Ein Wethnachksgast
„Nanu, jetzt sagt er es ja gleich selber!" dachte Pahmel, und
milde sprach er: „Seien Sie überzeugt, daß es mir herzlich leid tut."
Klappe wunderte sich. Das war ja ein merkwürdiger alter
Lerr; sehr höflich war seine Bemerkung gerade nicht, er hätte
sagen müssen, daß es ihm zwar leid tue, aber auch angenehm sei,
da es ihm den Gast ins Laus geführt habe.
„Ja, es tut mir wirklich sehr leid," wiederholte Pahmel, weil
er keine Antwort bekommen hatte.
Jetzt regte sich Klappe. „O, nur kein Bedauern! Das kann
ja so leicht Vorkommen, ist mir schon ein paarmal passiert. Ich
bin eben mit dem verdammten Auto eklig 'reingefallen."
Der Philanthrop spürte Enttäuschung, ja ein leichtes, ihn
kühl anwehendes Entsetzen. Daß der Mensch jedenfalls ein Auto ge-
stohlen oder durch Betrug, ein vorgetäuschtes Ratengeschäft oder
sonstwie an sich gebracht und dann wahrscheinlich zu Gelds ge-
macht hatte, war zu verzeihen, aber schändlich war die unbe-
kümmerte Art, wie er das erwähnte; das war ja eine Anver-
schämtheit, die kein Amkehren auf dem betretenen Lasterwege, keine
Besserung vermuten ließ. „Sie nehmen das sehr leicht," sagte
Pahmel betrübt.
„Was denn? Daß ich hier festsitze? Pah, ich versäume jetzt
ja nichts. Ich bin ein einzelner Mensch. Ja, wenn ich Familie
hätte, dann wäre ich natürlich auf und davon; da hätte ich eben
auch mal die Eisenbahn was verdienen lassen."
Pahmel sah ängstlich auf seinen Freund Zeidler. Mußte der
Direktor, da ihm die Möglichkeit eines Entweichens mit solcher
Frechheit vorgehalten wurde, jetzt nicht losdonnern? Würde er den
unverschämten Kerl nicht gleich wieder sortführen und ins Loch
schmeißen? Aber nein — Zeidler lachte breit und sagte gemüt-
lich: „Na, Lerr Klappe, wir sind froh, daß wir Sie da haben.
Nee, wir lassen Sie nicht so leicht fort." Klappe empfand das
als liebenswürdig und lächelte geschmeichelt; Pahmel aber schien
es ei» zynisches, ein gemeines Lächeln.
Er bat zu Tische und hoffte, daß lange entbehrte Speisege-
nüffe dem Staatspensionär seine besonderen Amstände doch mah-
nend vor Augen führen würde». Das schien auch zu geschehen.
„Ah, Ente — lange nicht gegessen!" freute sich Klappe. Aber dann
erhob er sein Glas: „Auf das Wohl unseres liebenswürdigen
Gastgebers!"
„Frechheit!" dachte Pahmel. Er hatte eigentlich aus das
Wohl des Gastes trinken und ihm dabei zart andeuten wollen,
daß ihm ein anständiges Wohlergehen sehr zu wünschen wäre,
er aber auch das seine dazu tun müßte-aber nun unterließ
er es verdrossen.
„Vorzügliches WeinchenI" lobte Klappe. „Labe schon lange
keinen getrunken." Pahmel nickte; er dachte an die Strafanstalt,
während Klappe eine gewisse Abstinenz als Autofahrer meinte.
Er aß übrigens tüchtig und als ersichtlicher Genießer, und das
freute Pahmel nun doch. „Es schmeckt Ihnen bei mir, nicht wahr?"
„Großartig! Sie wissen gar nicht, was das für eine Wohl-
tat für mich ist, einmal wieder die gepflegte Küche eines guten
Laufes zu spüren. Ansereins kriegt ja manchmal einen furchtbaren
Fraß!" Klappe hatte dabei häßliche Gastwirtschaften an ent-
legenen Landstraßen im Auge, aber Pahmel bezog es auf die
Strafanstalt und platzte entrüstet heraus: „Anser Lerr Direktor
Zeidler sorgt jedenfalls dafür, daß die notwendiger Weise zwar
schlichte Verköstigung doch wohlschmeckend und gesund sei."
Jetzt hätte Klappe etwas merken können, aber er war schon
ein wenig vom Wein benommen und dachte auch an den Fall
mit den Erbsen, und daß der Direktor wohl davon erzählt hätte.
Er drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. „Aha, unsere Erbsen!
Na/ist doch erledigt, Lerr Direktor, nicht wahr? Beschwerde
gegenstandslos, wird nicht mehr Vorkommen."
„Ich mag keinen Baukasten, das ist doch
nur wieder so ein modernes Mittel, um auf
Charakterveranlagung zu schließen."
„Das ist ja ein ganz frecher Lund!" grollte Pahmel inner-
lich. „Aeber das Essen hat er sich beschwert; Erbsensuppe ist ihm
nicht gut genug gewesen, dem Kujon."
Ein hübsches Bäumchen war ausgestellt, und als die Kerzen
brannten, drückte Pahmel dem Lerrn Klappe eine sehr anständige
Zigarrentasche in die Land. Er hatte eine kleine Ansprache dabei
beabsichtigt, aber nun unterließ er sie-sein Gast war so
ganz anders, als er sich ihn gewünscht hatte. O, wie er ent-
täuscht war!
Klappe war im Augenblick auch verdrossen. Er war ein un-
abhängiger Charakter und liebte es nicht, sich ohne weiteres et-
was schenken zu lassen. „Der olle Mann ist aufdringlich!" dachte
er. „Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich ihm auch was
mitgebracht. Ich werde ihm gleich nach den Feiertagen etwas
schicken, vielleicht eine Schlummerrolle für feinen Kopf, in dem
er allerlei Raupen zu haben scheint."
„Sie sind doch Raucher?" fragte Pahmel, als er den Be-
schenkten so verdutzt dastehen sah, und nun beeilte sich Klappe,
ihm dankend die Land zu schütteln. „Sogar passioniert! Aber ich
komme wenig dazu. Sehen Sie: am Tage geht es nicht gut. Das
habe ich mir abgewöhnt, als ich so viel mit Sbeit zu tun hatte —"
„Aha, er hat Matratzen stopfen müssen," dachte Pahmel.
„Das ist ihm ganz recht geschehn."
„Aber abends rauche ich ein paar Zigärrchen. Leider auch
immer noch eine im Bett. Eine schlechte Angewohnheit — erst
gestern habe ich ein Loch in die Bettdecke gebrannt."
Pahmel schaute kopfschüttelnd auf seinen Freund Zeidler:
Oho, in dessen Anstalt mußten ja Zustände herrschen, die selbst die
weitestgehenden Forderungen an eine neuzeitlich humane Behänd-
lung von Sträflingen unziemlich überschritten. Aber der Direktor
lachte behaglich, und das reizte Pahmel zu einem Vorstoß. „And
was, Lerr Klappe, gedenken Sie zu beginnen, wenn Sie-
ja, wenn Sie von hier fort sind?"
Klappe lehnte sich wohlig in einen Sessel zurück und streckte
die Beine von sich, was Pahmel als Angebühr von einem Men-
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„Nanu, jetzt sagt er es ja gleich selber!" dachte Pahmel, und
milde sprach er: „Seien Sie überzeugt, daß es mir herzlich leid tut."
Klappe wunderte sich. Das war ja ein merkwürdiger alter
Lerr; sehr höflich war seine Bemerkung gerade nicht, er hätte
sagen müssen, daß es ihm zwar leid tue, aber auch angenehm sei,
da es ihm den Gast ins Laus geführt habe.
„Ja, es tut mir wirklich sehr leid," wiederholte Pahmel, weil
er keine Antwort bekommen hatte.
Jetzt regte sich Klappe. „O, nur kein Bedauern! Das kann
ja so leicht Vorkommen, ist mir schon ein paarmal passiert. Ich
bin eben mit dem verdammten Auto eklig 'reingefallen."
Der Philanthrop spürte Enttäuschung, ja ein leichtes, ihn
kühl anwehendes Entsetzen. Daß der Mensch jedenfalls ein Auto ge-
stohlen oder durch Betrug, ein vorgetäuschtes Ratengeschäft oder
sonstwie an sich gebracht und dann wahrscheinlich zu Gelds ge-
macht hatte, war zu verzeihen, aber schändlich war die unbe-
kümmerte Art, wie er das erwähnte; das war ja eine Anver-
schämtheit, die kein Amkehren auf dem betretenen Lasterwege, keine
Besserung vermuten ließ. „Sie nehmen das sehr leicht," sagte
Pahmel betrübt.
„Was denn? Daß ich hier festsitze? Pah, ich versäume jetzt
ja nichts. Ich bin ein einzelner Mensch. Ja, wenn ich Familie
hätte, dann wäre ich natürlich auf und davon; da hätte ich eben
auch mal die Eisenbahn was verdienen lassen."
Pahmel sah ängstlich auf seinen Freund Zeidler. Mußte der
Direktor, da ihm die Möglichkeit eines Entweichens mit solcher
Frechheit vorgehalten wurde, jetzt nicht losdonnern? Würde er den
unverschämten Kerl nicht gleich wieder sortführen und ins Loch
schmeißen? Aber nein — Zeidler lachte breit und sagte gemüt-
lich: „Na, Lerr Klappe, wir sind froh, daß wir Sie da haben.
Nee, wir lassen Sie nicht so leicht fort." Klappe empfand das
als liebenswürdig und lächelte geschmeichelt; Pahmel aber schien
es ei» zynisches, ein gemeines Lächeln.
Er bat zu Tische und hoffte, daß lange entbehrte Speisege-
nüffe dem Staatspensionär seine besonderen Amstände doch mah-
nend vor Augen führen würde». Das schien auch zu geschehen.
„Ah, Ente — lange nicht gegessen!" freute sich Klappe. Aber dann
erhob er sein Glas: „Auf das Wohl unseres liebenswürdigen
Gastgebers!"
„Frechheit!" dachte Pahmel. Er hatte eigentlich aus das
Wohl des Gastes trinken und ihm dabei zart andeuten wollen,
daß ihm ein anständiges Wohlergehen sehr zu wünschen wäre,
er aber auch das seine dazu tun müßte-aber nun unterließ
er es verdrossen.
„Vorzügliches WeinchenI" lobte Klappe. „Labe schon lange
keinen getrunken." Pahmel nickte; er dachte an die Strafanstalt,
während Klappe eine gewisse Abstinenz als Autofahrer meinte.
Er aß übrigens tüchtig und als ersichtlicher Genießer, und das
freute Pahmel nun doch. „Es schmeckt Ihnen bei mir, nicht wahr?"
„Großartig! Sie wissen gar nicht, was das für eine Wohl-
tat für mich ist, einmal wieder die gepflegte Küche eines guten
Laufes zu spüren. Ansereins kriegt ja manchmal einen furchtbaren
Fraß!" Klappe hatte dabei häßliche Gastwirtschaften an ent-
legenen Landstraßen im Auge, aber Pahmel bezog es auf die
Strafanstalt und platzte entrüstet heraus: „Anser Lerr Direktor
Zeidler sorgt jedenfalls dafür, daß die notwendiger Weise zwar
schlichte Verköstigung doch wohlschmeckend und gesund sei."
Jetzt hätte Klappe etwas merken können, aber er war schon
ein wenig vom Wein benommen und dachte auch an den Fall
mit den Erbsen, und daß der Direktor wohl davon erzählt hätte.
Er drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. „Aha, unsere Erbsen!
Na/ist doch erledigt, Lerr Direktor, nicht wahr? Beschwerde
gegenstandslos, wird nicht mehr Vorkommen."
„Ich mag keinen Baukasten, das ist doch
nur wieder so ein modernes Mittel, um auf
Charakterveranlagung zu schließen."
„Das ist ja ein ganz frecher Lund!" grollte Pahmel inner-
lich. „Aeber das Essen hat er sich beschwert; Erbsensuppe ist ihm
nicht gut genug gewesen, dem Kujon."
Ein hübsches Bäumchen war ausgestellt, und als die Kerzen
brannten, drückte Pahmel dem Lerrn Klappe eine sehr anständige
Zigarrentasche in die Land. Er hatte eine kleine Ansprache dabei
beabsichtigt, aber nun unterließ er sie-sein Gast war so
ganz anders, als er sich ihn gewünscht hatte. O, wie er ent-
täuscht war!
Klappe war im Augenblick auch verdrossen. Er war ein un-
abhängiger Charakter und liebte es nicht, sich ohne weiteres et-
was schenken zu lassen. „Der olle Mann ist aufdringlich!" dachte
er. „Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich ihm auch was
mitgebracht. Ich werde ihm gleich nach den Feiertagen etwas
schicken, vielleicht eine Schlummerrolle für feinen Kopf, in dem
er allerlei Raupen zu haben scheint."
„Sie sind doch Raucher?" fragte Pahmel, als er den Be-
schenkten so verdutzt dastehen sah, und nun beeilte sich Klappe,
ihm dankend die Land zu schütteln. „Sogar passioniert! Aber ich
komme wenig dazu. Sehen Sie: am Tage geht es nicht gut. Das
habe ich mir abgewöhnt, als ich so viel mit Sbeit zu tun hatte —"
„Aha, er hat Matratzen stopfen müssen," dachte Pahmel.
„Das ist ihm ganz recht geschehn."
„Aber abends rauche ich ein paar Zigärrchen. Leider auch
immer noch eine im Bett. Eine schlechte Angewohnheit — erst
gestern habe ich ein Loch in die Bettdecke gebrannt."
Pahmel schaute kopfschüttelnd auf seinen Freund Zeidler:
Oho, in dessen Anstalt mußten ja Zustände herrschen, die selbst die
weitestgehenden Forderungen an eine neuzeitlich humane Behänd-
lung von Sträflingen unziemlich überschritten. Aber der Direktor
lachte behaglich, und das reizte Pahmel zu einem Vorstoß. „And
was, Lerr Klappe, gedenken Sie zu beginnen, wenn Sie-
ja, wenn Sie von hier fort sind?"
Klappe lehnte sich wohlig in einen Sessel zurück und streckte
die Beine von sich, was Pahmel als Angebühr von einem Men-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ich mag keinen Baukasten, das ist doch nur wieder so ein modernes Mittel, um auf Charakterveranlagung zu schließen."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4560, S. 393
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg