CÖas gfädtfefige ‘Tföienjpief
(Sine fflitmünchner SJfofgefcfcicßte von SJforft SjOoffram öeißfer
(Schluß)
57n dieser Stunde bekam es die
* kleine Gräfin Tauffkirchen mit der Angst
zu tun. liberalst erst in der Gesellschaft,
dann im park, hatte sie den Kurfürsten
gesucht, um ihre Fürbitte anzubringen.
Aber nirgends konnte sie ihn finden,-
höchstens, daß der oder jener ihr sagte:
der Herr sei vor kurzem da gewesen.
Nun lief sie sehr hastig und flatternd
zwischen den Bäumen herum, geriet an
die Badenburg und endlich in die Nähe
der Amalienburg. Die weißen Mauern
des Pavillons dämmerten noch durch das Laub. Die Gräfin hielt ein wenig inne,
um zu sehen, ob die Fenster vielleicht hell seien. Aber das Dunkel blieb ganz
verlassen, und sie wollte eben weitergehen, als ein sehr merkwürdiger und un-
heimlicher Zug üder den Parkweg herankam. Es waren ein paar Männer, von
denen zwei eine dichtverhangene Sänfte trugen. Keiner sprach ein Wort, und
der kleinen Tauffkirchen grauste fast, zumal sie in ihrer Aufregung überall Ge-
fahren und Gespenster sah. Mit verhaltenem Atem blieb sie stehen, ließ den
vermummten Zug vorüber und machte sich dann schleunig davon.
ImSchloß erfuhr sie, daß der Kurfürst vor wenigen Minuten fortgegangen
sei, wahrscheinlich nach der Amalienburg. Madeleine Tauffkirchen gab ihrem
kleinen Herzen einen Stoß und lief den Weg zurück, den sie hergekommen war.
Da stand die Amalienburg, und jetzt war auch Licht im Spkegelsaal. Durch
die weitgeöffnete Tür sah sie den brennenden Kronleuchter, dessen Glanz von
den Spiegelwänden widerschimmerte. Unter dem Kronleuchter saß mit ge-
kreuzten Beinen ein Türke, der gerade die Flöte an die Lippen gesetzt hatte,
ein wenig präludierte-und auf einmal begann das große Flauto-Solo,
o Himmel, das mit seinem herrlichen Schwingenschlag an allem schuld war.
Erstarrt vor Schrecken stand die Gräfin Tauffkirchen in der leise raunenden
Dunkelheit, sah und hörte den Flötenspieler, der, ganz versunken in seine
Musik, mitten im Spiegelsaale saß!
Es mußte, ja, es mußte ein Unglück geben. Dieser Wahnsinnige! Und
der Kurfürst, hatte man gesagt, war unterwegs nach der Amalienburg!!
Verzweifelt wagte sich die Tauffkirchen näher heran, huschte die Treppen-
stufen hinauf und lugte um den Türpfosten herum in den Saal.
„Thaller!" sagte sie leise, „Thaller!! Sind Sie denn ganz von Sinnen?
Der Kurfürst kommt — ich habe noch nicht mit ihm reden können — wenn
er Sie hier findet — " Nun vergaß sie schon alle Vorsicht und ging Schritt
für Schritt in den Saal hinein: „Glauben Sie denn, Ihre Verkleidung sei
unkenntlich? Man hört ja Ihre Musik — und so kann nur einer spielen!
Thaller, lieber, lieber Thaller — hören Sie doch auf! Aufhören, Thaller!
Ich tu ja alles, was Sie wollen, nur schweigen Sie endlich!!" Ganz zer-
quält über die unerhörte Verstocktheit des Flötenspielers berührte die kleine
Madeleine seine Schulter-da ließ er die Arme finken und fiel bocksteif
um —! „Mein Gott!" schrie sic auf, „ich habe noch einen ums Leben gebracht!
Hilfe! Hilfe!!" ,
Da ging die Tür auf, die vom Spiegelsaal zum gelben Kabinett führt, und in
dem dunklen Viereck erschien der Kurfürst mit einem merkwürdig roten Gesicht.
„Was schreien Sie denn so, Gräfin?" fragte er.
Sie deutete schreckensbleich auf den am Boden Liegenden: „Da — da-!"
Er kam näher, hinter ihm der Graf Salern, Gallmayr und zwei Lakaien
— alle mit merkwürdig roten Gesichtern. „Das sind ja schöne Geschichten!
Haben Sie ihn totgeschlagen?"
„Aber nein ...!" stammelte sie, an einer Ohnmacht nur durch die Gegen-
wart des Kurfürsten verhindert, „ich Hab' ihn nur anrühren wollen — damit
-damit er sich in Sicherheit..." — „Wer ist es denn eigentlich ?" sagte
er und kam noch ein wenig näher. „Der Leutnant von Thaller —!" — „Der?
So so! Nun, da hat er seine gerechte Strafe." — „Aber ich liebe ihn!!"
schrie die kleine Madeleine verzweifelt.
Der Kurfürst sah sie über die Maßen verwundert an. Einer der Lakaien holte
einen Seffel und schob ihn der Gräfin hin,- sie war ohnedies am Umsinken.
„Sie lieben ihn?" fragte der Kurfürst endlich, „ja, da kann man freilich
nichts machen. Wir werden ihn wohl wieder zum Leben erwecken müssen.
Gallmayr, heb' Er das Kunstwerk auf und laß Er's wieder blasen,- denn die
Gräfin hat sich nun einmal darein vernarrt und wird die Automate gewiß
als Ersatz nehmen — denn der Thaller ist nirgends zu finden — wahrschein-
lich hat ihn der Teufel geholt!"
Sprachlos schaute die Tauffkirchen der Wiedererweckung zu, und ihr eben
noch totenblasses Gcsichtlein wurde puterrot.
„Halten zu Gnaden —: nein!" sagte plötzlich der Lakai, der neben ihrem
Sessel stand, zum Kurfürsten. „Den Thaller hat der Teufel nicht geholt -
weil ich es selber bin!"
Für eine geraume Zeit fiel der Herr in die gleiche Sprachlosigkeit wie die
Tauffkirchen. Aber Thaller hielt seinem Blicke stand.
„Das ist stark!" sagte der Kurfürst endlich. Dann hielt er inne. Und wieder :
„Das ist mir doch in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen!!" Und
schließlich: „Aber deshalb sollt ihr euch doch kriegen, in Gottes Namen!"
„Thaller!" jauchzte die Gräfin, gar nicht mehr ohnmächtig, sprang auf
und fiel dem Lakaien um den Hals.
Der Kurfürst schüttelte den Kopf. „Kenn' einer die Menschen!-
Überdies, mein Herr Leutnant, sind wir noch nicht miteinander fertig. Sie
reisen morgen nach Ingolstadt und lassen sich dort auf der Festung ein halbes
Fahr einsperren. Keine Widerrede! Die Gräfin kann sich derweilen um die
Aussteuer kümmern. — Und im übrigen gratulier'ich euch, ihr Kindsköpfe!"
Rrrrr! machte es, weil der Gallmayr seinen Flötenbläscr von neuem aufzog.
„Da!" sagte Thaller und drückte ihm ein rundliches Beutelchen in die Hand,
„einstweilen dies,Gallmayr,denn wer hat es geschafft,daß wir nun glücklich sind ?"
Vor den Fenstern leuchtete plötzlich ein magischer Schein: das Feuerwerk
hatte begonnen. Grüne und violette Kaskaden rauschten über goldenes Fels-
gestein, und in einem herrlichen Bogen zischten die Raketen in den Nachthimmel,
platzten und ließen einen sanften Sternenregen langsam über das Glück
herniedersinken.
273
(Sine fflitmünchner SJfofgefcfcicßte von SJforft SjOoffram öeißfer
(Schluß)
57n dieser Stunde bekam es die
* kleine Gräfin Tauffkirchen mit der Angst
zu tun. liberalst erst in der Gesellschaft,
dann im park, hatte sie den Kurfürsten
gesucht, um ihre Fürbitte anzubringen.
Aber nirgends konnte sie ihn finden,-
höchstens, daß der oder jener ihr sagte:
der Herr sei vor kurzem da gewesen.
Nun lief sie sehr hastig und flatternd
zwischen den Bäumen herum, geriet an
die Badenburg und endlich in die Nähe
der Amalienburg. Die weißen Mauern
des Pavillons dämmerten noch durch das Laub. Die Gräfin hielt ein wenig inne,
um zu sehen, ob die Fenster vielleicht hell seien. Aber das Dunkel blieb ganz
verlassen, und sie wollte eben weitergehen, als ein sehr merkwürdiger und un-
heimlicher Zug üder den Parkweg herankam. Es waren ein paar Männer, von
denen zwei eine dichtverhangene Sänfte trugen. Keiner sprach ein Wort, und
der kleinen Tauffkirchen grauste fast, zumal sie in ihrer Aufregung überall Ge-
fahren und Gespenster sah. Mit verhaltenem Atem blieb sie stehen, ließ den
vermummten Zug vorüber und machte sich dann schleunig davon.
ImSchloß erfuhr sie, daß der Kurfürst vor wenigen Minuten fortgegangen
sei, wahrscheinlich nach der Amalienburg. Madeleine Tauffkirchen gab ihrem
kleinen Herzen einen Stoß und lief den Weg zurück, den sie hergekommen war.
Da stand die Amalienburg, und jetzt war auch Licht im Spkegelsaal. Durch
die weitgeöffnete Tür sah sie den brennenden Kronleuchter, dessen Glanz von
den Spiegelwänden widerschimmerte. Unter dem Kronleuchter saß mit ge-
kreuzten Beinen ein Türke, der gerade die Flöte an die Lippen gesetzt hatte,
ein wenig präludierte-und auf einmal begann das große Flauto-Solo,
o Himmel, das mit seinem herrlichen Schwingenschlag an allem schuld war.
Erstarrt vor Schrecken stand die Gräfin Tauffkirchen in der leise raunenden
Dunkelheit, sah und hörte den Flötenspieler, der, ganz versunken in seine
Musik, mitten im Spiegelsaale saß!
Es mußte, ja, es mußte ein Unglück geben. Dieser Wahnsinnige! Und
der Kurfürst, hatte man gesagt, war unterwegs nach der Amalienburg!!
Verzweifelt wagte sich die Tauffkirchen näher heran, huschte die Treppen-
stufen hinauf und lugte um den Türpfosten herum in den Saal.
„Thaller!" sagte sie leise, „Thaller!! Sind Sie denn ganz von Sinnen?
Der Kurfürst kommt — ich habe noch nicht mit ihm reden können — wenn
er Sie hier findet — " Nun vergaß sie schon alle Vorsicht und ging Schritt
für Schritt in den Saal hinein: „Glauben Sie denn, Ihre Verkleidung sei
unkenntlich? Man hört ja Ihre Musik — und so kann nur einer spielen!
Thaller, lieber, lieber Thaller — hören Sie doch auf! Aufhören, Thaller!
Ich tu ja alles, was Sie wollen, nur schweigen Sie endlich!!" Ganz zer-
quält über die unerhörte Verstocktheit des Flötenspielers berührte die kleine
Madeleine seine Schulter-da ließ er die Arme finken und fiel bocksteif
um —! „Mein Gott!" schrie sic auf, „ich habe noch einen ums Leben gebracht!
Hilfe! Hilfe!!" ,
Da ging die Tür auf, die vom Spiegelsaal zum gelben Kabinett führt, und in
dem dunklen Viereck erschien der Kurfürst mit einem merkwürdig roten Gesicht.
„Was schreien Sie denn so, Gräfin?" fragte er.
Sie deutete schreckensbleich auf den am Boden Liegenden: „Da — da-!"
Er kam näher, hinter ihm der Graf Salern, Gallmayr und zwei Lakaien
— alle mit merkwürdig roten Gesichtern. „Das sind ja schöne Geschichten!
Haben Sie ihn totgeschlagen?"
„Aber nein ...!" stammelte sie, an einer Ohnmacht nur durch die Gegen-
wart des Kurfürsten verhindert, „ich Hab' ihn nur anrühren wollen — damit
-damit er sich in Sicherheit..." — „Wer ist es denn eigentlich ?" sagte
er und kam noch ein wenig näher. „Der Leutnant von Thaller —!" — „Der?
So so! Nun, da hat er seine gerechte Strafe." — „Aber ich liebe ihn!!"
schrie die kleine Madeleine verzweifelt.
Der Kurfürst sah sie über die Maßen verwundert an. Einer der Lakaien holte
einen Seffel und schob ihn der Gräfin hin,- sie war ohnedies am Umsinken.
„Sie lieben ihn?" fragte der Kurfürst endlich, „ja, da kann man freilich
nichts machen. Wir werden ihn wohl wieder zum Leben erwecken müssen.
Gallmayr, heb' Er das Kunstwerk auf und laß Er's wieder blasen,- denn die
Gräfin hat sich nun einmal darein vernarrt und wird die Automate gewiß
als Ersatz nehmen — denn der Thaller ist nirgends zu finden — wahrschein-
lich hat ihn der Teufel geholt!"
Sprachlos schaute die Tauffkirchen der Wiedererweckung zu, und ihr eben
noch totenblasses Gcsichtlein wurde puterrot.
„Halten zu Gnaden —: nein!" sagte plötzlich der Lakai, der neben ihrem
Sessel stand, zum Kurfürsten. „Den Thaller hat der Teufel nicht geholt -
weil ich es selber bin!"
Für eine geraume Zeit fiel der Herr in die gleiche Sprachlosigkeit wie die
Tauffkirchen. Aber Thaller hielt seinem Blicke stand.
„Das ist stark!" sagte der Kurfürst endlich. Dann hielt er inne. Und wieder :
„Das ist mir doch in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen!!" Und
schließlich: „Aber deshalb sollt ihr euch doch kriegen, in Gottes Namen!"
„Thaller!" jauchzte die Gräfin, gar nicht mehr ohnmächtig, sprang auf
und fiel dem Lakaien um den Hals.
Der Kurfürst schüttelte den Kopf. „Kenn' einer die Menschen!-
Überdies, mein Herr Leutnant, sind wir noch nicht miteinander fertig. Sie
reisen morgen nach Ingolstadt und lassen sich dort auf der Festung ein halbes
Fahr einsperren. Keine Widerrede! Die Gräfin kann sich derweilen um die
Aussteuer kümmern. — Und im übrigen gratulier'ich euch, ihr Kindsköpfe!"
Rrrrr! machte es, weil der Gallmayr seinen Flötenbläscr von neuem aufzog.
„Da!" sagte Thaller und drückte ihm ein rundliches Beutelchen in die Hand,
„einstweilen dies,Gallmayr,denn wer hat es geschafft,daß wir nun glücklich sind ?"
Vor den Fenstern leuchtete plötzlich ein magischer Schein: das Feuerwerk
hatte begonnen. Grüne und violette Kaskaden rauschten über goldenes Fels-
gestein, und in einem herrlichen Bogen zischten die Raketen in den Nachthimmel,
platzten und ließen einen sanften Sternenregen langsam über das Glück
herniedersinken.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das glückselige Flötenspiel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4192, S. 273
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg