Kleine Erholungsreise
Von Daniel Docht
Der junge Mann zog seine Brieftasche und entnahm ihr
einen der kleinen abgenutzten, blaßfarbenen Geldscheine. Er hatte
gestern ein ganzes Bündel davon eingesteckt, als er gleich nach
seiner Ankunft den Lundertmarkschein wechseln ließ. Angesehen
hatte er sich die französischen Geldnoten noch nicht näher, nun, im
Grunde waren sie genau so unappetitlich und langweilig wie alle
anderen. Schließlich werden sie aber ebenso gute Dienste leisten,
und das bleibt ja die Lauptsache.
Jetzt ist zunächst hier noch der Kaffee zu bezahlen, und dann
kann man wohl schon wieder an das Mittagessen denke». Es ist
dreiviertel eins. Ra, da werden die Kollegen in Berlin schon
wieder unruhig sein. Doch ein schöner Unterschied, ob man dort
zu dem kleinen Privatmittagstisch drängt, oder sich hier in Ruhe
ein entsprechendes Lokal aussucht. Man muß es sich nur eben
leisten können! Rach Paris wollen sie alle mal, aber mit hundert-
siebzig Mark im Monat läßt sich so eine Reise natürlich nicht
finanzieren. Dazu gehört schon ein bißchen Glück und eine kleine
Nebeneinnahme. Ohne die hundert Emmchen wären ja auch diese
Zeichnung von M. Elans
sechs Ferientage wieder nichts anderes gewesen als sechs gewöhn-
liche Sonntage im Freibad. Wenn man da nun mal einer Druckerei
die Konkurrenzangebote verschafft hat, ehe sie ihre eigene Offerte
abgibt, was ist schon weiter dabei. Leute muß jeder sehen, wo er
bleibt. Nur nicht zuviel Lemmungen. Nehmen, wo man kann.
Mit Sentimentalitäten ist nicht mehr viel zu machen. Lauptsache,
man sitzt jetzt unbestreitbar in Paris und hat eigentlich im Augen-
blick nur die Sorge, wo man anständig zu Mittag ißt. Anständig
ja, aber kein zu nobles Lokal. Die großen Ausgaben lohnen sich
doch mehr am Abend. Paris bei Nacht! Paris night! Das kommt
auch noch daran. Ja, meine lieben Kollegen, ihr sollt Augen
machen, wenn ich wieder da bin! Auf diese Weise werdet ihr
wenigstens von den hundert Mark auch noch was haben, ihr
armen Schlucker!
Der junge Mann zahlte und ging davon, den breiten Boule-
vard entlang. Ganz schön angelegt, das Paris, stellte er fest.
Alkig, hier mitten in der Stadt haben sie noch so eine kleine Park-
ecke stehen lassen. Da sieht man, wie langsam sich die Stadt ent-
wickelt, bei uns würde hier längst ein
Lochhaus stehen. Aebrigens, durch-
gehen kann man durch die Anlage mal.
Auf den mit weichem Sand be-
streuten Wegen ging der junge Mann
im großen Bogen nach dem Ausgang
zu, durch den er wieder auf den Boule-
vard zu kommen hoffte.
Er war nicht mehr weit vom Ende
des Parkes entfernt, als er sich an-
gerufen glaubte. Aeberrascht sah er
sich um. Einige Meter hinter ihm stand
ein älterer Lerr im schwarzen Rock,
leicht auf einen Stock gestützt, und
rief ihm etwas zu. Er war nicht zu
verstehen, aber mit einer lebhaften
Geste zeigte er auf den Boden, da lag
zwischen ihm und dem jungen Mann
etwas braunes, flaches. Tatsächlich,
eine Brieftasche! Der junge Mann
ging auf sie zu, hob sie auf und brachte
sie dem alten Lerrn. Anwillkürlich
reichte er sie ihm hin, aber der schüt-
telte energisch den Kopf. Zu verstehen
war von dem Schwall seiner Worte
noch immer nichts, aber einige Be-
wegungen verrieten, daß er im Glauben
war, in dem jungen Mann den Ver-
lierer vor sich zu haben. Als sich end-
lich der Irrtum herausstellte, war der
Greis sehr bestürzt. Er hielt die Tasche
verlegen und unschlüssig in der Land.
Schließlich ging er mit Lilfe seines
Stockes wohl schneller auf eine Bank
zu, als es sonst seine Gewohnheit sein
mochte. Seinen „jungen Freund" lud
er mit einer höflichen Bewegung ein,
ihm zu folgen.
Auf der Bank sahen beide die
Brieftasche näher an. Irgendeinen
Ausweis enthielt sie nicht, aber als
der Alte in die innere Tasche schaute,
da zog er mit zitternden Fingern zwei
Banknoten hervor, zwei Banknoten
über je fünftausend Dollar! Keiner
»Kannst du mir nicht bis übermorgen
zwanzig Mark leihen?"
»Ich kannS,aber ich tusunterFreun-
den nicht gern. Willst du nicht so-
lange einen Anzug versetzen?"
»Gewiß! Hast du einen
weniger getragenen da?"
»Herr Knöfel, entweder geben Sie mir
Ihre Tochter, oder ich hänge mich auf!"
»Um Gottes Willen, junger Mann, be-
ruhigen Sie sich! Sie müssen noch lernen,
daß es im Leben nicht nur ein Entweder-
Oder gibt, sondern daß man zwei Dinge
auch gleichzeitig tun kann."
404
Von Daniel Docht
Der junge Mann zog seine Brieftasche und entnahm ihr
einen der kleinen abgenutzten, blaßfarbenen Geldscheine. Er hatte
gestern ein ganzes Bündel davon eingesteckt, als er gleich nach
seiner Ankunft den Lundertmarkschein wechseln ließ. Angesehen
hatte er sich die französischen Geldnoten noch nicht näher, nun, im
Grunde waren sie genau so unappetitlich und langweilig wie alle
anderen. Schließlich werden sie aber ebenso gute Dienste leisten,
und das bleibt ja die Lauptsache.
Jetzt ist zunächst hier noch der Kaffee zu bezahlen, und dann
kann man wohl schon wieder an das Mittagessen denke». Es ist
dreiviertel eins. Ra, da werden die Kollegen in Berlin schon
wieder unruhig sein. Doch ein schöner Unterschied, ob man dort
zu dem kleinen Privatmittagstisch drängt, oder sich hier in Ruhe
ein entsprechendes Lokal aussucht. Man muß es sich nur eben
leisten können! Rach Paris wollen sie alle mal, aber mit hundert-
siebzig Mark im Monat läßt sich so eine Reise natürlich nicht
finanzieren. Dazu gehört schon ein bißchen Glück und eine kleine
Nebeneinnahme. Ohne die hundert Emmchen wären ja auch diese
Zeichnung von M. Elans
sechs Ferientage wieder nichts anderes gewesen als sechs gewöhn-
liche Sonntage im Freibad. Wenn man da nun mal einer Druckerei
die Konkurrenzangebote verschafft hat, ehe sie ihre eigene Offerte
abgibt, was ist schon weiter dabei. Leute muß jeder sehen, wo er
bleibt. Nur nicht zuviel Lemmungen. Nehmen, wo man kann.
Mit Sentimentalitäten ist nicht mehr viel zu machen. Lauptsache,
man sitzt jetzt unbestreitbar in Paris und hat eigentlich im Augen-
blick nur die Sorge, wo man anständig zu Mittag ißt. Anständig
ja, aber kein zu nobles Lokal. Die großen Ausgaben lohnen sich
doch mehr am Abend. Paris bei Nacht! Paris night! Das kommt
auch noch daran. Ja, meine lieben Kollegen, ihr sollt Augen
machen, wenn ich wieder da bin! Auf diese Weise werdet ihr
wenigstens von den hundert Mark auch noch was haben, ihr
armen Schlucker!
Der junge Mann zahlte und ging davon, den breiten Boule-
vard entlang. Ganz schön angelegt, das Paris, stellte er fest.
Alkig, hier mitten in der Stadt haben sie noch so eine kleine Park-
ecke stehen lassen. Da sieht man, wie langsam sich die Stadt ent-
wickelt, bei uns würde hier längst ein
Lochhaus stehen. Aebrigens, durch-
gehen kann man durch die Anlage mal.
Auf den mit weichem Sand be-
streuten Wegen ging der junge Mann
im großen Bogen nach dem Ausgang
zu, durch den er wieder auf den Boule-
vard zu kommen hoffte.
Er war nicht mehr weit vom Ende
des Parkes entfernt, als er sich an-
gerufen glaubte. Aeberrascht sah er
sich um. Einige Meter hinter ihm stand
ein älterer Lerr im schwarzen Rock,
leicht auf einen Stock gestützt, und
rief ihm etwas zu. Er war nicht zu
verstehen, aber mit einer lebhaften
Geste zeigte er auf den Boden, da lag
zwischen ihm und dem jungen Mann
etwas braunes, flaches. Tatsächlich,
eine Brieftasche! Der junge Mann
ging auf sie zu, hob sie auf und brachte
sie dem alten Lerrn. Anwillkürlich
reichte er sie ihm hin, aber der schüt-
telte energisch den Kopf. Zu verstehen
war von dem Schwall seiner Worte
noch immer nichts, aber einige Be-
wegungen verrieten, daß er im Glauben
war, in dem jungen Mann den Ver-
lierer vor sich zu haben. Als sich end-
lich der Irrtum herausstellte, war der
Greis sehr bestürzt. Er hielt die Tasche
verlegen und unschlüssig in der Land.
Schließlich ging er mit Lilfe seines
Stockes wohl schneller auf eine Bank
zu, als es sonst seine Gewohnheit sein
mochte. Seinen „jungen Freund" lud
er mit einer höflichen Bewegung ein,
ihm zu folgen.
Auf der Bank sahen beide die
Brieftasche näher an. Irgendeinen
Ausweis enthielt sie nicht, aber als
der Alte in die innere Tasche schaute,
da zog er mit zitternden Fingern zwei
Banknoten hervor, zwei Banknoten
über je fünftausend Dollar! Keiner
»Kannst du mir nicht bis übermorgen
zwanzig Mark leihen?"
»Ich kannS,aber ich tusunterFreun-
den nicht gern. Willst du nicht so-
lange einen Anzug versetzen?"
»Gewiß! Hast du einen
weniger getragenen da?"
»Herr Knöfel, entweder geben Sie mir
Ihre Tochter, oder ich hänge mich auf!"
»Um Gottes Willen, junger Mann, be-
ruhigen Sie sich! Sie müssen noch lernen,
daß es im Leben nicht nur ein Entweder-
Oder gibt, sondern daß man zwei Dinge
auch gleichzeitig tun kann."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hoho!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 176.1932, Nr. 4535, S. 404
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg