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Zeichnung Bon 3. Sroiftant

Silvesterkater

Silvester mit einem Lunde

gehen Sie ins Bett, trinken das Pöttchen aus und schlafen dann
ins neue Jahr hinüber, für das ich Ihnen schon jetzt alles Gute
wünsche."

Das war anständig von Valentin Siebenbrot. Dann stocherte
er etwas in seinem Dauerbrandofen, der von Natur träge war
und öfters ermuntert werden mußte, stopfte seine Pfeifen und
siedelte sich mit ein paar Büchern in einem behaglichen Lehn-
sessel an. Zur Seite hatte er den Punsch, und vor ihm lag auf
einem ursprünglich nicht für ihn bestimmten, aber frech usurpier-
ten und dann stillschweigend ihm überlassenen Samtkissen der
Dackel Rummelpuff, der jedenfalls nichts Besonderes an diesem
Abend fand. Denn er hatte nicht, wie sein Lerr und die übrige
zivilisierte Menschheit, als Tyrannen den Kalender über sich, der
die seiner Lerrschaft Unterworfenen immer wieder daran erinnert,
daß sie sich tüchtig für ihn zu mühen haben, indem sie nämlich
hauptsächlich für Zahlungstermine leben.-

Valentin Siebenbrot rauchte, trank Punsch und las, doch
mehr mit flüchtigem Blättern, mal ein wenig in den „Don Qui-
chote" hineinschauend, dann in den „Siebenkäs" oder auch in den
„Dekameron" — mit vielen Pausen behaglichen Dösens. Beim
Rauchen war er stetiger, am festesten aber beim Punsch. Ein Glas
nach dem andern schluckte er, und allmählich nahmen vor seinen
schon gläsern stierenden Augen die Rauchwolken im Zimmer

phantastische, teils anmutig heitere, teils häßliche Figu-
ren an, die miteinander zu kämpfen schienen. Nach der
Uhr sah er nicht; die Punschterrine sollte seine Uhr sein:
wenn die leer sein würde, dann würde es auch Zeit
sein, zu Bett zu gehen.

Als diese vortreffliche Ahr zu zwei Dritteln abge-
laufen war, da war Siebenbrot betrunken. Wehmut
ergriff ihn und führte ihn auf lange nicht mehr beschrit-
tene Straßen der Erinnerung. An die ferne Leimal
dachte er, an die Tage einigermaßen unschuldiger Kind-
heit, die er an jenem Flüßchen verlebt hatte, das den
schönen Namen Liebe führt, weshalb folgerichtig ein von
ihm gebildeter See der Sorgensee genannt wird. Sieben-
brot besaß ein Büchlein mit Sagen seines Leimatlan-
des. Das nahm er jetzt zur Land, und nicht ohne
Mühe — gerade, als hätte er eben erst lesen gelernt —
las er, mit dem Zeigefinger den Zeilen folgend, die Ge-
schichte vom schönen Käthchen von Kauernick, das den
grausamen Polenkönig Iagiello umstimmte, vom Ordens-
ritter, der sich vergangen hatte und zur Strafe einen
schiefen Turm bauen mußte, der noch heute steht, und
viel schiefer ist, als der von Pisa, aber freilich lange
nicht so hoch, und sonst noch manche. Ja, und dann kam
er auch an eine Geschichte: „Die sprechenden Tiere in
der Silvesternacht" — eine etwas grauslige Geschichte
von einem Bauern, der in der Silvesternacht die in
menschlicher Sprache geführte Unterhaltung seiner Pfer-
de und Rinder belauschte.

Valentin Siebenbrot schaute auf seinen Dackel, der
bis dahin zusammengekringelt geschlafen, nun aber sich
aufgerichtet hatte und seinen Lerrn ansah — mit einem
ermunternden Blick, wie es Siebenbrot vorkam. „Nanu,
willst du mir was sagen, Rummelpuff? Kannst du heute
etwa auch sprechen? Das wäre ja fein!"

Der Lund stieß einen kurzen Leulton aus. Sieben-
brot schüttelte enttäuscht den Kopf. „Lab ich nicht ver-
standen. Du kannst es wohl doch nicht. Ist auch ganz
gut so — am Ende würden wir uns zanken. Vielleicht
würdest du boshaft werden und Witze über mich machen.
Ja, du siehst mir ganz so aus. Na prost!"

„Prost!"

Siebenbrot fiel beinahe das Glas aus der Land.
Er beugte sich vor, daß er in Gefahr kam, aus dem Lehnstuhl zu
fallen. Was war denn das? Latte der Lund nicht eben „Prost!"
gerufen? Oder eher hatte es vulgär wie „Praust!" geklungen,
mit ganz lang gezogenem au.

„Rummelpuff, willst du reden?" lallte Siebenbrot.

„Io, jo," kam die Antwort. And dann nocheinmal:
„Io — o — o."

Siebenbrot lächelte entzückt. „Menschenskind oder vielmehr
Lundekind — das ist ja großartig! Willst du Punsch?"

„Nee — ec l" glaubte Siebenbrot zu vernehmen. Er nickte
bedauernd. „Na ja, das konnte ich mir denken. Aber es ist höchst
seltsam: ihr Lunde seid so vernünftige Geschöpfe, so brav, so
ordentlich, so tüchtig und doch mögt ihr nichts Gescheites
trinken. Sage mal: wie kommt das! Na, los doch!"

Der Dackel Rummelpuff hörte sich angeschrien und gab eine
jämmerlich klagende Antwort. Siebenbrot verstand vortrefflich.
„Ja, da hast du freilich recht, Bursche. Es hätte keinen Zweck für
euch Lunde, sagst du, daß ihr euch sowas angewöhnt; man würde
euch diese Sachen dann doch schnöder Weise vorenthalten. Ich bin
wirklich im Zweifel, ob nicht sogar ich dir keine regelmäßigen größe-
ren Rationen an Wein und Schnaps und Grog darreichen würde.
Kostet Geld, mein Alter! And das Zeug reicht sowieso nie lange.
Weiß der Deiwel, wie es zugeht, daß die Pullen immer so schnell
leer sind! Aber halt-haha, das ist eine Gelegenheit!"

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Silvesterkater"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1932
Entstehungsdatum (normiert)
1927 - 1937
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 177.1932, Nr. 4561, S. 406

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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