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BLEIGIESSEN / EineSilveftergefchichte von Richard Rieß

Frau Olga war eine furchtbar aufgeklärte Frau. Sie glaubte nicht
an Tischrücken — sie glaubte überhaupt an keinen Geist — der Kaffee-
satz war für sie ein überwundener Standpunkt, und was die Prophe-
zeiungen aus Vogelslug und Windrichtungen betrifft, so hätte sie für
den greisen Seher Kalchas auch nicht zwanzig Reichspfennige Ein-
trittsgeld bezahlt. Nur - am Silvesternacht-Bleigießen kam sie nicht
vorbei. An etwas must der Mensck sckliestlich glauben, und Frau
Olga war keine Heidin.

Dafür hatte sie eine zwanzigjährige Tochter, Ellen genannt.

Zwanzigjährige Töchter sind immer erwartungsvoll. Jedes neue
Jahr kann die große Lebenswende bringen. Wäre das Bleigießen,
das die Zukunst enträtselt, nicht schon erfunden — es müßte für heirats-
fähige Töchter aus guten Familien eigenö in die Welt gesetzt werden.

Die Schüssel mit dem kalten Wasser steht bereit, während das Blei
in der.Kohlenschaufel über dem Kaminfeuer langsam zergeht. Ellen
hält krampfhast den Schaufelgriff, und sie zittert ein bißchen. Natürlich
nicht etwa aus Angst vor der Offenbarung — ich bitt' euch, bei neun-
jähriger Lyzeums-Bildung und einem Jahre Genferpension! — nein!
aber auch weissagendes Metall hat in flüssigem Zustande seine Tücken.

„Los schon, Ellenchen",sagtFrauOlga, denn ihr mütterlich Herz bebt.

„Alles mutig wie Blücher!" drängt lachend Assessor Klein (und
Mama mißbilligt das, denn Herr Klein ist ganz gegen den Brauch
im Smoking erschienen).

„Immer feste druff!" hetzt Hildburg, der Bankdirektor (und Mama
lächelt, denn sie hofft, daß er sich heute noch erklären werde...).

„Soll ich?" bebt Ellen, und ihr Händchen zittert noch mehr.

„Eins . .. zwei... drei..." kommandiert Papa. Und — plautz! —
der Inhalt der Schaufel liegt im Wasser und, erstaunt über den jähen
Temperaturwechsel, erstarrt er prustelnd und zischend.

Es ist für ein Stück Blei keine Kleinigkeit, in solcher Eile sinnbild-
liche Formen anzunehmen. Meist stellt es sich bei der ehrfurchtsamen
Beschauung als pittoreskes Gebilde vor, sozusagen als Prüfstein für
die Phantasie der staunenden Gießer. Diesmal aber — Mutter Olga,
die Pythia dieses Orakels, sah es entgeistert an ... es hatte ganz
manierliche Formen.... es.... Mutter Olga errötete.

„Das sieht ja aus wie 'ne Wiege", platzte Assessor Klein heraus.

„Herr Assessor, ich bitte", sagte Frau Olga. (Aber einem Menschen,
der am Silvesterabend seinen Frack daheim läßt, war schließlich jede
Taktlosigkeit zuzutrauen ...).

„Ich find', er hat recht", sagte nun auch der Papa, und weil Frau
Olga nun einsah, daß sie gegen so viele Mannsbilder nichts ausrkchten
sollte, sagte sie schnell' „Ellen muß nock mal gießen. Sofort."

Ellen nahm
gehorsam die
Schaufel wieder
auf.

„Wenn sie sich
dochzuihrerWie-
ge wenigstens ei-
nenManngösse",
dachte Mutter
Olga. Und trotz
aller Aufgeklärt-
heit hielt sie
schnell mit sich
Rat, ob sie nicht
doch übermorgen
zurEierfrauMü-
ßig pilgern sollte,
der kundigsten
Astrologin des
Stadtviertels.

plautsch! Wie-
der schoß das Blei
in die Schüssel.

„Das will ich
deuten", rief

Bankdirektor
Hildburg und

hatte das Wahrsagcobjekt bereits zwischen den manikürten Finger».
„Meine Herrschaften, das hier ist das in die Wiege gebärende Babv."

„Unsinn", rief Frau Olga. (Man sollte mit dem Sekt wirklich spar-
samer sein. Es ist gar nicht gut, wenn unverheiratete Gäste allzusehr
in Stimmung kommen.) „Unsinn! Das ist.... das ist. .. das ist der
Stab des Äskulap mit der Schlange..."'

„Sage mal, Mutkichen, was soll denn unsere Ellen mit 'm medi-
zinischen Spazierstock anfangen", lachte derpapa. (O Gott, diese Manns-
bilder !...)

„Vielleicht wird das Baby mal 'n Medizinmann", erklärt der Bank-
herr. „Ob das wohl die einzige Erklärung ist, die der abgeben kann",
denkt Frau Olga. Aber sie sagt: „Das ist ja alles Unsinn. Daß gerade
einBankdirektorso wenig Phantasie hat.... Aber: Alle guten
Dinge sind drei. Ellenchen muß eben noch mal gießen."

Ellen seufzt auf und nimmt die Schaufel aufs neue zur Hand.
Man paßt genau auf/ der kleine Kreis ist auss höchste gespannt.
Mutter Olga hat ihren Zwicker aufgesetzt, das heißt stets: Sturman-
griff. „Jetzt muß sie sich doch endlich den Mann gießen", denkt sie.
Aber — die Töchter von heute... Frau Olga ist durchaus geneigt,
den „Mangel an Form" ihres Bleis der unglücklichen Ellen schwer
anzukreiden.

Da — wieder ist ein Orakel geboren.

„Nein... das da hat keine menschenähnliche Gestalt."

„Ich gratuliere_ein Pantoffel", sagt Papa. „Ganz die Mama!"

„Eduard... Späße bei solchem Anlaß."

Alle platzen heraus. Auch Ellen. Und sie sieht den Mann im
Smoking dabei so merkwürdig an.

„Ellen, mein Liebling," sagt Papa gemütlich, „du hast jetzt 'ne
Wiege, hast auch schon 'ne Puppe dazu. .Hast den Pantoffel bereit.
Weißt du, dein Mann kann mir leid tun..."

„Welcher Mann?" fragt Frau Olga streng.

Da wird Ellen rot. Und der Assessor Klein zieht sich die Weste ge-
rade (die Smoking-Weste, denkt nur mal an: am Sil-ves-ter-Abend!!)

„Ich", sagt Assessor Klein und verbeugt sich vor der Gesellschaft.

Da bleibt Frau Olga die Empörung über den unfestlichen Anzug
im Halse stecken. Sie gluckst nur: „Wa....?"

Papa ist aber halb erschrocken, und er wehrt sich: „WaS, mein Kücken
wollen Sie heiraten? So ein kleines Kind, so ein."

Da sind die Silvesterglocken ihm in die Rede gefallen. Und es
hat ein allgemeines „Prosit-Neujahr-Rufen" eingesetzt. Und der Papa
hat der Mama einen Kuß gegeben. Und .... ja Herrschaft, tut der
Assessor Klein nickt ein Giekckes mit Ellen, mit Ellen, dem Kinde?

„Ja,da hört sich
doch alles auf",
sagt Papa, aber
HerrKlein meint:
„Nun ist Ellen
doch schon wie-
der 'n Jahr älter.
Kriegen wir nun
den väterlichen
Segen, Schwie-
gerpapa?"

Mama hat ihn
schneller bei der
Hand. Und alle
sahen sehr ge-
rührt aus.

„Es ist doch
etwas Schönes,
wenn ein neues
Zahr gleich mit
einer Verlobung
beginnt",sagt der
Bankdirektor.

Er hat leicht
gerührt sein, der
gerettete Jung-
geselle ....

6
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Bleigiessen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Pfeiffer, Heinrich Reinhold
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4196, S. 6
 
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