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©pflrbÜd^|C. Don Hans Reimann

Daß er die Notbremse ziehen werde, das hat sich wohl ein jeder schon
ausgemalt. Sie wirklich zu ziehen, ist wenigen beschieden.

Ich meine natürlich solche Fälle, wo die Bremse in Not und aus Not
gezogen wurde.

Ich meine nicht die Kadetten von Groß-Lichterfelde, die allwöchentlich
mindestens einmal von der Notbremse Gebrauch machten, um den - in
Groß-Lichterfelde nicht haltenden — O-Zug zu zwingen, die Kadetten-
Anstalt als Station zu benützen. Das
einzige Mittel, um mit dem Berliner
O-Zug rechtzeitig und ohne den Verlust
einer Nacht frühmorgens zum Dienst
zu erscheinen. Bei Einzelwesen wäre
das ein kostspieliger Spaß gewesen,
die Kadetten jedoch teilten sich hinein;
denn ihrer hundert verbrachten zuwei-
len den Sonntag in der preußischen
Metropole.

Also das meine ich nicht. Sondern ich meine diejenigen Fälle, wo ein
Mensch in äußerster Not die Bremse zieht, um den Zug sofort zum Stehen
zu bringen. Karl Valentin ist in dieser Situation gewesen und bat die
Notbremse gezogen und hat, ohne mit der Wimper zu zucken, die Geldstrafe
für den Mißbrauch bezablt. Es war nämlich Mißbrauch und war doch nackte
Not. Aber es hätte zu weit geführt, das der Eisenbahn-Direktion auseinan-
der zu setzen. Und außerdem bat es sich rentiert, die Notbremse zu zieben.
Warum, das wird man gleich sehen.

Karl Valentin hatte sich nach langem Hin und Her entschloffen, die
Reise nach Zürich anzutreten. Es war
im Jahre 1921, und die Inflation
wütete im deutschen Lande. Valentin,
der bereits vor dem Kriege sein Ver-
mögen bei dem Bau einer eigenhändig
konstruierten Jux-Treppe zugesetzt und
hernach das fleißig Gesparte durch einen
geschäftlich naiv ausgezogenen Film ein-
gebüßt hatte, packte die Gelegenheit,

Schweizer Franken zu verdienen, beim
Zipfel und unterschrieb den auf vierzehn
Tage lautenden Kontrakt nach Zürich.

Es war das allererste mal, daß er eine
Reise in die Fremde riskierte, und wie
ihm, dem zaghaften Mannderl, dabei
ums Herz gewesen ist, das kann man sich vorstellen. — Er reiste nach Zürich,
als ginge es geradewegs in den Tod. Bis Lindau ertrug er die Fährniffe
und Strapazen der Reise mit tapferem Sinn. Hingegen der Bodensee!
Der aus der Fibel bestbekannte Ritt über denselben (jawohl: über den-
selben!) war ein fideler Scherz im Vergleich zu Valentins Fahrt über
denselben (jawohl: über denselben).

In Zürich herrschte gottlob dicker Nebel. Die von Feuchtigkeit geschwän-
gerte Luft tat Valentins Lungen gut, und daß er nicht das mindeste wahr-
nahm von Gegend und Geographie, erhöhte sein Wohlgefühl. Drei Tage
raunen ohne die leiseste Katastrophe dahin. Valentins Seele fand ihr
Gleichmaß, und der Gedanke an die vielen Schweizer Franken, die hier
wuchsen, hielt seinen Mut aufrecht.

Am vierten Tage war der Nebel wie weggeblasen. Mißtrauisch schnupperte
Valentin, mißtrauisch öffnete er das Fenster . .. erbleichend sank er ins
Bett zurück: er hatte die Berge erspäht, die beklemmend hohen Berge, die
atemdroffelnden Berge.

Von da an wars aus mit seiner Lust zum Leben. Ein Häufchen Unglück
auf zwei dünnen Stengeln: so wandelte er abends ins Theater und nach

dem Theater in die Pension. Das Asthma plagte ihn arg. Er schlief nicht,
er aß nicht, er trank nicht. Damit er nicht verhungere, flößte ihm Liesl
Karlftadt hin und wieder einen Löffel Biomalz ein; das einzige, was er
nicht verschmähte.

Ein Segen, daß das Gastspiel nur auf vierzehn Tage anberaumt war!
Die Hälfte war erledigt, und der Rest würde, wenn auch in bleierner
Langsamkeit, so doch immerhin verstreichen, und die Schweizer Franken

flößten Vertrauen ein.

Es ist keine Schande nnd man braucht
sich da nicht zu belügen: Valentin blieb
um der Franken willen. Allerdings hätte
es seinem Charakter widersprochen,
wenn er schlechthin um der Franken
willen ausgehalten hätte. Es waren
mit Nichten die Franken schlechthin.
Nein: es waren die güldenen Franken,
die ihn reizten. Von dem, was er als
Gage erhielt, dienten zwei Zehntel zum Lebens-Unterhalt. Die übrigen acht
Zehntel sammelte er fein und wechselte sie in Goldfranken um. Den Schatz
trug er, in einem Lederbeutelchen verwahrt, um den Hals, bei Tag und
bei Nacht, und litt schwer darunter: denn es schwirrten allerhand Gerüchte
um seine Ohren; Gerüchte von Revisionen an der Grenze und voll Konfis-
kationen und Beschlagnahme. Und das verleidete ihm den Aufenthalt
vollends. Deshalb nach Zürich kommen und sich abrackern und immerfort
inhalieren müssen und ein jämmerliches Dasein führen und sich das Geld
vom Munde absparen, um es hinterdrein abgenommen zu kriegen? Wie

bitter! Wie entsetzlich!

Die Liesl Karlftadt erbotsich,ihnvon
der Sorge zu befreien und das Beutel-
chen am eigenen Leibe zu beherbergen.
Da kam sie an die richtige Adresse!
Valentin rollte die Augenbälle und
fauchte: „Dir trau i a net!"

Es fand die vierzehnte Vorstellung
statt. Valentin wechselte zum letzten
mal Goldstücke ein.

Dann wurde gepackt. Und beim Packen
hatte er einen prächtigen Einfall: es gab
einen Aufbewahrungsort für die geham-
sterten Franken: die angerissene, etwa
zur Hälfte geleerte Biomalz-Büchse!

Die Griechen riefen in derlei Situationen: „Heureka!"

Valentin rief gar nichts, sondern steckte schmunzelnd Franken um Franken
in den Schlitz der Biomalz-Dose wie in eine Sparbüchse. Hier war der
Reichtum wohlverwahrt, und scheppern tat das Geld auch nicht. Kein Mensch
hätte das geringste gespannt. Und kein Mensch würde morgen das geringste
spannen.

Die Liesl Karlstadt mußte einen feierlichen Schwur schwören, das Geheim-
nis zu tiefst in ihren Busen zu versenken, und nachdem sie geschworen und
dem leidlich Beruhigten sozusagen dafür garantiert hatte, daß jegliche Gefahr
beseitigt sei, wurde Abschied von der Schweiz gefeiert, und Valentin war
guter Dinge. Als Freunde und Gönner Adieu sagten und nochmals zur
Vorsicht rieten und, halb im Scherz, den Teufel der Zollrevision und
Leibesvisitation an die Wand malten, und gar davon berichteten, daß un-
längst ein Reisender um seine sämtlichen Devisen erleichtert worden sei,
da hatte Valentin nur mehr ein verschmitztes Kichern und nickte der Karlstadt
bedeutungsvoll zu, als wolle er sagen: „Meine Biomalz-Sparbüchse, die
nimmt mir keiner!"

Selbstverständlich packle Valentin seinen Koffer erst am Morgen. Was

Verwechslung

i

V-'V

„So eine Unverschämtheit!Schmeißt mir cler Kerl statt
in Fußhall einen Igel an den Kopf!“

56
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Verwechslung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Storch, Carl
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4278, S. 56

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