Kleine Neujahrsgeschichten
hat in der letzten Nacht nur wenig Punsch
getrunken. Der Lund ist noch munterer;
der hat gar keinen Punsch getrunken.
Da kommt Wedekopp an. Der muß sehr
viel Punsch getrunken haben; mühsam
wandelt er dahin, mit glasigen Augen auf
den Weg stierend.
„Prosit Neujahr, Lerr Wedekopp!"
rust Zeitgrün. „Alles Schöne und Gute!"
„Danke, danke — Ihnen gleichfalls!"
murmelt Wedekopp.
Da kommt der Dobermann angesprun-
gen. Zeitgrün hat eine Lundeleine bei sich.
„Leran, Pluto!" kommandiert er und legt
den Lund an die Leine, mit so ostentativer
Gründlichkeit bei dieser Landlung, daß
Wedekopp aufmerksam wird.
„Nanu — ist der Lund so scharf?"
„Sonst nicht - - aber Sie haben doch
so einen Riesenkater."
Es klingelte, und Mielenz machte selber
die Tür auf. Ein solider älterer Mann
stand da. „Ich möchte Ihnen von ganzem
Lerzen zum neuen Jahre gratulieren,"
sprach er schlicht.
Mielenz wunderte sich etwas. „Ja, wer
sind Sie denn?"
„Es ist klar: Seit Otto Gisela gesehen hat, macht er sich nicht mehr so viel
aus mir. Also, bitte, wie nennt man das? —
„Im kaufmännischen Leben nennt man's einen Nach-Sicht-Wechsel."
Entgegenkommen
„Tu mir den Gefallen, Lorst: wenn heute Papa kommt, ver-
zichte auf dein Monokel! Er kann es nicht ausstehn."
„Ich werde sogar noch mehr tun, Schatz: ich werde es fallen
lassen. Da wird der alte Lerr einen Triumph haben."
„Ich bin der Man», der in diesem Viertel die Kranken-
kassenbeiträge für die Dienstmädchen einzieht."
Jetzt wunderte sich Mielenz stark. „Ja, wir haben aber
doch schon lange kein Dienstmädchen mehr. Ich bin glücklich,
daß ich nichts mehr an die Krankenkasse zu zahlen habe. Diese
blödsinnig hohen Beiträge! sind dazu noch die Zuschläge für
die Erwerbslosenfürsorge. Lab' ich zahlen müssen, während
ich doch gerade jemandem Arbeit gab-so eine Verückt-
heit! Ich bin froh, ich bin wahnsinnig froh, daß ich nichts
mehr mit der Krankenkasse zu tun habe!"
Der solide ältere Mann lächelte freundlich. „Deshalb
komme ich ja gerade. Ihnen gratulieren."
Stopfer hat bereits manches Neujahrsdouceur verabfolgt -
ein gräßliches Wort, aber Stopfer gebraucht es! — da kommt
auch der Bäckerlehrling an, der jeden Morgen die Semmeln
bringt.
„Aha, auf Sie Hab' ich schon lange gewartet, junger Mann,"
sagt Stopfer und drückt ihm ein winziges Päckchen in die
Land. „Wissen Sie, was Platin ist?"
Der Bäckerlehrling nickt. Ja, er weiß Bescheid.
„Schön! Da ist ein Platinstiftchen dabei, das Sie zu Geld
machen können. Nämlich in dem Stiftzahn, den ich mir vor-
gestern an einer von Ihren harten Semmeln ausgebissen habe."
★
Äiele, viele Kilometer trennen Steppke und Zobel, die
beiden treuen Freunde; Berge und Täler, Wälder und Flüsse
liegen zwischen ihnen, Steppke ist einsam in der Neujahrsnacht;
er gedenkt des Freundes und gibt an ihn kurz vor Mitternacht
ein dringendes Telegramm auf.
Zobel hat eine kleine Gesellschaft bei sich. Am vier Ahr
morgens ist man noch beieinander, aber erheblich betrunken.
Da schrillt die Glocke: Ein Telegramm für Lerrn Zobel.
Zobel, schwankend wie eine Zypresse im Sturme, reißt das
Telegramm auf und liest mühsam: „Prosit Neujahr! Dein
alter Steppke."
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hat in der letzten Nacht nur wenig Punsch
getrunken. Der Lund ist noch munterer;
der hat gar keinen Punsch getrunken.
Da kommt Wedekopp an. Der muß sehr
viel Punsch getrunken haben; mühsam
wandelt er dahin, mit glasigen Augen auf
den Weg stierend.
„Prosit Neujahr, Lerr Wedekopp!"
rust Zeitgrün. „Alles Schöne und Gute!"
„Danke, danke — Ihnen gleichfalls!"
murmelt Wedekopp.
Da kommt der Dobermann angesprun-
gen. Zeitgrün hat eine Lundeleine bei sich.
„Leran, Pluto!" kommandiert er und legt
den Lund an die Leine, mit so ostentativer
Gründlichkeit bei dieser Landlung, daß
Wedekopp aufmerksam wird.
„Nanu — ist der Lund so scharf?"
„Sonst nicht - - aber Sie haben doch
so einen Riesenkater."
Es klingelte, und Mielenz machte selber
die Tür auf. Ein solider älterer Mann
stand da. „Ich möchte Ihnen von ganzem
Lerzen zum neuen Jahre gratulieren,"
sprach er schlicht.
Mielenz wunderte sich etwas. „Ja, wer
sind Sie denn?"
„Es ist klar: Seit Otto Gisela gesehen hat, macht er sich nicht mehr so viel
aus mir. Also, bitte, wie nennt man das? —
„Im kaufmännischen Leben nennt man's einen Nach-Sicht-Wechsel."
Entgegenkommen
„Tu mir den Gefallen, Lorst: wenn heute Papa kommt, ver-
zichte auf dein Monokel! Er kann es nicht ausstehn."
„Ich werde sogar noch mehr tun, Schatz: ich werde es fallen
lassen. Da wird der alte Lerr einen Triumph haben."
„Ich bin der Man», der in diesem Viertel die Kranken-
kassenbeiträge für die Dienstmädchen einzieht."
Jetzt wunderte sich Mielenz stark. „Ja, wir haben aber
doch schon lange kein Dienstmädchen mehr. Ich bin glücklich,
daß ich nichts mehr an die Krankenkasse zu zahlen habe. Diese
blödsinnig hohen Beiträge! sind dazu noch die Zuschläge für
die Erwerbslosenfürsorge. Lab' ich zahlen müssen, während
ich doch gerade jemandem Arbeit gab-so eine Verückt-
heit! Ich bin froh, ich bin wahnsinnig froh, daß ich nichts
mehr mit der Krankenkasse zu tun habe!"
Der solide ältere Mann lächelte freundlich. „Deshalb
komme ich ja gerade. Ihnen gratulieren."
Stopfer hat bereits manches Neujahrsdouceur verabfolgt -
ein gräßliches Wort, aber Stopfer gebraucht es! — da kommt
auch der Bäckerlehrling an, der jeden Morgen die Semmeln
bringt.
„Aha, auf Sie Hab' ich schon lange gewartet, junger Mann,"
sagt Stopfer und drückt ihm ein winziges Päckchen in die
Land. „Wissen Sie, was Platin ist?"
Der Bäckerlehrling nickt. Ja, er weiß Bescheid.
„Schön! Da ist ein Platinstiftchen dabei, das Sie zu Geld
machen können. Nämlich in dem Stiftzahn, den ich mir vor-
gestern an einer von Ihren harten Semmeln ausgebissen habe."
★
Äiele, viele Kilometer trennen Steppke und Zobel, die
beiden treuen Freunde; Berge und Täler, Wälder und Flüsse
liegen zwischen ihnen, Steppke ist einsam in der Neujahrsnacht;
er gedenkt des Freundes und gibt an ihn kurz vor Mitternacht
ein dringendes Telegramm auf.
Zobel hat eine kleine Gesellschaft bei sich. Am vier Ahr
morgens ist man noch beieinander, aber erheblich betrunken.
Da schrillt die Glocke: Ein Telegramm für Lerrn Zobel.
Zobel, schwankend wie eine Zypresse im Sturme, reißt das
Telegramm auf und liest mühsam: „Prosit Neujahr! Dein
alter Steppke."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Es ist klar: Seit Otto Gisela gesehen hat ..." "Entgegenkommen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 173.1930, Nr. 4456, S. 407
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg