Fliegende Blätter (173.1930 (Nr. 4431-4456) = 86. Jahrg.)

Ich wohne in einem Haus,

Das fehr mufikalifch ift:

Ganz früh treibt mich hinaus
Der schreckliche Pianift.

Ich werde des Morgens um sechs
Nicht gerne durch fowas wach,
Und während des Frühftücksgebäcks
Verzichte ich lieber auf Bach.

Ich stopfe in jedes Ohr
Mir Watte — hoffnungslos!

Es fiegt der Männerchor
Und der Geigenvirtuos.

Zu viel!

Ich stelle midi, höchst betrübt,
Verkehrt an der Wand in die Höh,
Denn jetzt beginnt und übt
Der Sänger das hohe C.

Ich rieche — das erfrischt! —

Am Salmiakgeist herum,

Doch währenddessen drischt
Das Jazz=Schlagzeug — bum — bum

So gehts, wenn ich erwacht,

-— Unvorstellbare Pein! —

So gehts bis in die Nacht
Bei Mond- und Sternenfchein.

Ich trag, geduldig tief,

Die ganze Quälerei,

Ich schreibe keinen Brief,
Geh nicht zur Polizei.

Ich fchieße nicht mit Schrot,
Ich wirk nicht mit Cyan:

Ich ärgere midi halbtot
Und bleibe Gentleman.

Doch neulich, neulich ift
Der Leu in mir erwacht.

Da blies der Posaunist
Nach zwölf noch in der Nacht.

Ich kroch aus meinem Bett Er trieb mit mir fein Spiel.

Und zielte gut und scharf —- Was hat er sich erkeckt?

Ich sag es lieber net, Er blies: „Morgen früh, wenn Gott will,

Womit ich damals warf. Wirft Du wie-i-der geweckt!"