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ein untrügliches Sprachgefühl zutraut. Und dadurch gibt es
eben Streit. Da gehen Freundschaften in die Brüche; da
gehen Verlobungen in die Binsen! Ich selbst habe mich mit
meinem Schwager auf den Tod erzürnt, weil ich sagte, es
hieße „man tritt mir auf den Fuß/ woraus er Stein und
Bein schwur, daß es „mich" heißen müsse, und daß ich mir
mein Schulgeld wiedergeben lassen solle. Ich schlug mit gleicher
Münze zurück, zahlte seinen Anwurf heim, und dann erzürn-
ten wir uns eben.

Zum Glück laufen nicht alle Debatten über die deutsche
Sprache so tragisch aus. Da ist z. B die Geschichte mit dem
„Reiter über den Bodensee," die ich erlebt habe, doch viel
friedlicher ausgegangen.

Das war gelegentlich einer kleinen Abendgesellschaft bei
unserem gemeinsamen Freunde Marquardt. Pumpel, der lange
Mediziner, hatte gerade ein Abenteuer
aus seinem Leben zum besten gegeben.
Dazu bemerkte einer aus der Gesell-
schaft: „Dann waren Sie also gewisser-
maßen der Reiter über den Bodensee?"
Dann entstand eine Pause.

Nichts kann einen Mann von Gemüt schwerer kränken,
als wenn man glaubt, ihn in seiner Handhabung der deutschen
Sprache berichtigen zu müssen; und nichts ist klarer, als daß
ein also Gerügter sich heftig gegen den Schimpf wehrt.

Wenn einer zugeben muß, daß er nichts vom Brotbacken
versteht oder keinen Stuhl und keinen Tisch ansertigen kann,
so bedeutet das für ihn keine Anehre. Ein Bäckermeister oder
Tischlermeister kann nicht jeder sein. Aber Angeschicklrchkeit im
Gebrauch der deutschen Sprache sich vorwerfen lassen, das will
niemand. Ein Deutschmeister will jeder sein.

Manchmal entstehen erbitterte Feindschaften, wenn zwei
über irgendeine Angelegenheit der deutschen Sprache ver-
schiedener Meinung sind. Da gibt es nämlich kein Nachgeben.
Wenn es um die Anwendung der Muttersprache geht, dann
gibt es niemand, der sich nicht darin unbedingte Sicherheit und

Zeichnung von ©. »Ulmet

Selbsteinschätzung

„Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich
als Anbekannter Sie anspreche."

„Aber ich weiß, wer Sie sind."

„So! Dann bitte ich erst recht um Verzeihung!"

Bis einer fragte: „Äeißt es denn
nun eigentlich ,Der Reiter über dem
Bodensee oder den Bodensee"?"

„Selbstverständlich: überden Boden-
see," entschied Semmelwein, ein Philo-
loge von Geburt, Beruf und Charakter.

„Wieso selbstverständlich?" fragte
der andere wieder. „Man sagt doch auch:
der Nebel über dem Bodensee. Warum
soll man nicht sagen können: der Reiter
über dem Bodensee?"

Semmelwein lächelte erhaben, und
Pumpel trat ihm bei. „Quatsch! Voll-
endeter Blödsinn!" sagte Pumpel, nach-
dem er einen Likör zu sich genommen
hatte. „Das ist doch etwas ganz ande-
res. Der Nebel liegt still, und der Rei-
ter bewegt sich. Also muß es ganz klar
beim Nebel aus die Frage Wo? ,Aeber
dem Bodensee" heißen, beim Reiter aber
auf die Frage Wohin? ,Aeber den
Bodensee". Außerdem weiß ich ganz
genau, daß Schiller hier den vierten
Fall gesetzt hat."

„Goethe," warf Semmelwein da-
zwischen.

„Natürlich Goethe," verbesserte sich
Pumpel.

„Schön!" sagte Angermann, der als
Verteidiger des Dativs nun schon zwei
Gegner hatte. „Schön! Wenn der Nebel
ruht, dann regiert er den dritten Fall.
Wenn er aber sich bewegt? Äe!"

„Dann regiert er auch den dritten
Fall!" riefen aus einem Munde die
Protektoren des Reiters mit dem Ak-
kusativ.

„Dann regiert euer Reiter, wenn er
sich bewegt, auch den dritten Fall,"
lFortsetzung Seite 344)

342
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Selbsteinschätzung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Blömer, Hermann
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
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Fliegende Blätter, 170.1929, Nr. 4374, S. 342

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