Zeichnung von I. Mauder
Unschuldig
Kleine Erholungsreise
vermochte etwas zu sagen. Dem älteren zitterte der breitgezogene
Schnurrbart, und sein Unterkiefer bewegte sich unruhig hin und
her. Der jüngere saß mit dunkelrotem Kopf daneben und starrte
vor sich hin. Endlich sagte der Greis:
„Amerikanisches Geld! Ein Amerikaner!"
„Was werden Sie tun?"
„Eigentlich müßte man es abgeben I Aber, mein Lerr, ein
Amerikaner! Verstehen Sie, was das heißt? Sind Sie Franzose?
Nein! Sie kennen die Amerikaner nicht! Es ist französisches
Gelb, dieses amerikanische Geld! O, der Krieg, der Krieg! Diese
Betrüger! Diese Erpresser! Mein Lerr, sehen Sie mich an!
Lasten Sie mich für einen Dieb? Sagen Sie es mir! Latten
Sie mich für einen Dieb? Ich bin ein Ehrenmann! Ein Ehren-
mann! Lerr, meine Familie, erkundigen Sie sich, man wird
Ihnen sagen . . !."
Erschöpft lehnte sich der Alte zurück. Nach einer Weile fing
er mit leiser Stimme wieder an.
„Natürlich, mein Lerr, ich behalte das Geld nicht für mich
allein. Zur Lälfte gehört es Ihnen. Das ist die Gerechtigkeit!
Bitte, beleidigen Sie mich nicht. Ich nehme keinen Franc, wenn
Sie nicht mit mir teilen. Ich bin ein Ehrenmann, glauben Sie
mir, es ist mir nicht um das Geld zu tun, es ist eine Wiedergut-
machung von Unrecht. Nichts weiter, o, ich kenne sie, diese Lerren
Amerikaner. Diese zehntausend Dollar sind nicht viel für sie, aber
es ist ein gutes Werk, wenn man sie ihnen wieder abnimmt. Und
ein Franzose hat das Recht dazu, nicht wahr?"
„Theobald, wer erlaubt dir, unrasiert zu sein?"
„Ludmilla, ich schwöre dir, ich bin nur in die Kakteen gefallen."
„Natürlich," sagte der junge Mann, „Sie haben vollkommen
recht. Ich habe die Amerikaner übrigens auch nie leiden können."
„Ah, mein junger Freund, Sie kennen die Welt, das ist recht
so. Sie sind Engländer, wenn man fragen darf?"
„Ich bin Deutscher!"
„Ein junger Deutscher! Ja, sehen Sie, einem Landsmann von
Ihnen hätte ich seine Brieftasche bis nach Berlin nachgetragen,
bis nach Berlin, verstehen Sie? Und wenn nur ein einziger Franc
darin wäre. Aber diese Amerikaner!"
Die Finger des Alten glitten dabei wieder in die Brieftasche
und zupften an den Scheinen. Plötzlich aber schob er sie krampf-
haft in das Innere zurück, klappte die Tasche hastig zu und ließ
sie blitzschnell in der Hinteren Tasche seines Gehrocks verschwinden.
Erstaunt sah der junge Mann, wie sein Beuteanteil mit ver-
schwand, aber ehe er sich noch einen Gedanken machen konnte,
stand wie aus dem Boden geschossen auf einmal ein großer, vier-
schrötiger Mann vor der Bank. Der Amerikaner! sagte sich der
Deutsche sofort. Der Lüne in Knickerbockers blickte aus die beiden
Männer, die vor ihm saßen. Sichtlich machte es ihm Schwierigkeit,
gleich die richtigen Worte zu finden. Schließlich sagte er vorsichtig
und langsam an jedem Wort kauend: „Meine Brieftasche ist weg!"
Der Alte verstand ihn nicht und legte die Land ans Ohr.
„Meine Brieftasche ist weg!" wiederholte der Amerikaner.
Plötzlich schrie er: „Zehntausend Dollar! Zehntausend Dollar!"
Und wütend brüllte er auf den Alten ein:
„Du hast meine zehntausend Dollar! Du hast vorhin schon
hier gesessen! Du hast die zehntausend Dollar! Gib die zehn-
405
Unschuldig
Kleine Erholungsreise
vermochte etwas zu sagen. Dem älteren zitterte der breitgezogene
Schnurrbart, und sein Unterkiefer bewegte sich unruhig hin und
her. Der jüngere saß mit dunkelrotem Kopf daneben und starrte
vor sich hin. Endlich sagte der Greis:
„Amerikanisches Geld! Ein Amerikaner!"
„Was werden Sie tun?"
„Eigentlich müßte man es abgeben I Aber, mein Lerr, ein
Amerikaner! Verstehen Sie, was das heißt? Sind Sie Franzose?
Nein! Sie kennen die Amerikaner nicht! Es ist französisches
Gelb, dieses amerikanische Geld! O, der Krieg, der Krieg! Diese
Betrüger! Diese Erpresser! Mein Lerr, sehen Sie mich an!
Lasten Sie mich für einen Dieb? Sagen Sie es mir! Latten
Sie mich für einen Dieb? Ich bin ein Ehrenmann! Ein Ehren-
mann! Lerr, meine Familie, erkundigen Sie sich, man wird
Ihnen sagen . . !."
Erschöpft lehnte sich der Alte zurück. Nach einer Weile fing
er mit leiser Stimme wieder an.
„Natürlich, mein Lerr, ich behalte das Geld nicht für mich
allein. Zur Lälfte gehört es Ihnen. Das ist die Gerechtigkeit!
Bitte, beleidigen Sie mich nicht. Ich nehme keinen Franc, wenn
Sie nicht mit mir teilen. Ich bin ein Ehrenmann, glauben Sie
mir, es ist mir nicht um das Geld zu tun, es ist eine Wiedergut-
machung von Unrecht. Nichts weiter, o, ich kenne sie, diese Lerren
Amerikaner. Diese zehntausend Dollar sind nicht viel für sie, aber
es ist ein gutes Werk, wenn man sie ihnen wieder abnimmt. Und
ein Franzose hat das Recht dazu, nicht wahr?"
„Theobald, wer erlaubt dir, unrasiert zu sein?"
„Ludmilla, ich schwöre dir, ich bin nur in die Kakteen gefallen."
„Natürlich," sagte der junge Mann, „Sie haben vollkommen
recht. Ich habe die Amerikaner übrigens auch nie leiden können."
„Ah, mein junger Freund, Sie kennen die Welt, das ist recht
so. Sie sind Engländer, wenn man fragen darf?"
„Ich bin Deutscher!"
„Ein junger Deutscher! Ja, sehen Sie, einem Landsmann von
Ihnen hätte ich seine Brieftasche bis nach Berlin nachgetragen,
bis nach Berlin, verstehen Sie? Und wenn nur ein einziger Franc
darin wäre. Aber diese Amerikaner!"
Die Finger des Alten glitten dabei wieder in die Brieftasche
und zupften an den Scheinen. Plötzlich aber schob er sie krampf-
haft in das Innere zurück, klappte die Tasche hastig zu und ließ
sie blitzschnell in der Hinteren Tasche seines Gehrocks verschwinden.
Erstaunt sah der junge Mann, wie sein Beuteanteil mit ver-
schwand, aber ehe er sich noch einen Gedanken machen konnte,
stand wie aus dem Boden geschossen auf einmal ein großer, vier-
schrötiger Mann vor der Bank. Der Amerikaner! sagte sich der
Deutsche sofort. Der Lüne in Knickerbockers blickte aus die beiden
Männer, die vor ihm saßen. Sichtlich machte es ihm Schwierigkeit,
gleich die richtigen Worte zu finden. Schließlich sagte er vorsichtig
und langsam an jedem Wort kauend: „Meine Brieftasche ist weg!"
Der Alte verstand ihn nicht und legte die Land ans Ohr.
„Meine Brieftasche ist weg!" wiederholte der Amerikaner.
Plötzlich schrie er: „Zehntausend Dollar! Zehntausend Dollar!"
Und wütend brüllte er auf den Alten ein:
„Du hast meine zehntausend Dollar! Du hast vorhin schon
hier gesessen! Du hast die zehntausend Dollar! Gib die zehn-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unschuldig"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 176.1932, Nr. 4535, S. 405
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg