Deutschlands
Was kommen mußte, kam. Zielbewußte Kleinarbeit, Gemeinde-
bestimmungsrecht unterwühlte alle Bierfässer und Weinkrüge und
eines Tages erwachte ganz Deutschland - trockengelegt.
Überraschend schnell hatte die altehrwürdige Bierburg München sich
ergeben. (Man munkelt, daß das kokainsüchtige Schwabing das Über-
gewicht über die ahnungslos bierehrlichen Isarvorstädte Au, Giesing
und Haidhausen erlangte.) Nun starrten alle Bräuhäuser, Keller und
Biergärten wie die Tempel der alten Mexikaner zweck- und sinnlos
ins Himmelsblau. Ihr Kult war erloschen, höchstens, daß eine unschul-
dige Schulklasse von einer alkoholfreien Lehrerin durch die großen öden
Räume geführt wurde — belehrungshalber. Wie war alles anders!
Scribes Stück
„Das Glas Was-
ser" beherrschte
wieder denSpiel-
plan sämtlicher
deutschen Büh-
nen,- auch „Ka-
bale und Liebe"
war schon wegen
des darin mit-
agierenden Gla-
ses Limonade be-
liebt. „Altheidel-
berg" wurde
merkwürdiger-
weise nur mehr
zum abschrecken-
den Beispiel ge-
geben. „Der
fröhliche Wein-
berg" war mit
und ohne Strei-
chungen rettungs-
los verloren. —
Sämtliche Kom-
mersliederbücher
wurden ver-
brannt. Wer die
Lindenwirtin,den
schwarzen Wal-
fisch zu Askalon
sang, bekam sechs
Wochen Gefäng-
nis mit doppelter
Selterswasser-
verschärfung. Ein
Urlied der Deut-
schen: „. . . und
tranken immer
noch eins" sollte
dadurch ausgerottet werden, daß man die Sänger desselben mit dem
Tode bestrafte. Gerade zur rechten Zeit hatte übrigens auch ein berühmter
Gelehrter herausgebracht, daß das Lieblingsgctränk der Germanen
nicht Bier, sondern eine Art Schafgarbentee war.
Doch die Not weckt Männer und Helden. Ein schon vor der schreck-
lichen Katastrophe in Ruhestand getretener Bräumeister faßte den
kühnen Plan. Mit einer Hingabe, die der großen Sache würdig war,
warb er oft unter Lebensgefahr verzweiflungsharte Gleichgesinnte,
denen ein Leben ohne einen Trunk schlimmer denn Tod war.
Und siehe, wie dem flüchtigen David im hebräischen Gebirge gelang
es ihm, zwanzig, dreißig solcher Männer, -a zwei-, dreihundert zu
sammeln. Dann konnte der wohlerwogene plan Wirklichkeit werden.
Ich gebe zu, daß auch viel Glück und hohe Protektion dabei mithalfen.
Ein halbes tausend Männer, 311 allem entschlossen, Münchner seit der
zehnten Generation - wanderten aus. Aber nicht nach Australien oder
Trockenlegung
Honolulu, nur wenige Kilometer nördlich über das unglückselige Schwa-
bing hinaus, wo endlos die Garchinger Heide sich erstreckt. Dort ging
- mit Hilfe eines nur durch Masorität trockengelegten Ministers —
die gesetzlich gültige Gründung einer neuen Gemeinde des Volksstaates
Bayern vor sich. Schon am Tage nach der erfolgten obrigkeitlichen
Bewilligung wurde hier auch die vorgeschriebene Gemeindeabstimmung
betreffs Trockenlegung durchgeführt. Welcher Jubel, als die einstimmige
Ablehnung verkündet wurde!
Nun ging s an ein Schaffen und Bauen sondergleichen. Die auf-
gelöste akademische Brauerschule Weihenstephan stellte sich mit sämt-
lichen Schülern und Professoren in den Dienst der Sache und fungierte
als Personal des
neuen Brauhau-
ses. Denn das
war der erste
Bau,- erst dann
kam das Rat-
haus dran. Das
gab einen Trop-
fen! Daß die Re-
zepte der ver-
schiedenen Spe-
zialbiere vom
Salvator bis
zum Hofbräu-
hausmaibock
sämtliche in Ori-
ginalurkunden
gerettet waren,
braucht nicht be-
tont zu werden.
In einem Vier-
teljahr mußte die
Brauerei ver-
zehnfacht wer-
den,- nach einem
Jahre standen
zehn solcher
Brauereien da.
Wie im Mittel-
alter um jede
Burg sich eine
Niederlassung
bildete, entstan-
den auch hier, je
umeineBrauerei
gruppiert, das
Löwenbräu-,
Hackerbräu-,
pschorrbräu-u.a.
Viertel.
Eine Völkerwanderung setzte ein, die alles Dagewesene in Schatten
stellte. Was ist der von Renophon beschriebene Zug der Zehntausend
dagegen? Wie verschwindend wirkt die Gesamtzahl der Mekkapilger
seit Mohammeds Flucht nach Medina gegen diese Ziffern! Das trocken-
gelegte München fuhr Sonntags nicht mehr nach Starnberg oder ins
Gebirge, sondern nur nach Garching. Bankdirektoren und Regierungs-
räte verbrachten ihren ganzen Urlaub dort. Wer's machen konnte, er-
warb sich das Bürgerrecht und siedelte sich dort an. Im zweiten Sommer
nahm derEisenbahnverkehrso gigantische Formen an,daß der Münchner
Hauptbahnhof um 90 Grad in der Achse Nord-Süd verschoben werden
mußte und sämtliche 26 Gleise 15 Kilometer weiter nach Norden geführt
wurden.
Nach drei Jahren war die vordem volkreiche blühende Hauptstadt
München eine ausgehöhlte Ruine. Der Flugplatz der Biergemeinde
Garching umfaßt allein das Dreifache des Weichbildes der alten
(Fortsetzung Sette 251)
„Was ist denn eigentlich bei euch in aller Früh' in euerm Dorf heut' wieder los?" — „Ja,
wissen S', die Vereine sammeln sich beim Unterbräu und ziehen dann mit Bier und Musi' zur
Abstimmung über die — Trockenlegung in den Oberbräukeller."
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Was kommen mußte, kam. Zielbewußte Kleinarbeit, Gemeinde-
bestimmungsrecht unterwühlte alle Bierfässer und Weinkrüge und
eines Tages erwachte ganz Deutschland - trockengelegt.
Überraschend schnell hatte die altehrwürdige Bierburg München sich
ergeben. (Man munkelt, daß das kokainsüchtige Schwabing das Über-
gewicht über die ahnungslos bierehrlichen Isarvorstädte Au, Giesing
und Haidhausen erlangte.) Nun starrten alle Bräuhäuser, Keller und
Biergärten wie die Tempel der alten Mexikaner zweck- und sinnlos
ins Himmelsblau. Ihr Kult war erloschen, höchstens, daß eine unschul-
dige Schulklasse von einer alkoholfreien Lehrerin durch die großen öden
Räume geführt wurde — belehrungshalber. Wie war alles anders!
Scribes Stück
„Das Glas Was-
ser" beherrschte
wieder denSpiel-
plan sämtlicher
deutschen Büh-
nen,- auch „Ka-
bale und Liebe"
war schon wegen
des darin mit-
agierenden Gla-
ses Limonade be-
liebt. „Altheidel-
berg" wurde
merkwürdiger-
weise nur mehr
zum abschrecken-
den Beispiel ge-
geben. „Der
fröhliche Wein-
berg" war mit
und ohne Strei-
chungen rettungs-
los verloren. —
Sämtliche Kom-
mersliederbücher
wurden ver-
brannt. Wer die
Lindenwirtin,den
schwarzen Wal-
fisch zu Askalon
sang, bekam sechs
Wochen Gefäng-
nis mit doppelter
Selterswasser-
verschärfung. Ein
Urlied der Deut-
schen: „. . . und
tranken immer
noch eins" sollte
dadurch ausgerottet werden, daß man die Sänger desselben mit dem
Tode bestrafte. Gerade zur rechten Zeit hatte übrigens auch ein berühmter
Gelehrter herausgebracht, daß das Lieblingsgctränk der Germanen
nicht Bier, sondern eine Art Schafgarbentee war.
Doch die Not weckt Männer und Helden. Ein schon vor der schreck-
lichen Katastrophe in Ruhestand getretener Bräumeister faßte den
kühnen Plan. Mit einer Hingabe, die der großen Sache würdig war,
warb er oft unter Lebensgefahr verzweiflungsharte Gleichgesinnte,
denen ein Leben ohne einen Trunk schlimmer denn Tod war.
Und siehe, wie dem flüchtigen David im hebräischen Gebirge gelang
es ihm, zwanzig, dreißig solcher Männer, -a zwei-, dreihundert zu
sammeln. Dann konnte der wohlerwogene plan Wirklichkeit werden.
Ich gebe zu, daß auch viel Glück und hohe Protektion dabei mithalfen.
Ein halbes tausend Männer, 311 allem entschlossen, Münchner seit der
zehnten Generation - wanderten aus. Aber nicht nach Australien oder
Trockenlegung
Honolulu, nur wenige Kilometer nördlich über das unglückselige Schwa-
bing hinaus, wo endlos die Garchinger Heide sich erstreckt. Dort ging
- mit Hilfe eines nur durch Masorität trockengelegten Ministers —
die gesetzlich gültige Gründung einer neuen Gemeinde des Volksstaates
Bayern vor sich. Schon am Tage nach der erfolgten obrigkeitlichen
Bewilligung wurde hier auch die vorgeschriebene Gemeindeabstimmung
betreffs Trockenlegung durchgeführt. Welcher Jubel, als die einstimmige
Ablehnung verkündet wurde!
Nun ging s an ein Schaffen und Bauen sondergleichen. Die auf-
gelöste akademische Brauerschule Weihenstephan stellte sich mit sämt-
lichen Schülern und Professoren in den Dienst der Sache und fungierte
als Personal des
neuen Brauhau-
ses. Denn das
war der erste
Bau,- erst dann
kam das Rat-
haus dran. Das
gab einen Trop-
fen! Daß die Re-
zepte der ver-
schiedenen Spe-
zialbiere vom
Salvator bis
zum Hofbräu-
hausmaibock
sämtliche in Ori-
ginalurkunden
gerettet waren,
braucht nicht be-
tont zu werden.
In einem Vier-
teljahr mußte die
Brauerei ver-
zehnfacht wer-
den,- nach einem
Jahre standen
zehn solcher
Brauereien da.
Wie im Mittel-
alter um jede
Burg sich eine
Niederlassung
bildete, entstan-
den auch hier, je
umeineBrauerei
gruppiert, das
Löwenbräu-,
Hackerbräu-,
pschorrbräu-u.a.
Viertel.
Eine Völkerwanderung setzte ein, die alles Dagewesene in Schatten
stellte. Was ist der von Renophon beschriebene Zug der Zehntausend
dagegen? Wie verschwindend wirkt die Gesamtzahl der Mekkapilger
seit Mohammeds Flucht nach Medina gegen diese Ziffern! Das trocken-
gelegte München fuhr Sonntags nicht mehr nach Starnberg oder ins
Gebirge, sondern nur nach Garching. Bankdirektoren und Regierungs-
räte verbrachten ihren ganzen Urlaub dort. Wer's machen konnte, er-
warb sich das Bürgerrecht und siedelte sich dort an. Im zweiten Sommer
nahm derEisenbahnverkehrso gigantische Formen an,daß der Münchner
Hauptbahnhof um 90 Grad in der Achse Nord-Süd verschoben werden
mußte und sämtliche 26 Gleise 15 Kilometer weiter nach Norden geführt
wurden.
Nach drei Jahren war die vordem volkreiche blühende Hauptstadt
München eine ausgehöhlte Ruine. Der Flugplatz der Biergemeinde
Garching umfaßt allein das Dreifache des Weichbildes der alten
(Fortsetzung Sette 251)
„Was ist denn eigentlich bei euch in aller Früh' in euerm Dorf heut' wieder los?" — „Ja,
wissen S', die Vereine sammeln sich beim Unterbräu und ziehen dann mit Bier und Musi' zur
Abstimmung über die — Trockenlegung in den Oberbräukeller."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Am Abstimmungstag"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4216, S. 247
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg