Das Märchen
vom runden Mädchen
Gabriele Siebenkrem, das runde Mädchen
mit den drei Zentnern und dem Pfannkuchen-
teint, nahm Abschied von den weinenden
Eltern und machte sich auf den Weg. In der
linken Hand trug sie einen Punktroüer, in der
rechten eine Broschüre mit schlanken Illustra-
tionen und auf dem Haupte
einen Eimer Abmagerungs-
bad. So ging sie mollig für-
baß, und kam baldzu einem
Einsiedler, der einst Mode-
diktator gewesen war, sich
aber nun lieber in diesem
hohlen Baumaushielt.„Lie-
besrundesMädchen," sprach
er, „ich möchte dich ergebenst
darauf aufmerksam machen,
daß der Weg zu Kraft und
Schönheit mit hungrigen
Mägen gepflastert ist!" —
„Das macht gar nichts,"
sagte das runde Mädchen,
„es wird mir schon eine gute
Fee begegnen!" Es ging also
weiter, und bald daraus be-
gegnete ihr auch schon eine
gute Fee. „Ich heiße Kalo-
riabella," sagte diese, „ich
will dir das Tischlein-deck-
dichnicht verehren." So ge-
sprochen, gab sie auch wirk-
lich dem runden Mädchen
das besagte Tischlein, deck-
dichnichk, und das runde
Mädchen setzte sich auch all-
sogleich vor dem Tischlein-
deckdichnicht nieder und er-
freute sich an dem Gedanken,
die Zähne nicht abnutzen zu
müssen, und sie so für divers«
bezaubernde Lächlereien zu
schonen. Als sie wieder ein
Stück gegangen war, be-
gegnete ihr der Zwerg Vita-
minstilzchen und offerierte
ihr aus seiner niedlichen
Schnupfdose eine Prise Blattgrün. Das runde
Mädchen nahm dankend an, machte unter be-
herrschtesterBeibehaltung anmutiger Gesichtszüge
ein Mindestquantum Hatsi, und setzte ihren Weg
fort. Sie kam ins negative Schlaraffenland, da
wuchsen Klimmzüge aus den Bäumen, Rumpf-
beugen schwammen im Bach, und aus allen Brun-
nen stoffen purgatorische Quellen. Endlich renkte
Altmodische Betrachtung
Jctit. wo die allermeisten
Sich Bubiköpfe leisten,
Weil 's vor die Mode schrieb.
Merkt man. wie fein und edel,
Wie schön und schmuck ein Mädel.
Das bei den Zöpfen blieb,
o. k h :
In der Küche
Gnädige: „Schon wieder in Tränen! Weinen Sie wegen Ihrer Zahn-
schmerzen oder wegen des untreu gewordenen Bräutigams?"
Köchin (schluchzend): „Abwechselnd, gnädige Frau!"
Parallele
Nicht nur bei Krokodilen
Bewährt sich dieser Sah:
Wo allzugroß das Maul ist,
Bleibt fiir ’s Gehirn kein Pink.
o. k. w.
sich das runde Mädchen durch bis zum Geist
Schrumpfmitlust, der neben seiner Dezimal-
wage steht, und alle zu trösten weiß, die sich
ihm widmen. Lächelnd reichte er ihr die heiß
ersehnte Verringerungssabrkarte, und das
runde Mädchen konnte nun bochentzückt den
D-Zug nach Skelettalien besteigen. Aushal-
bem Weg aber, gerade im allerschönsten Da-
hinmagern, ereignete sich «in merkwürdiger
Zwischenfall.DerVernunft-
wart des Daseins stellte den
Zug, hieß alle Paffagiere
aussteigen, und hielt ihnen
folgende Ansprache: „Meine
Damen! Alle Wege führen
nach Rom, aber der Weg zu
Kraft und Schönheit isteine
Straße zum Regenbogen,
der bekanntlich nur dort die
Erde berührt, wo man selber
nicht ist. Kehren sie bitte um,
meine Damen, lösen sie am
Ernährungsunbekümmert-
heitsschalter eine Rücksahr-
karte, und mensendieken sie
immerfort, nur dann nicht,
wenn sie nichts anzuziehen
haben!"
So ungefähr sprach er.
Da kehrte auch das runde
Mädchen schwermütig, aber
doch innerlich beglückt, um,
wurde Charcutiersgattin,
und erreichteein zufriedenes
Alter. kudwig Schütter
Im Kolleg
Professor der Theologie:
„Wir sind also jetzt bis zu
dem Punkte gelangt der so-
viel Kopfzerbrechen macht,
nämlich zu der Frage: „Gibt
es ein ewiges Leben oder gibt
es kein ewiges Leben?" Von
denjenigen, di« uns bisher
verlaffen haben, um in ein
unbekanntes Jenseits über-
zusiedeln, hat wohl noch kei-
ner einen Ausgebsonntag gehabt, an dem er häkle
zurückkommcn und uns Auskunft geben können.
Es bleibt also eine offene Frage. „Gibt es ein
ewiges Leben oder gibt es kein ewiges Leben?"
Ich weiß es natürlich auch nicht, spreche aber
meine aufrichtige Meinung aus, wenn ich sage:
„Die Wahrheit wird wohl wie immer rn der
Mitte liegen!"
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vom runden Mädchen
Gabriele Siebenkrem, das runde Mädchen
mit den drei Zentnern und dem Pfannkuchen-
teint, nahm Abschied von den weinenden
Eltern und machte sich auf den Weg. In der
linken Hand trug sie einen Punktroüer, in der
rechten eine Broschüre mit schlanken Illustra-
tionen und auf dem Haupte
einen Eimer Abmagerungs-
bad. So ging sie mollig für-
baß, und kam baldzu einem
Einsiedler, der einst Mode-
diktator gewesen war, sich
aber nun lieber in diesem
hohlen Baumaushielt.„Lie-
besrundesMädchen," sprach
er, „ich möchte dich ergebenst
darauf aufmerksam machen,
daß der Weg zu Kraft und
Schönheit mit hungrigen
Mägen gepflastert ist!" —
„Das macht gar nichts,"
sagte das runde Mädchen,
„es wird mir schon eine gute
Fee begegnen!" Es ging also
weiter, und bald daraus be-
gegnete ihr auch schon eine
gute Fee. „Ich heiße Kalo-
riabella," sagte diese, „ich
will dir das Tischlein-deck-
dichnicht verehren." So ge-
sprochen, gab sie auch wirk-
lich dem runden Mädchen
das besagte Tischlein, deck-
dichnichk, und das runde
Mädchen setzte sich auch all-
sogleich vor dem Tischlein-
deckdichnicht nieder und er-
freute sich an dem Gedanken,
die Zähne nicht abnutzen zu
müssen, und sie so für divers«
bezaubernde Lächlereien zu
schonen. Als sie wieder ein
Stück gegangen war, be-
gegnete ihr der Zwerg Vita-
minstilzchen und offerierte
ihr aus seiner niedlichen
Schnupfdose eine Prise Blattgrün. Das runde
Mädchen nahm dankend an, machte unter be-
herrschtesterBeibehaltung anmutiger Gesichtszüge
ein Mindestquantum Hatsi, und setzte ihren Weg
fort. Sie kam ins negative Schlaraffenland, da
wuchsen Klimmzüge aus den Bäumen, Rumpf-
beugen schwammen im Bach, und aus allen Brun-
nen stoffen purgatorische Quellen. Endlich renkte
Altmodische Betrachtung
Jctit. wo die allermeisten
Sich Bubiköpfe leisten,
Weil 's vor die Mode schrieb.
Merkt man. wie fein und edel,
Wie schön und schmuck ein Mädel.
Das bei den Zöpfen blieb,
o. k h :
In der Küche
Gnädige: „Schon wieder in Tränen! Weinen Sie wegen Ihrer Zahn-
schmerzen oder wegen des untreu gewordenen Bräutigams?"
Köchin (schluchzend): „Abwechselnd, gnädige Frau!"
Parallele
Nicht nur bei Krokodilen
Bewährt sich dieser Sah:
Wo allzugroß das Maul ist,
Bleibt fiir ’s Gehirn kein Pink.
o. k. w.
sich das runde Mädchen durch bis zum Geist
Schrumpfmitlust, der neben seiner Dezimal-
wage steht, und alle zu trösten weiß, die sich
ihm widmen. Lächelnd reichte er ihr die heiß
ersehnte Verringerungssabrkarte, und das
runde Mädchen konnte nun bochentzückt den
D-Zug nach Skelettalien besteigen. Aushal-
bem Weg aber, gerade im allerschönsten Da-
hinmagern, ereignete sich «in merkwürdiger
Zwischenfall.DerVernunft-
wart des Daseins stellte den
Zug, hieß alle Paffagiere
aussteigen, und hielt ihnen
folgende Ansprache: „Meine
Damen! Alle Wege führen
nach Rom, aber der Weg zu
Kraft und Schönheit isteine
Straße zum Regenbogen,
der bekanntlich nur dort die
Erde berührt, wo man selber
nicht ist. Kehren sie bitte um,
meine Damen, lösen sie am
Ernährungsunbekümmert-
heitsschalter eine Rücksahr-
karte, und mensendieken sie
immerfort, nur dann nicht,
wenn sie nichts anzuziehen
haben!"
So ungefähr sprach er.
Da kehrte auch das runde
Mädchen schwermütig, aber
doch innerlich beglückt, um,
wurde Charcutiersgattin,
und erreichteein zufriedenes
Alter. kudwig Schütter
Im Kolleg
Professor der Theologie:
„Wir sind also jetzt bis zu
dem Punkte gelangt der so-
viel Kopfzerbrechen macht,
nämlich zu der Frage: „Gibt
es ein ewiges Leben oder gibt
es kein ewiges Leben?" Von
denjenigen, di« uns bisher
verlaffen haben, um in ein
unbekanntes Jenseits über-
zusiedeln, hat wohl noch kei-
ner einen Ausgebsonntag gehabt, an dem er häkle
zurückkommcn und uns Auskunft geben können.
Es bleibt also eine offene Frage. „Gibt es ein
ewiges Leben oder gibt es kein ewiges Leben?"
Ich weiß es natürlich auch nicht, spreche aber
meine aufrichtige Meinung aus, wenn ich sage:
„Die Wahrheit wird wohl wie immer rn der
Mitte liegen!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In der Küche"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 169.1928, Nr. 4331, S. 62
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg