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Die Pantoffel der heiligen Gerswida

In der uralten Feiertagsstube
des reichen Großbauern Ambrosius
Sternegger auf einem prächtig ge-
schnitzten, barocken Sims aus bunt-
bemaltem Holze prangten als
Talisman des Hauses - ctn paar
Pantoffel. Hölzerne Frauenpan-
toffel mit einer aufgemalten Rosen-
ranke um den Spann. Ein fun-
kelnder, blitzender Glassturz schützte
die beiden Kostbarkeiten vor Staub und unberufenen Händen.

Diese Pantoffel hatte Gerswida, eine Sternegger Jungfrau, an den
bloßen Füßen getragen, als sie im dreißigjährigen Kriege in der heiligen
Christnacht das Dorf und die alte, prächtige Kirche an der Spitze der ver-
zagten Männer gegen eine bluttriefende Horde auf eigene Faust umher-
ziehender Marodeure verteidigte und auch errettete. Ein dabei gefangener
ReitecSknecht, dessen Wunde» die grimmige Kämpferin in echt christlicher
Nächstenliebe verbinden wollte, hat sie dann noch in derselben Nacht feige
und hinterrücks niedergestoßen. Die roten Flecken auf den Pantoffeln hatte
ihr durchstochenes Her; darübergeschüttet und wohl mit dem Blute der
Raubgesellen vermengt.

Seit jener entfetzensvollen Christnacht verehrte man Gerswida Stern-
egger weit und breit als Heilige. Ihre Pantoffel wurden alljährlich zu den
großen Kirchenfeften in feierlichem Zuge eingeholt, unter dem purpurnen
Baldachin in die Kirche getragen und unter der heiligen Flamme des
ewigen Lichtes zur Schau gestellt. Mäßig, zu sagen, daß die Sternegger
die uralten Pantoffel hielten wie eine Gottesmonstranz. Die Sternegger
Frauensleute durften sie alle nur einmal im Leben an den bloßen Füßen
tragen, wenn sie gingen, in der beiligen Firmung den Segen des Bischofs
zn empfangen.

Das war aber feit langem nicht mehr geschehen, stand auch gar nicht in
Aussicht, denn der letzte Sternegger hatte keine Töchter, und Ambrosius,
der jetzige Allmächtige auf dem Sterneggerhofe, war ein unerreichbarer,
wilder Hagestolz. Der steinreiche Großbauer wollte nichts von den Frauen
wiffen und er verstand es, allen Anstürmen des schönen
und im Dorfe geradezu prächtig gebauten Geschlechtes
glatt aus dem Wege zu gehen. Er, der sich sonst für
die Intereffen seines Hofes hätte in Stücke reißen
lasten, der fein eigenes Ich stets weit hinter das
Ganze zurückstellte, wollte nicht einfebe», daß ein
solches Besitztum nach einer Frau schrie. Vergeblich
redete seine alte Mutter jahrelang auf ihn ein. Er
wies ihre klaren Beweise, ihre Befürchtungen um
einen Erben glatt von der Hand.

„A Bauer, und a Großbauer dazua, der in sein'm
großen Himmelbett alloa liegt und sein'm Hof und
sein'm Gesinde keine Bäuerin gibt, ie a Rindvieh
von Gottesgnaden!" sagte sie einmal, aufs Äußerste
erbost, weil er wieder alles von sich wies, und es war
ihr doch vorgekommen, als hätte sie den gestrengen Hagestolz ein paar mal
ganz gottgefällig schmunzeln sehen, wenn die Fanni vom Lebzelter, eine Dir»
voll Saft und Kraft, mit Augen wie Wagenräder, an ihm vorübergegange».

„So?!" glotzte Ambrosi. „Warum soll denn der a Rindvieh sei», Frau
Muatta?" — „Weil a Bauernguat ohne Frau iS — wie a Gaul ohne Füaß!"

„Ibr seidS ja da, Frau Muatta!"-„Ihr feids ja da, Fra» Muatta!"
spottete sie ihn aus. „Was soll das da heißen, du Latirl, du!" — „Ihr
seids doch a Bäuerin, Frau Muatta!" lachte er breit und behäbig. „So-
und z'wegn deiner, moanst du, möa>t' i mi dahersetzen und ewig leben?

Eine Weihnachtsgeichichte von Josef Stollreiter

Dös wär mir das Rechte! Na, mei
liaber Bua, i will a amal da drauß'n
liegen, wo alle Sternegger schlaf«, und
an »ir mehr denken brauchen von dem
verflixten Erdenkram!"

Ambrosi kratzte sich verlege» hinterm
Ohr. „Daß 's ös a sterben könnt 's,
Frau Muatta, dös is mir no gar nit

NACHT

Es sind in wehende Träume
die blauen Fernen gehüllt;
das Sehnen nächtlicher Räume
hat alle Herzen erfüllt.

eing'falln!" - Fuchtig über sein eigenes
Nachdenklichwerden, schlug er mit der Faust schwer auf den Tisch. — „I
will aber net!!!" Die Alte ließ eine Weile verstreichen und den jähen
Giftdampf verrauchen. Dan» sagte sie mit glimmenden Augen und die
lausend Fältchen in ihrem Gesichte spielten und rannen: „Ambrosi — i
glaub', du hast koa Schneid! Du hast Angst vor 'm Weiberleut! Hast di
ja alleweil davon abg'sperrt — und a guata Vierziger, wie du iatzt bist —
dem wird halt das Herzbluat gehend, wenn er mit am Frauenzimmer schön
reden soll!" Der Bauer sprang hastig aus und stapfte ein paar Mal wuchtig
durch die Stube. „Bist eben nie auf 'm Tanzboden g'wesen, Ambrosi. Dö
Buam, dö tanzen gehn, wiffen scho, daß 'd Weiberleut a Menschen san
und daß der sie hat — der halt zugreift!"

Ihre Mundwinkel lauerten. Der Bauer stapfte weiter auf und ab.

„In jedem Weiberleuk sitzt der Teifi! Um dö Weiberleut g'schiecht jeds
Unglück in der Welt!" wälzte er in rauchendem Zorn.

Die Alte wies auf die heiligen Pantoffel unter dem Glassturz.

„B'sinn di, Ambrosi! Denk an die da!!"

Er wurde einen Augenblick ruhiger, schäumte aber gleich wieder auf. „I
will aber net! Frau Muatta! Und daß ihr 's wißt, dös sag' i Euch, dös
schwör' i euch hier" - uffd er streckte die drei Finger empor, „wann i eine
Bäuerin nehmen sollt — da müßt das schon eine sein, die am heilig'n
Christabend, wenn der Lichterbaum brennt, barfuaß in dö Pantoffeln der
beiligen Gerswida da, zur Tür reinkäm! — Zu der tät i sagen: I bitt
dich, werd' Bäuerin auf 'm Sterneggerhos!!" Er schnaufte gewaltig.

„Ieffas, Ambrosi, bist du überspannt!" sagte die Alte. „Für die müaßt
ja der Herrgort im Himmel ertra a Wunder schaff«!" — „Anders Heirat
i net, Frau Muatta!" - Er stürmre hinaus.

„Leicht wird das nit sein, alles zusammenz'kriegen!"
murmelte die Alte vor sich hin und strich mit den
runzeligen Händen über den Glassturz, darunter
die heiligen Pantoffel standen.

Das ist die Stunde zu lausdien
dem mächtigen YVeltengebet,
das heimlich, wie Schwingen-
Rauschen

über den Sternen weht. v. a.

Christabend war gekommen.

Das Wunder ging leuchtenden Auges durch das
Land. Die Sterne waren zu den Menschen in die
Häuser, in die Stuben geregnet, und wer durch die
Straßen wandelte, konnte sie aus allen Fenstern
funkeln und strahlen sehen. Das Dorf war voll von
Chorälen und seligem Jauchzen, voll Kinderftimmen
und feierlichem Glockenläuten. Jedes Kinderherz
bätte in diesen Stunden die ganze Welt gekauft oder
auegeschlagen um die Herrlichkeiten unter dem brennenden Lichterbaum.

Auch in der Feierstube des Sterneggerhofes brannten die Gottessterne.
Der märchentropfende Duft brennender Kerzen und erhitzter, angesengter
Tannennadeln durchströmte den Raum. Der Bauer hatte den Staatsrock
mit den echten, schweren Talern statt Knöpfen. Auf dem mächtigen Tische
waren die Geschenke für das zahlreiche Gesinde ausgebreitet, die Glocke ver-
stunimte und die frischen, reschen Dirnen stimmten eben das Wunderlied
der Christenheit an, als hastig und energisch an das Fenster geklopft wurde
und eine belle, wie aus Glockenläuten gegoffene Stimme ries: „Sternegger!

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Pantoffel der heiligen Gerswida"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 167.1927, Nr. 4299, S. 308

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