Zwei Fliegen auf einen Schlag
Von Lteronymus Jobs
An einem Hellen Vorfrühlingssonntag, der so recht aus der
Großstadt herauslockte, begegnete Professor Dr. Schneckenreiter
im Stadtzentrum seinem Vetter, dem Schuhsabrikanten Fritz
Moppel, und da die zwei Männer längere Zeit sich nicht gesehen
hatte», war die Begrüßung herzlich, ja, von seiten des Professors
fast überschwenglich. Dieses aus dem Grunde, weil Frau Schnecken-
reiter, von einer ihrem Gatten unbegreiflichen Abneigung gegen
die Woppelsche „Seitenlinie" beseelt, um nicht zu sagen besessen,
es nicht selten den einzelnen Gliedern der „Seitenlinie" gegenüber
sogar an den unverjährbaren Grundformen der Löslichkeit fehlen
ließ, was dann jeweils Lerr Schneckenreiter durch gelegentlichen
Gefühlsüberschwang wieder auszugleichen sich bemühte. Durch
Fragen und Gegenfragen stellte sich nun an jenem Vorfrühlings-
Vormittag heraus, daß beide Lerren, für diesen Sonntag von
ihren Angehörigen allein zurückgelassen, ganz auf sich selbst an-
gewiesen waren, was Vetter Moppel einen hocherfreulichen Zu-
fall nannte und dem lockenden Frühlingstag zu Ehren mit dem
Vorschlag krönte, behufs gemeinsamen Mittagsmahles sich zum
Altwirt nach Gurkenried hinauszubegeben, das, von der Endstation
der Elektrischen noch eine Stunde Wegs entfernt, wegen seiner
delikaten und wahrlich märchenhaft billigen Brathühner immer
noch eine Art Weltruf genieße. Mit einem Brathuhn und gar
noch einem wohlfeilen hätte sich aber Professor Schneckenreiter
durch mehrere Längen- und Breitengrade locken lassen, von einer
Stunde Fußmarsch gar nicht zu reden. So nahmen denn alsbald
„Gestern Hab' ich den Verlobten von Lore
ein sehr gesetzter Lerr." — „So? Sie
die Vettern nebeneinander in der Straßenbahn Play, um schon
eine halbe Stunde darauf dem stillen Kirchdorf Gurkenried in
verwandtschaftlicher Eintracht zuzuwandeln.
Sie preisen, wie sie so die Landstraße dahinpilgern, überein-
stimmend den Lenz: Lerr Moppel feiert die milde Sonne, die laue
Luft und das junge Grün; Lerr Schneckenreiter den tiefblauen
Limmel und die sonstige noch restierende Frühlingseinrichtung,
kommt aber dabei doch immer wieder auf das seiner harrende
Brathuhn zurück. „Denn," sagt er, „mag man auch als Idealist auf
die Materie noch so herabblicken, ein Brathuhn, wundervoll braun
und knusperig zubereilet, bleibt doch immer ein Brathuhn."
„And wenn ich dir erst noch den Preis verrate," meint
Vetter Moppel.
„Iaso, natürlich, der Preis — der wird ja diese Schlaraffen-
Wonne vermutlich etwas verpfeffern."
„Das .Luhn eine Mark fünfzig."
Da bleibt Professor Doktor Andreas Schneckenreiter stehen,
als habe er nicht recht gehört: „Wieviel?"
„Das ganze Luhn mit Salat und Kompott eine Mark und
fünfzig Pfennig."
„Dann ist entweder dein Gurkenrieder Altwirt geistig um-
nachtet, oder wir wandeln bereits im Elysium."
Doch Vetter Moppel bestreitet: „Keines von beiden. Son-
dern lediglich das Ergebnis der überragend rationellen Geflügel-
zucht des Altwirts. Aebrigens spare alle Zweifel und Bedenken,
bis du dich selbst überzeugt hast!"
Und also geschah es, daß gerade an diesem lieblichen Vor-
frühlingstag beim Altwirt zu Gurkenried zwei herrliche, hoffnungs-
volle junge Lähne sterben mußten, noch
ehe sie so ganz zum Genuß des Lebens
erwacht waren, und daß zwei alte Lerren
aus der Stadt vor Gaumenlust sich schier
nicht mehr zu fassen wußten. Als aber
gar noch die dralle Kellnerin dem Pro-
fessor Schneckenreiter für sein leckeres
Mahl tatsächlich nur anderthalb Mark
abnahm, da nannte er das geringe
Bauernnest ein Paradies und seinen Mit-
tagstisch das Wunder von Gurkenried.
So geschah aber auch noch des wei-
teren, daß Professor Schneckenreiter auf
die gereizte Frage seiner Gattin, ob sie
denn in diesem Jahr die Pfingsttage
wiederum in der Stadt versitzen müßten,
sehr geheimnisvoll erwiderte: „Nein.
Das Pfingstprogramm ist fertig, die
Aeberraschung heute schon so gut wie
komplett. And zwar lädst du auch Tante
Christine und ihre drei Töchter dazu ein.
Ich sage vorläufig nur: ihr werdet
staunen, staunen, staunen."
Die Aeberraschung bestand dann da-
rin, daß Professor Schneckenreiter seine
ganze Familie sowie die Schwägerin
Christine und ihre drei Töchter, im
ganzen somit, ihn selbst nicht mitgezählt,
eine Expedition von neun Personen nach
Gurkenried führte, dortselbst mit dem
Schwarm beim Altwirt einfiel und also-
gleich, da ja, wie er erläuternd bemerkte,
das Pfingstfest nur einmal im Jahr auf-
treffe, zehn Brathühner mit Salat und
Kompott bestellte. Die Lauptüber-
raschung aber lag doch darin, daß bei
der Rechnungsstellung die dralle Kell-
nerin jedes einzelne Brathuhn nebst
&. K f*. ch rt c. r-.
Maltitz gesehn — — ist schon
erzählte mir, er wäre gut gestellt."
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Von Lteronymus Jobs
An einem Hellen Vorfrühlingssonntag, der so recht aus der
Großstadt herauslockte, begegnete Professor Dr. Schneckenreiter
im Stadtzentrum seinem Vetter, dem Schuhsabrikanten Fritz
Moppel, und da die zwei Männer längere Zeit sich nicht gesehen
hatte», war die Begrüßung herzlich, ja, von seiten des Professors
fast überschwenglich. Dieses aus dem Grunde, weil Frau Schnecken-
reiter, von einer ihrem Gatten unbegreiflichen Abneigung gegen
die Woppelsche „Seitenlinie" beseelt, um nicht zu sagen besessen,
es nicht selten den einzelnen Gliedern der „Seitenlinie" gegenüber
sogar an den unverjährbaren Grundformen der Löslichkeit fehlen
ließ, was dann jeweils Lerr Schneckenreiter durch gelegentlichen
Gefühlsüberschwang wieder auszugleichen sich bemühte. Durch
Fragen und Gegenfragen stellte sich nun an jenem Vorfrühlings-
Vormittag heraus, daß beide Lerren, für diesen Sonntag von
ihren Angehörigen allein zurückgelassen, ganz auf sich selbst an-
gewiesen waren, was Vetter Moppel einen hocherfreulichen Zu-
fall nannte und dem lockenden Frühlingstag zu Ehren mit dem
Vorschlag krönte, behufs gemeinsamen Mittagsmahles sich zum
Altwirt nach Gurkenried hinauszubegeben, das, von der Endstation
der Elektrischen noch eine Stunde Wegs entfernt, wegen seiner
delikaten und wahrlich märchenhaft billigen Brathühner immer
noch eine Art Weltruf genieße. Mit einem Brathuhn und gar
noch einem wohlfeilen hätte sich aber Professor Schneckenreiter
durch mehrere Längen- und Breitengrade locken lassen, von einer
Stunde Fußmarsch gar nicht zu reden. So nahmen denn alsbald
„Gestern Hab' ich den Verlobten von Lore
ein sehr gesetzter Lerr." — „So? Sie
die Vettern nebeneinander in der Straßenbahn Play, um schon
eine halbe Stunde darauf dem stillen Kirchdorf Gurkenried in
verwandtschaftlicher Eintracht zuzuwandeln.
Sie preisen, wie sie so die Landstraße dahinpilgern, überein-
stimmend den Lenz: Lerr Moppel feiert die milde Sonne, die laue
Luft und das junge Grün; Lerr Schneckenreiter den tiefblauen
Limmel und die sonstige noch restierende Frühlingseinrichtung,
kommt aber dabei doch immer wieder auf das seiner harrende
Brathuhn zurück. „Denn," sagt er, „mag man auch als Idealist auf
die Materie noch so herabblicken, ein Brathuhn, wundervoll braun
und knusperig zubereilet, bleibt doch immer ein Brathuhn."
„And wenn ich dir erst noch den Preis verrate," meint
Vetter Moppel.
„Iaso, natürlich, der Preis — der wird ja diese Schlaraffen-
Wonne vermutlich etwas verpfeffern."
„Das .Luhn eine Mark fünfzig."
Da bleibt Professor Doktor Andreas Schneckenreiter stehen,
als habe er nicht recht gehört: „Wieviel?"
„Das ganze Luhn mit Salat und Kompott eine Mark und
fünfzig Pfennig."
„Dann ist entweder dein Gurkenrieder Altwirt geistig um-
nachtet, oder wir wandeln bereits im Elysium."
Doch Vetter Moppel bestreitet: „Keines von beiden. Son-
dern lediglich das Ergebnis der überragend rationellen Geflügel-
zucht des Altwirts. Aebrigens spare alle Zweifel und Bedenken,
bis du dich selbst überzeugt hast!"
Und also geschah es, daß gerade an diesem lieblichen Vor-
frühlingstag beim Altwirt zu Gurkenried zwei herrliche, hoffnungs-
volle junge Lähne sterben mußten, noch
ehe sie so ganz zum Genuß des Lebens
erwacht waren, und daß zwei alte Lerren
aus der Stadt vor Gaumenlust sich schier
nicht mehr zu fassen wußten. Als aber
gar noch die dralle Kellnerin dem Pro-
fessor Schneckenreiter für sein leckeres
Mahl tatsächlich nur anderthalb Mark
abnahm, da nannte er das geringe
Bauernnest ein Paradies und seinen Mit-
tagstisch das Wunder von Gurkenried.
So geschah aber auch noch des wei-
teren, daß Professor Schneckenreiter auf
die gereizte Frage seiner Gattin, ob sie
denn in diesem Jahr die Pfingsttage
wiederum in der Stadt versitzen müßten,
sehr geheimnisvoll erwiderte: „Nein.
Das Pfingstprogramm ist fertig, die
Aeberraschung heute schon so gut wie
komplett. And zwar lädst du auch Tante
Christine und ihre drei Töchter dazu ein.
Ich sage vorläufig nur: ihr werdet
staunen, staunen, staunen."
Die Aeberraschung bestand dann da-
rin, daß Professor Schneckenreiter seine
ganze Familie sowie die Schwägerin
Christine und ihre drei Töchter, im
ganzen somit, ihn selbst nicht mitgezählt,
eine Expedition von neun Personen nach
Gurkenried führte, dortselbst mit dem
Schwarm beim Altwirt einfiel und also-
gleich, da ja, wie er erläuternd bemerkte,
das Pfingstfest nur einmal im Jahr auf-
treffe, zehn Brathühner mit Salat und
Kompott bestellte. Die Lauptüber-
raschung aber lag doch darin, daß bei
der Rechnungsstellung die dralle Kell-
nerin jedes einzelne Brathuhn nebst
&. K f*. ch rt c. r-.
Maltitz gesehn — — ist schon
erzählte mir, er wäre gut gestellt."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gestern hab ich den Verlobten von Lore Maltitz gesehn ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1931
Entstehungsdatum (normiert)
1926 - 1936
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 174.1931, Nr. 4479, S. 358
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg