Zeichnung von C. I. Bauer
„Es wundert mich, daß Larry, der sonst so streng dicht
hält, dir den vorteilhaften Tip verraten hat."
„Das hat mich nur ein — gewinnendes Lächeln gekostet."
Kurzsich
Den Mann, der fchlechte Augen hat,
Kann man fehr oft verlacht fehn:
Andächtig lieft er ein Wochenblatt
Von 1918,
Er fährt nach Ulm statt nach Bernried,
Beginnt mit dem Schaffner zu
kokettieren,
Und statt Zehnpfennigmarken zieht
Im Automat er faure Nieren,
Statt Wybert, nimmt er ne Abführpille —
Was ist der Mensch bloß ohne Brille?
t i g k e i t
Die Menschheit ist fanatifiert,
Ein jeder schwört auf feine Lehre
Und meint, daß es gleich bester
wird,
Wenn er einmal am Ruder wäre.
Nur fein Spezialrezept erlöst
Von allen Sorgen und Beschwerden!
Wer nicht in die Trompete stößt,
Ist überhaupt nicht mitzuwerten,
Denn die Partei ist Gottes Wille —
Was ist der Menfch bloß ohne Brille?
Glanz nimmt deshalb schon immer eine
Stunde vor Büroschluß die Zeitung vor.
Lasenknoch aber feilt sich die Nägel, sängt
Fliegen, macht Papierschiffchen und flucht
über Langeweile.
Leute flucht er besonders stark. „Lesen
Sie doch auch die Zeitung!" meint Glanz.
„Nee! Was sollte ich dann nach dem
Abendbrot anfangen?"
Äer Trambahnschaffner August Kreuz -
schleiche stand vor dem Standesbeamten.
Kreuzschleiche war ein aufrechter Mann,
er hatte seiner Verwaltung bisher nur
Freude gemacht. Noch nie hatte er ein
Billett falsch gestrichen. Schwarzfahrer
entdeckte er mit psychologischem Kenner-
blick und verkaufte ihnen unnachsichtlich und
energisch Fahrkarten.
Dieser Mann also, ein Leid unsres
Alltags, stand etwas betreten vor dem
Beamten. Sowohl die Feierlichkeit der
Stunde als auch die etwelchen Kognaks,
die er sich zwecks Aufmöbelung seiner Zi-
vilkurage einverleibt hatte, verwirrten ihn.
„Sie wollen also die Katharina Wuck-
backe ehelichen?" sah er jetzt ein funkelndes
Gläserpaar auf sich gerichtet.
„Jawohl. Ist sonst noch jemand ohne
hier?"
Die Tante
Alle Jahre wieder hatte Paffstoffel den
Besuch seiner Tante Nettchen, die fich mit
anerkennenswerter Zähigkeit immer rund
zwei Monate bei ihm hielt. Um sie wenig-
stens abends ab und zu fortzuschaukeln,
hatte Paffstoffel einen Freund erfunden,
eine Art Bunbury, der ihn mit Theater-
billetts überschüttete. Der Freund wachte
äußerst eifersüchtig darüber, daß das ge-
schenkte Billett auch benutzt wurde, und
Paffstoffel wußte die Geschichte so darzu-
stellen, daß Tante Nettchen das Gefühl
hatte, sich für den Neffen aufzuopfern,
wenn sie an feiner Stelle ins Theater ging.
Meistens handelte es sich um Stücke, die
ihre 4—5 Stunden dauerten. Aber schließ-
lich wollte Tantchen nicht mehr, weil das
Stadttheater auch noch eine gute halbe
Stunde entfernt war.
Da faßte, kurz vor dem neuerlichen
Besuch der Tante, Paffstoffel den heroi-
schen Entschluß, ganz in die Nähe des
Theaters zu ziehen, so nahe, daß kein Ein-
wand mehr gelten konnte.
Tantchen erschien. Gleich für den zwei-
ten Abend hatte Bunbury wieder einen Par-
kettplatz spendiert. Um halb acht rauschte
sie davon. Um dreiviertel neun klingelte es
energisch. Es war Tante.
„Fabelhaft, Junge, deine neue Wohnung!
Jetzt kann ich doch alle Pausen einfach
rüberkommen."
Ausfüllung des Daseins
Die Sekretäre Glanz und Lasenknoch haben zur Zeit sehr wenig zu tun. Dafür
können sie nichts; es liegen eben bei ihrem Amte gerade keine wichtigen Dinge vor.
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„Es wundert mich, daß Larry, der sonst so streng dicht
hält, dir den vorteilhaften Tip verraten hat."
„Das hat mich nur ein — gewinnendes Lächeln gekostet."
Kurzsich
Den Mann, der fchlechte Augen hat,
Kann man fehr oft verlacht fehn:
Andächtig lieft er ein Wochenblatt
Von 1918,
Er fährt nach Ulm statt nach Bernried,
Beginnt mit dem Schaffner zu
kokettieren,
Und statt Zehnpfennigmarken zieht
Im Automat er faure Nieren,
Statt Wybert, nimmt er ne Abführpille —
Was ist der Mensch bloß ohne Brille?
t i g k e i t
Die Menschheit ist fanatifiert,
Ein jeder schwört auf feine Lehre
Und meint, daß es gleich bester
wird,
Wenn er einmal am Ruder wäre.
Nur fein Spezialrezept erlöst
Von allen Sorgen und Beschwerden!
Wer nicht in die Trompete stößt,
Ist überhaupt nicht mitzuwerten,
Denn die Partei ist Gottes Wille —
Was ist der Menfch bloß ohne Brille?
Glanz nimmt deshalb schon immer eine
Stunde vor Büroschluß die Zeitung vor.
Lasenknoch aber feilt sich die Nägel, sängt
Fliegen, macht Papierschiffchen und flucht
über Langeweile.
Leute flucht er besonders stark. „Lesen
Sie doch auch die Zeitung!" meint Glanz.
„Nee! Was sollte ich dann nach dem
Abendbrot anfangen?"
Äer Trambahnschaffner August Kreuz -
schleiche stand vor dem Standesbeamten.
Kreuzschleiche war ein aufrechter Mann,
er hatte seiner Verwaltung bisher nur
Freude gemacht. Noch nie hatte er ein
Billett falsch gestrichen. Schwarzfahrer
entdeckte er mit psychologischem Kenner-
blick und verkaufte ihnen unnachsichtlich und
energisch Fahrkarten.
Dieser Mann also, ein Leid unsres
Alltags, stand etwas betreten vor dem
Beamten. Sowohl die Feierlichkeit der
Stunde als auch die etwelchen Kognaks,
die er sich zwecks Aufmöbelung seiner Zi-
vilkurage einverleibt hatte, verwirrten ihn.
„Sie wollen also die Katharina Wuck-
backe ehelichen?" sah er jetzt ein funkelndes
Gläserpaar auf sich gerichtet.
„Jawohl. Ist sonst noch jemand ohne
hier?"
Die Tante
Alle Jahre wieder hatte Paffstoffel den
Besuch seiner Tante Nettchen, die fich mit
anerkennenswerter Zähigkeit immer rund
zwei Monate bei ihm hielt. Um sie wenig-
stens abends ab und zu fortzuschaukeln,
hatte Paffstoffel einen Freund erfunden,
eine Art Bunbury, der ihn mit Theater-
billetts überschüttete. Der Freund wachte
äußerst eifersüchtig darüber, daß das ge-
schenkte Billett auch benutzt wurde, und
Paffstoffel wußte die Geschichte so darzu-
stellen, daß Tante Nettchen das Gefühl
hatte, sich für den Neffen aufzuopfern,
wenn sie an feiner Stelle ins Theater ging.
Meistens handelte es sich um Stücke, die
ihre 4—5 Stunden dauerten. Aber schließ-
lich wollte Tantchen nicht mehr, weil das
Stadttheater auch noch eine gute halbe
Stunde entfernt war.
Da faßte, kurz vor dem neuerlichen
Besuch der Tante, Paffstoffel den heroi-
schen Entschluß, ganz in die Nähe des
Theaters zu ziehen, so nahe, daß kein Ein-
wand mehr gelten konnte.
Tantchen erschien. Gleich für den zwei-
ten Abend hatte Bunbury wieder einen Par-
kettplatz spendiert. Um halb acht rauschte
sie davon. Um dreiviertel neun klingelte es
energisch. Es war Tante.
„Fabelhaft, Junge, deine neue Wohnung!
Jetzt kann ich doch alle Pausen einfach
rüberkommen."
Ausfüllung des Daseins
Die Sekretäre Glanz und Lasenknoch haben zur Zeit sehr wenig zu tun. Dafür
können sie nichts; es liegen eben bei ihrem Amte gerade keine wichtigen Dinge vor.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Es wundert mich, daß Harry, der sonst so streng dicht hält, dir den vorteilhaften Tip verraten hat."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4538, S. 36
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg