Zeichnung von I. Fenneker
SDZefyf £id)t! Von LieronymuS Jobs
In meiner Vaterstadt, einem kleinen,
lieben Nest da unten an der österreichi-
schen Grenze irgendwo, wurde die Oper
„Der Freischütz" gegeben. Der Gesang-
verein, dort Liedertafel genannt, und
der Orchesterbund hatten sich nach jahre-
langer Trennung, ja, Befehdung zu
diesem Zwecke wiedergefunden und in
ihrem gemeinsamen Winterprogramm
einen solchen Löhenrekord erklommen.
Das ganze Städtchen lag in Spannung,
und wer so unvorsichtig war, jetzt sich
etwa einen Ofen setzen oder einen An-
zug anniessen zu lassen, der bekam eine
Lehrbubenarbeit geliefert, mit Rauch-
abzug ins Zimmer hinein oder mit ei-
nem Schnitt für Rock und Lose, daß
Pferd und Lornvieh nicht daran vor-
bei wollten. Meister und Geselle waren
nämlich derzeit von den Problemen
dramatischer Gestaltung, orchestralen
Zusammenspiels und gesanglicher Lar-
monie dermaßen in Anspruch genommen,
daß der Kundendienst in diesen Wochen
der Vorbereitung ausschließlich auf
Lehrlingsschultern ruhte,von denen ohne-
hin ein jeder weiß, wie schwach sie sind.
Ja, selbst in den Reservationen der
deutschen Lausfrau herrschte nur noch
der Geist der Musik und ließ die Leber-
knödel hart wie Pflastersteine und das
nur in sprödem Zustand beliebte Tee-
gebäck weich wie Mehlmus geraten;
denn eine unterm Landvolk zur Mit-
wirkung auf der Bühne Berufene oder
eine Brautjungfer, wo nicht etwa gar
eine zum fürstlichen Gefolge gehörige
Dame fand sich doch fast in jedem
Laus. Und es war nur gut, daß
Karl Maria von Weber mit zwei pro-
minenten Frauenrollen sich begnügt hat,
weil ja schon die Laushalte des Aennchen
(Fräulein Margarete Bachberger, Toch-
ter des verwitweten Sattlermeisters
Sebastian Bachberger) und der Agathe
(Frau Buchbindermeister Lörgetsham-
mer) genug Verwüstung im Familien-
leben aufzeigten. Latte doch Lerr Bach-
berger schon erklärt: entweder er oder
der Freischütz; beide nebeneinander aber
„Nein, was der Lerr für interessante Bücher hat! unmöglich, den» nicht einmal mehr für
Gott sei Dank mal wieder eine Dauerstellung!" die Lerstellung des Mittagsmahls habe
seine Gretel Zeit.
Die größte Erwartung brachte jedoch
die gesamte Einwohnerschaft der Wolfsschlucht entgegen. Nur
zu begreiflich: der Darsteller des arge» Kalpar (Apotheker
Lind) verstand es ja vorzüglich, jedem seiner Kunden zu sei-
nem Fläschchen Medizin, seinem Topf Pomade, seiner Portion
Flohpulver noch gratis einige geheimnisvolle Andeutungen
über die Schrecken der Gespensterkluft mitzugeben, also, daß
allgemach durch das ganze Städtchen sich gruselige Schauer
ausbreiteten und am Ausführungsabend auch nicht das kleinste
Plätzchen in dem großen Bruckbräusaal unbesetzt blieb, viel-
mehr da und dort zwei Theaterfreunde auf einem Platz zu
374
Erfahrung
„Ein erhabenes Beispiel, fürwahr! Sie werden das Saufen
verschworen haben, Lerr Kollega."
„Da sehen Sie's!" schrie Schlaukopp triumphierend, „da
haben Sie die Irrwege des krassen Sensualismus! Das Trinken
aufgeben — so recht eine primitive Eindrucksentscheidung! Ich
will es Ihnen sagen: Ich habe geschworen, auf keine Tele-
graphenstange mehr zu klettern!
Und diesem Grundsatz bin ich gefolgt und gut dabei
gefahren."
SDZefyf £id)t! Von LieronymuS Jobs
In meiner Vaterstadt, einem kleinen,
lieben Nest da unten an der österreichi-
schen Grenze irgendwo, wurde die Oper
„Der Freischütz" gegeben. Der Gesang-
verein, dort Liedertafel genannt, und
der Orchesterbund hatten sich nach jahre-
langer Trennung, ja, Befehdung zu
diesem Zwecke wiedergefunden und in
ihrem gemeinsamen Winterprogramm
einen solchen Löhenrekord erklommen.
Das ganze Städtchen lag in Spannung,
und wer so unvorsichtig war, jetzt sich
etwa einen Ofen setzen oder einen An-
zug anniessen zu lassen, der bekam eine
Lehrbubenarbeit geliefert, mit Rauch-
abzug ins Zimmer hinein oder mit ei-
nem Schnitt für Rock und Lose, daß
Pferd und Lornvieh nicht daran vor-
bei wollten. Meister und Geselle waren
nämlich derzeit von den Problemen
dramatischer Gestaltung, orchestralen
Zusammenspiels und gesanglicher Lar-
monie dermaßen in Anspruch genommen,
daß der Kundendienst in diesen Wochen
der Vorbereitung ausschließlich auf
Lehrlingsschultern ruhte,von denen ohne-
hin ein jeder weiß, wie schwach sie sind.
Ja, selbst in den Reservationen der
deutschen Lausfrau herrschte nur noch
der Geist der Musik und ließ die Leber-
knödel hart wie Pflastersteine und das
nur in sprödem Zustand beliebte Tee-
gebäck weich wie Mehlmus geraten;
denn eine unterm Landvolk zur Mit-
wirkung auf der Bühne Berufene oder
eine Brautjungfer, wo nicht etwa gar
eine zum fürstlichen Gefolge gehörige
Dame fand sich doch fast in jedem
Laus. Und es war nur gut, daß
Karl Maria von Weber mit zwei pro-
minenten Frauenrollen sich begnügt hat,
weil ja schon die Laushalte des Aennchen
(Fräulein Margarete Bachberger, Toch-
ter des verwitweten Sattlermeisters
Sebastian Bachberger) und der Agathe
(Frau Buchbindermeister Lörgetsham-
mer) genug Verwüstung im Familien-
leben aufzeigten. Latte doch Lerr Bach-
berger schon erklärt: entweder er oder
der Freischütz; beide nebeneinander aber
„Nein, was der Lerr für interessante Bücher hat! unmöglich, den» nicht einmal mehr für
Gott sei Dank mal wieder eine Dauerstellung!" die Lerstellung des Mittagsmahls habe
seine Gretel Zeit.
Die größte Erwartung brachte jedoch
die gesamte Einwohnerschaft der Wolfsschlucht entgegen. Nur
zu begreiflich: der Darsteller des arge» Kalpar (Apotheker
Lind) verstand es ja vorzüglich, jedem seiner Kunden zu sei-
nem Fläschchen Medizin, seinem Topf Pomade, seiner Portion
Flohpulver noch gratis einige geheimnisvolle Andeutungen
über die Schrecken der Gespensterkluft mitzugeben, also, daß
allgemach durch das ganze Städtchen sich gruselige Schauer
ausbreiteten und am Ausführungsabend auch nicht das kleinste
Plätzchen in dem großen Bruckbräusaal unbesetzt blieb, viel-
mehr da und dort zwei Theaterfreunde auf einem Platz zu
374
Erfahrung
„Ein erhabenes Beispiel, fürwahr! Sie werden das Saufen
verschworen haben, Lerr Kollega."
„Da sehen Sie's!" schrie Schlaukopp triumphierend, „da
haben Sie die Irrwege des krassen Sensualismus! Das Trinken
aufgeben — so recht eine primitive Eindrucksentscheidung! Ich
will es Ihnen sagen: Ich habe geschworen, auf keine Tele-
graphenstange mehr zu klettern!
Und diesem Grundsatz bin ich gefolgt und gut dabei
gefahren."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Nein, was der Herr für interessante Bücher hat!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 171.1929, Nr. 4402, S. 374
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg