1491", unterbrach ihn unser Vorstand.
Der Lange erbleichte: „Ich kann mich nicht erinnern —"
„24. Mai 1117, morgens elf ein viertel."
„Sollte nicht ein Irrtum — ", stotterte der Lange.
Aber unser Vorstand blieb jetzt auf der Höhe: „Sagen Sie mal.
Sie kennen doch die famose Anekdote von Friedrich dem Großen
und dem Bahnwärter?"
„S - selbst — selbstverständlich."
„Desto besser. Dann brauche ich sie Ihnen nicht erst zu erzählen,
nicht wahr?"
„Nein."
„Aber vielleicht erzählen Sie sie mir?"
„Ich?" gackste er, „ich sie Ihnen?"
„Sie sie mir," nickte unser Vorstand feierlich, „darf ich bitten,
zu beginnen — unser Stammtisch ist ganz Ohr."
Er gab sich einen Ruck: „Eine alte Geschichte — eigentlich zum
Lachen — sie steht in jedem Lesebuche, die Geschichte von Friedrich
dem Großen und dem Müller von Sanssouci —"
„Dem Bahnwärter von Sanssouci, meinen Sic wohl."
„N —natürlich dem Bahnwärter, meine ich."
„Dem Bahnwärter von Sanssouci?"
„Freilich, dem Bahnwärter — von — "
Ein Gelächter unterbrach ihn, ein schallendes Gelächter, unter
dem der Lange eilig das Lokal verließ.
Unser Stammtisch hatte ihn besiegt. - Warum?
Wie der kleine Moritz vom Hapa zum Geburtstag ein Skizzenbuch geschenkt erhielt mit dem Auftrag, „recht schöne Sachen, aber
nur nach der Natur" hineinzuzeichncn und — was dabei herauskam.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Witzprüfer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4192, S. 268
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg