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kämen sie eben aus dem Ofen. Dann machte ich es mir bequem, zog
meinen Nock aus und schlief eine halbe Stunde.

Als ich erwachte, fand ich Thea nicht gleich. Sie stand zwischen?2Tuch-
ballen. Der Hut war ihr in den Nacken gerutscht, und Haarsträhnen
hingen ihr ins Gesicht. Sie sah gar nicht mehr entzückend aus. Ob
ihr der blaue Voile gut stände, fragte sie mich. Ich gestand, daß sich
Medeas Zauberkraft vervielfältigt hätte, wenn sie ein Kleid aus diesem
blauen Voile getragen hätte. Thea verstand nichts von Mythologie,
sie wählte grünen Voile. Als ich meinen Nock wieder anziehen wollte,
war er nirgends zu finden. Er war inzwischen verkauft worden.

Wir schlängelten uns an die Kasse, von dort an die Paketausgabe,
und endlich drückte Thea yur den grünen Voile in die Hand. Ich
schickte mich an, den alten Dessauer zu pfeifen, denn ich glaubte, meine
Qualen wären beendet. Aber Thea stieß kurz und energisch hervor:
„Besah!' und sah dabei aus wie Napoleon, wenn er eine Schlacht
gewinnen wollte.

Besah gab es im Erdgeschoß, und so begannen wir den Abstieg.
Mehrere Male fürchtete ich zusammenzubrechen, jedoch ich dachte an
Theo Marengo und schleppte mich weiter.

Um vier Uhr waren wir unten. Meine Beine zitterten. Ich war
um Jahre gealtert. Meine Kleider glichen denen einer Vogelscheuche
im zweiten Sommer. Schlips und Kragen hatte ich längst abgebun-
den und einem Laufjungen geschenkt mit der Bitte, meinen Ange-
hörigen letzte Grüße zu bestellen, falls ich das Warenhaus nicht lebend
verließe. ^

Die Abteilung für Besah war verwüstet. Das zerstörte Sodom
hätte neben ihr den Eindruck eines geordneten Stadtwesens gemacht.
Thea war nicht ohne Erfolg bemüht, diese Verwüstung noch zu ver-
größern, wobei sie von anderen Frauen wirkungsvoll unterstützt wurde.
Zwei von ihnen lagen im Handgemenge um einen Nest Valencienne-
Spihe, den sie beide zu besitzen trachteten. Die Siegerin schwang
triumphierend ihre Beute. Die andere erhing sich voller Verzweif-
lung an einem Neste Eolienne-Spihe für 75 Pfennig.

Das Ergebnis der Wiederbelebungsversuche konnte ich leider nicht
feststellen, da Thea sich entschloß, doch lieber weißen Stoff als Besah
zu nehinen.

Wir klommen wieder in den dritten Stock. Der Gedanke an Theo
Marengo und die Verkäuferinnenbeine ließen mich keinen Wider-

spruch erheben. Frauen mit zerrissenen Kleidern, geknickten Schirmen
und verzerrten Gesichtern kamen uns entgegen In ihren Augen
glänzte die ekstatische Freude am Ausverkauf.

Es dunkelte schon, als wir zum zweiten Male am Stofflager an-
kamen. Die Negale standen leer, ihr Inhalt türmte sich zu pittoresken
Formen auf den Tresen. Meine Hoffnung, die Leitern benutzt zu sehen,
erfüllte sich nicht.

Thea beendete ihren Kauf dieses Mal mit verblüffender Schnellig-
keit. Ich glaube, sie hatte gesehen, wie ich mich mit der kleinen Blonden
verabredete... Sie sagte nur: „Jetzt sind wir fertig." Da ich sehr
listig sein kann, wenn ich will, bedauerte ich, daß wir Theo Marengo
nicht getroffen hätten. „Theo Marengo?" fragte Thea. „Der ist doch
drei Wochen auf Urlaub."

Mir gingen die Augen über, meine Haare sträubten sich, mein Mund
klappte weit auf. Mit dem in solchen Fällen angebrachten heiseren

Schrei sprang ich über das Geländer i» die Tiefe. Aber seien Sie
unbesorgt — es geschah mir nichts. Ich landete im Strumpflager auf
einem Berge von Strümpfen aus Kunstseide, das paar zu Mark 1,90
— sehr preiswert.

Ich wankte aus dem Warenhaus und fuhr sofort in ein Sanatorium.
Ich habe mich schon wieder etwas erholt. Und was ich Ihnen noch
sagen wollte: Gestern erhielt ich die Verlobungsanzeige von Thea
und Theo.

„Es hat geklingelt!!"

Als Sokrates clas Gift genommen
Und nahe fich dem Tod befand,

Da lief er die Xanthippe kommen
Und reichte freundlich ihr die Hand.

XANTHIPPE

„Leb ’ wohl! Und haltet fie in Ehren,
Jhr alle, die ihr um mich feid,

Denn mehr als meine Weisheitslehren
Hilft fie mir zur Unfterblichkeit.

Wie ich die Menfdien lernte kennen,
Wird man noch manches liebe cfahr
Den hl amen der Xanthippe nennen
Und mich, — weil ich ihr Gatte war.

A Ibert Roderith

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Ausverkauf" "Es hat geklingelt!!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Pfeiffer, Reinhold
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4198, S. 32

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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