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Zeichnung von E. Croissant

Der Unheilbare

Von Lieronymus Jobs

Der Dienstplatz beim Lerrn
Doktor Rieders, dem Privatge-
lehrten, sagt seine treue Haus-
hälterin Christine, wäre ja pa-
radiesisch, aber, wie halt alles auf
der Welt, — seine zwei Seiten
hat er. Eine Licht- und eine
Schattenseite, akkurat wie der
Lerr Doktor selber: der gütigste,
feinste Mensch, wenn er mag, und
der absonderlichste Grobian, wenn
es ihn grad anpackt; seine
Schrullen sind Legion, seine Iäh-
zornausbrüche furchtbar. Diese
schier unerträglichen Ausbrüche,
sagt die Haushälterin Christine,
die den Dr. Riebeis jetzt schon
das zweiundzwanzigste Jahr be-
treut, erschwerten den Dienst
ungeheuer, kämen aber samt und
sonders nicht etwa von einer so
groben Naturanlage, sondern von
des Lerrn Doktors übermensch-
lichem Studium her; denn eine
dermaßen übertriebene Geistes-
arbeit, sagt sie, schlage sich mit
der Zeit entweder aufs Gehirn
oder ins Gedärm und verwüste
von hier aus die ganze Person;
was ober noch das allerärgste:
der Lerr Dr. Riebeis ist an
keinen Arzt hinzubringen.

Der neueingetretenen Laus-
magd, der Zilli, erzählt das so
die alte Christine, und die Zilli
ihrerseits erzählt von dem Wun-
dermann in ihrer Leimat, der für
alle und jede Krankheit, körper-
liche wie geistige, helfen könne,
obwohl er kein studierter Doktor,
sondern nur ein einfacher Schäfer
sei, der einzig und allein aus den
Laaren des Patienten die Krank-
heit erkenne. Diese Kunde nimmt
sich denn die treue, besorgte Chri-
stine tief zu Lerzen, wendet eine
schlaflose Nacht daran und noch
eine und ist dann fertig mit sich
und ihrem Gewissen: ein Laar-
schüppel des Lerrn Doktors muß her, und das Mittagschläfchen
ist die geeignete Stunde. And so steht also Christine, die ge-
zückte Schere hinter sich haltend, eine zweite Judith vor dem
Lager des Lolofernes, an des Schlummernden Seite und —
klapp — ist der Schüppel schon weg auch, obschon solcher
Raubbau an einer ausgebreiteten Gelehrtenglatze gewiß kein
leichtes Stück ist. And bereits am andern Morgen ist sie mst
dem erbeuteten Skalp auf dem Weg nach Zillis Leimatdors.

Ja, sagt der Schäfer, da gibt's keinen Zweifel nicht, der
Mann mit diesem starken, rauhen Laar ist auf und auf voller
Gall, und so viel ist sicher: kommt die Gall nicht heraus, geht
der Mann ichnurgrad auf die Mondsüchtigkeit zu, und das
weitere weiß man dann sowieso: ein Anruf, und herunten liegt
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er von der Dachrinn. Die treue
Christine erschauert, der Schäfer
aber gibt ihr sein Mittel, ein
Pulver, in dreifacher Dosis für
diesen schweren Fall, und sagt,
daß binnen zwölf Stunden die
Wendung zum Besseren eintreten
werde. And die Christine dankt
und zahlt und geht und tut das
Pulver tags darauf dem Dr. Rieb-
eis heimlich in die Mittagssuppe.

Wie man nun so gegen Mit-
ternacht den Lerrn Doktor ru-
moren hört, Tür aus. Tür ein,
und immer hastiger und pressier-
ter, da meint die Christine, die
Wendung zum Bessern beginne,
und freut sich ihres Erfolges und
malt sich eine stille, ungetrübte,
von wechselseitigen Löslichkeiten
erfüllte Zukunft aus. Der Dr.
Riebeis selber aber hält es für
eine Wendung zum Allerschlimm-
sten, ruft sein Gesinde zu Lilse,
krümmt sich, windet sich, legt sich
quer über Tisch und Stuhl, um-
klammert den warmen Kachelofen,
glaubt, daß die Schmerzen der
ganzen Welt ihm in den Bauch
gefahren sind, und unter dem er-
schütternden Druck dieser Leiden
legt die Lausmagd der Laus-
hälterin ein Geständnis ab. Aus
Rache dafür, daß der Lerr Dok-
tor ihr gleich bei der ersten Drenst-
reichung seine Bouillontasse an
den Kopf geworfen, habe sie der
guten Christine im letzten Augen-
blick die Laare des Lerrn Dok-
tors wegstibitzt und dafür einen
Laarbüschel vom Lofhund Men-
tor, ebenfalls grau und braun,
in den Briefumschlag gezaubert
und so dem Schäfer, damit er die
Krankheit nicht zu erkennen und
heilen vermöge, an Stelle des
Lerrn Dr. Riebeis den Lofhund
Mentor unterbreitet.

Dieses Geständnis peitscht auch
Christinens Gewissen auf und sie
selber fort zum Bezirksarzt und
den Bezirksarzt aus dem Bett.
Er eilt zum Kranken, verschreibt ihm ein Gegenmittel, beruhigt
ihn und sagt, sich entfernend, im Lausssur noch recht bedeut-
sam zu Christinen: „Dem medizinierenden Schäfer kann ge-
holfen werden, Ihrem Lerrn dagegen aus die Dauer nicht;
denn Grobheit, Christine, ist unheilbar."

Irrtum

„And jetzt will ich Ihnen mal blühende Tabakpflanzen
zeigen, Fräulein!"

„Ich rieche fu schon!"

„Nein, das ist die Pfeife von dem Gärtner, der vor uns
hergeht I"

linke putzt den Federhalter
Mit dem Leinenläppchen ab,
linke schließt den Kassenschalter -
Schwapp!

Hinter sich des Amtes Schranken,
Trabt er, froh bewegt
Und von freundlichen Gedanken
Angeregt.

Wie er grad den Hauptmarkt querte,
Hat er still gelacht:

„Meine Frau hat Gartenerde
Mitgebracht!“

Ach, der Tulpen schöne Kelche I
Besser wäre freilich Mist.

(linke zieht Tomaten, welche
Niemand ißt.)

Gaudeamus! summt er schreitend,
Heute grab ich Humus.

Auch der Schnittlauch wird bedeutend -
Juvenes dum sumus!

Doch im Hausflur hat Frau Mährde,
Die Portiersfrau, Krach gemacht:
„Welches Schwein hat Gartenerde
Mitgebracht ?! “

linke hat sich zum Baikone
Leise durchs Entree gepürscht:
Unterm Aüsatz im Salone
Hats geknirscht
Aber he! Auf dem Piano
— linke hats sofort erkannt —
Auf den Tasten liegt Guano,
Sand!!

Wie Old Shatterhand auf Fährte,
Scharf kausal hat er gedacht:
„Meine Frau hat Gartenerde
Mitgebracht."

linke wird ein wenig düster.

Für die Gartenarbeit dann
Zieht er einen Rock aus Lüster
An.

Doch er ruft empört nach Jettchen:
„Jettchen, komm mal rein!“
Denn ihm rollt durchs Chemisettchen
Eozänes Urgestein.

Aus dem Hosenrohr entleerte
Er es kunstvoll, sacht:

„Meine Frau hat Gartenerde
Mitgebracht /"

linkes Stirn zeigt tiefe Runzeln.

Und das Mittagessen naht:
Suppe, Schnitzel mit Rapunzeln
Und Spinat.

linke, jetzt schon stiller Büsser,
Legt sich auf, probiert — und jäh
Haut er wild in die Gemüser —
Nee!!!

Mit vernichtender Gebärde
Hat er sich davongemacht:
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