MEINE FRAU, DIE Ly R I K E R I N
Von Ricfiard Rieß
Meine Frau macht
lyrische Gedichte. Da
sie trotzdem keine Horn-
brilleträgt, sondern aus-
gezeichnete Leberknöd'l
und einen fanatisch durch-
gearbeitetenZwctschgen-
kuchen zu bereiten ver-
steht, ist unsere Ehe
unvermindert glücklich.
Meine Frau veröffent-
licht ihre Werke nicht. Leberknöd'l lassen sich zwar drücken, aber nicht
drucken, und auch der beste Zwetschgenkuchen ist in seiner „Auflagen"-
Köhe begrenzt. Und was schließlich die lyrischen Gedichte betrifft-
„Arme Gattin," äußerte ich so treffend, „du wannst von deinen
Versen leben müßtest..."
Es ist schwer, eine gekränkte Dichterin zur Frau zu haben. Belei-
digte Poeten sind eine große Gefahr. Denkt nur daran, wie übel der
resignierende Friedrich Schiller dem armen Bürger mitgespielt hat...
Meine Frau nun rächte sich nicht durch vernichtende Rezensionen,
sondern durch konstantes Brüten. Aber sie saß dabei nicht auf Eiern,
sondern — wie sic mir bei jedem Versuche einer Störung gereizt ent-
gegenschleuderte — „aufBadeln". Was ein unsäglich peinlicher und
für dauerndes Brüten geradezu unhaltbarer Zustand sein muß . ..
„Also," sagte meine Frau, „du meinst, ich könnte mit meiner Kunst
kein Geld verdienen?"
„Mit deiner Kunst? Das Hab' ich nie und nimmer zu behaupten
mich unterfangen. Zwetschgenkuchen und Leberknöd'l gehören zu den
böchstgeschätzten, um nicht zu sagen: hochgeschätztesten Dingen dieser
Erde!"
«Mit meinen Gedichten, natürlich, du Heupferd. Mit meinen Ge-
dichten, behauptest du, könnte ich keinen Hund vom Ofen locken,
geschweige den» eine Reichsmark aus einem Verlags-Porte-
feuille. Gut! Zch werde von jetzt ab einen Teil zum Haus
balte beisteuern. Und nichts anderes als meine lyri-
schen Verse werden mir dazu verhelfen. Bun,
schau, Herr Mau!" Damit schloß meine
Eheliebste, ihr Talent sozusagen sogar
in die Prosa des Lebens mitten hinein-
pflanzend.
Meine Gattin packte ihre Herbst-
und Sommergedichte zu artigen päck-
lein und sandte sie an Redaktionen.
Und wartete.
Wer von meinen Lesern sich mit
dem Abfassen gereimter und unge-
reimter, einseitig beschriebener Zei-
tungsmanuskripte Haupt- oder neben-
amtlich befaßt, der wird die magische
Gewalt kennen, die von der persön-
ichkeit des Briefträgers ausgcht.
Schon seine Bähe verbreitet im Her-
en des (mehr oder minder) Poeten
rerzpochende Unruhe. Bicht nur seine
körperliche Bähe, ja sogar schon die Zeit, in der sein Kommen erfab-
rungsgemäß bevorsteht. Da endlich... Schritte... Männerschritte...
benagelte Fußschritte. Ein Rasten, ein Halten... ein Plumps und
Klappen (oder umgekehrt) und — im Briefkasten liegt dies und jenes
Und meist ein Redaktionskuvert, gut ausgepolstert und dick geschwollen
von den ins Vater-Mutterhaus heimkehrenden Dichtungen.
Meine Frau, die Lyrikerin, wartete, und über allem Warten ver-
gaß sie, die Leberknöd'l zu machen und jenen Kirschkuchen, von dem
noch die Enkel reden werden. „Die Kunst fordert Opfer", sagte sie.
Aber warum sollte gerade ich die bringen? „Warte noch ein wenig,
und du wirst sehen, wie wir die dicksten Gelder scheffeln!" Ich wartete
mehr als nur ein wenig. Tagaus, nachtein klapperte meine Frau an
der Schreibmaschine. Klappern gehört zum Handwerk, und Lyrik ohne
Klappern gliche einem Zwetschgenkuchen ohne Mehl . . . Aber, ach,
warum Erinnerungen wecken.Statt der erwarteten dicken Gelder
gingen nur dicke Briefe ein. Und jeder enthielt die Gefühle und Stim-
mungen meiner Frau. Und außerdem einen Zettel, auf dem gedruckt
stand, daß die Schriftlcitung sich leider so stark mit Mittelmäßigem ein-
gedcckt habe, daß sie untröstlich sei, die angebotenen Meisterwerke aus
Raummangel ablehnen zu müssen.
Bur einmal, endlich einmal, hatte ein Redakteur einen Brief ge-
schrieben, eigenhändig: was auf eine geringe Auflage seines Blattes
mehr als handgreiflich hinwies: „Mein Fräulein," schrieb dieser
Menschenkenner, „Sie senden uns Herbstoden und Liebesgedichte.
Wie können wir im Bovembcr Herbstgedichte annehmen? Der Herbst
beginnt für Redaktionen Anfang Juni. Im Bovember aber haben wir
uns mit dem Christkinde zu beschäftigen. Denn die Aktualität einer
Zeitschrift muß prophetisch sein. Dichten Sie uns etwas Weihnacht-
liches, vorausgesetzt, daß wir es vor dem ersten Dezember in Händen
haben. Denn im Dezember beginnt bei uns bereits derFasching: Also,
auf zur Weihnachtspoesic. Honorar 10,50 und zwei Gratishefie!"
Meine Frau ließ den Brief sinken und sagte leuchtenden Auges
zu mir: „Zehn Mark, auch fünfzig Hundertstel. Lies selber.
Und dann sage noch mal, daß ich einen Haushalt nicht
ernähren kann."
Die Zeiten sind schwer und das Geld ist knapp.
So sind Einnahmen aus Lyrik höchst wün-
schenswerte Zuschüsse. (Womit ich diese Be-
trachtung schließe, denn die Steuer reitet
schnell.)
Ich ging ins Büro, bereit, auch weiter-
hin — zum mindesten bis zur Geburt des
Weihnachtspoems — aus Leberknöd'l und
Zwetschgenkuchen zu verzichten. Die Aus-
sicht auf die riesigen Einsparungen, die das
Talent meiner Frau in Zukunft ermöglichen
dürste, beruhigte meine ergrimmten Magen-
nerven.
Als ich abends heimkehrte, empfing das
Mädchen mich mit quer über den Mund
gelegtemFinger,was eine strengeMah-
nung zu heiligem Silentium zu bedeu-
ten pflegt. Mir blieb der Arm im Ärmel
stecken, denn aus dem Wohnzimmer
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Von Ricfiard Rieß
Meine Frau macht
lyrische Gedichte. Da
sie trotzdem keine Horn-
brilleträgt, sondern aus-
gezeichnete Leberknöd'l
und einen fanatisch durch-
gearbeitetenZwctschgen-
kuchen zu bereiten ver-
steht, ist unsere Ehe
unvermindert glücklich.
Meine Frau veröffent-
licht ihre Werke nicht. Leberknöd'l lassen sich zwar drücken, aber nicht
drucken, und auch der beste Zwetschgenkuchen ist in seiner „Auflagen"-
Köhe begrenzt. Und was schließlich die lyrischen Gedichte betrifft-
„Arme Gattin," äußerte ich so treffend, „du wannst von deinen
Versen leben müßtest..."
Es ist schwer, eine gekränkte Dichterin zur Frau zu haben. Belei-
digte Poeten sind eine große Gefahr. Denkt nur daran, wie übel der
resignierende Friedrich Schiller dem armen Bürger mitgespielt hat...
Meine Frau nun rächte sich nicht durch vernichtende Rezensionen,
sondern durch konstantes Brüten. Aber sie saß dabei nicht auf Eiern,
sondern — wie sic mir bei jedem Versuche einer Störung gereizt ent-
gegenschleuderte — „aufBadeln". Was ein unsäglich peinlicher und
für dauerndes Brüten geradezu unhaltbarer Zustand sein muß . ..
„Also," sagte meine Frau, „du meinst, ich könnte mit meiner Kunst
kein Geld verdienen?"
„Mit deiner Kunst? Das Hab' ich nie und nimmer zu behaupten
mich unterfangen. Zwetschgenkuchen und Leberknöd'l gehören zu den
böchstgeschätzten, um nicht zu sagen: hochgeschätztesten Dingen dieser
Erde!"
«Mit meinen Gedichten, natürlich, du Heupferd. Mit meinen Ge-
dichten, behauptest du, könnte ich keinen Hund vom Ofen locken,
geschweige den» eine Reichsmark aus einem Verlags-Porte-
feuille. Gut! Zch werde von jetzt ab einen Teil zum Haus
balte beisteuern. Und nichts anderes als meine lyri-
schen Verse werden mir dazu verhelfen. Bun,
schau, Herr Mau!" Damit schloß meine
Eheliebste, ihr Talent sozusagen sogar
in die Prosa des Lebens mitten hinein-
pflanzend.
Meine Gattin packte ihre Herbst-
und Sommergedichte zu artigen päck-
lein und sandte sie an Redaktionen.
Und wartete.
Wer von meinen Lesern sich mit
dem Abfassen gereimter und unge-
reimter, einseitig beschriebener Zei-
tungsmanuskripte Haupt- oder neben-
amtlich befaßt, der wird die magische
Gewalt kennen, die von der persön-
ichkeit des Briefträgers ausgcht.
Schon seine Bähe verbreitet im Her-
en des (mehr oder minder) Poeten
rerzpochende Unruhe. Bicht nur seine
körperliche Bähe, ja sogar schon die Zeit, in der sein Kommen erfab-
rungsgemäß bevorsteht. Da endlich... Schritte... Männerschritte...
benagelte Fußschritte. Ein Rasten, ein Halten... ein Plumps und
Klappen (oder umgekehrt) und — im Briefkasten liegt dies und jenes
Und meist ein Redaktionskuvert, gut ausgepolstert und dick geschwollen
von den ins Vater-Mutterhaus heimkehrenden Dichtungen.
Meine Frau, die Lyrikerin, wartete, und über allem Warten ver-
gaß sie, die Leberknöd'l zu machen und jenen Kirschkuchen, von dem
noch die Enkel reden werden. „Die Kunst fordert Opfer", sagte sie.
Aber warum sollte gerade ich die bringen? „Warte noch ein wenig,
und du wirst sehen, wie wir die dicksten Gelder scheffeln!" Ich wartete
mehr als nur ein wenig. Tagaus, nachtein klapperte meine Frau an
der Schreibmaschine. Klappern gehört zum Handwerk, und Lyrik ohne
Klappern gliche einem Zwetschgenkuchen ohne Mehl . . . Aber, ach,
warum Erinnerungen wecken.Statt der erwarteten dicken Gelder
gingen nur dicke Briefe ein. Und jeder enthielt die Gefühle und Stim-
mungen meiner Frau. Und außerdem einen Zettel, auf dem gedruckt
stand, daß die Schriftlcitung sich leider so stark mit Mittelmäßigem ein-
gedcckt habe, daß sie untröstlich sei, die angebotenen Meisterwerke aus
Raummangel ablehnen zu müssen.
Bur einmal, endlich einmal, hatte ein Redakteur einen Brief ge-
schrieben, eigenhändig: was auf eine geringe Auflage seines Blattes
mehr als handgreiflich hinwies: „Mein Fräulein," schrieb dieser
Menschenkenner, „Sie senden uns Herbstoden und Liebesgedichte.
Wie können wir im Bovembcr Herbstgedichte annehmen? Der Herbst
beginnt für Redaktionen Anfang Juni. Im Bovember aber haben wir
uns mit dem Christkinde zu beschäftigen. Denn die Aktualität einer
Zeitschrift muß prophetisch sein. Dichten Sie uns etwas Weihnacht-
liches, vorausgesetzt, daß wir es vor dem ersten Dezember in Händen
haben. Denn im Dezember beginnt bei uns bereits derFasching: Also,
auf zur Weihnachtspoesic. Honorar 10,50 und zwei Gratishefie!"
Meine Frau ließ den Brief sinken und sagte leuchtenden Auges
zu mir: „Zehn Mark, auch fünfzig Hundertstel. Lies selber.
Und dann sage noch mal, daß ich einen Haushalt nicht
ernähren kann."
Die Zeiten sind schwer und das Geld ist knapp.
So sind Einnahmen aus Lyrik höchst wün-
schenswerte Zuschüsse. (Womit ich diese Be-
trachtung schließe, denn die Steuer reitet
schnell.)
Ich ging ins Büro, bereit, auch weiter-
hin — zum mindesten bis zur Geburt des
Weihnachtspoems — aus Leberknöd'l und
Zwetschgenkuchen zu verzichten. Die Aus-
sicht auf die riesigen Einsparungen, die das
Talent meiner Frau in Zukunft ermöglichen
dürste, beruhigte meine ergrimmten Magen-
nerven.
Als ich abends heimkehrte, empfing das
Mädchen mich mit quer über den Mund
gelegtemFinger,was eine strengeMah-
nung zu heiligem Silentium zu bedeu-
ten pflegt. Mir blieb der Arm im Ärmel
stecken, denn aus dem Wohnzimmer
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Meine Frau, die Lyrikerin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4193, S. 281
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg