o
Das Gästebuch
Von Peter Robinson
Vor drei Wochen war der letzte Gast aus dem „Strandhotel"
abgezogen. Er hatte eines der wenigen Zimmer mit Ofen gehabt
und schon an einigen Abenden Heizen lassen müssen, wenn ihn tags-
über der rauhe Wind auf der Düne zu sehr angeblasen hatte. Im
Dorfe war es auch ungemütlich geworden; da schüttelte und drehte
der Wind die hier und dort noch hängenden Pappdeckel, auf denen
Soinmerwohnungen und Zimmer angeboten wurden, und riß vergilbte
Zettel ab, die von verlorenen oder gefundenen Badekappen, Gummi-
tieren und anderen Sommerutensilien berichtet hatten. Aus war es
damit, aus!
Im „Strandhotel" wurden die Fremdenzimmer abgeschlossen und
vor ihre Fenster Bretter genagelt. Denn jetzt waren nur noch vor-
übergehende Besucher zu erwarten, die Leute, die am Sonntagnach-
mittag mit der Kleinbahn aus der Stadt kamen, um sich einmal den
winterlichen Strand mit seinen seltsamen Eisbildungen anzusehen.
Vorher tranken sie Kaffee und aßen frische Waffeln dazu, und nach-
her, besonders wenn sie gar bis zum Leuchtturm
gegangen waren, erwärmten sie sich wieder mit
Grog oder Punsch. Das war das Wintergeschäft
,\ für Leinrich Ahlke, den Wirt des „Strandhotels".
Mitte Oktober aber kam am Vormittag und
noch dazu an einem Montag ein jüngerer Lerr
heraus, den kein besonderes Geschäft herbeigeführt
zu haben schien. Er lief zwar auf zwei Minuten
bis an den Strand, wie zu einer flüchtigen Recht-
fertigung seines Besuchs, aber dann kam er gleich
ins „Strandhotel" und bestellte sich einen Grog.
Leinrich Ahlke sah mit leicht zusammengekniffenen
Augen auf den Gast, und als dieser nun sich prü-
fend umschaute und dann gerade die Sofaecke
neben dem kleinen Regal mit den alten Zeit-
schriften und obenauf dem Gästebuch wählte —
da ging er in die Küche und sagt« zu seiner Frau:
„Lowising, das könnte am Ende einer sein!"
Als der Gast seinen Grog bekommen hatte,
griff er nach dem Regal hinüber und nahm sich,
ohne weiter herumzusuchen, das Gästebuch. Erst
schien er nur aufs Geratewohl darin zu blättern,
aber dann schlug er die Seiten mit den letzten
Eintragungen auf, denen aus dem vergangenen
Sommer. Leinrich Ahlke merkte das wohl; er
meldete seiner Frau: „Lowising, ich mein', es is'
einer!"
Der jüngere Lerr trank seinen Grog und rauchte
eine Zigarre dazu. Dabei fiel ihm wohl etwas
ein; er zog ein Notizbuch heraus und schrieb eifrig.
Leinrich Ahlke, der sehr scharfe Augen hatte, paßte
auf: der Gast sah zwar in kleinen Schreibpausen
scheinbar gleichgültig zum Fenster hinaus, aber
er schielte dann doch immer wieder nach dem
Gästebuch. Darauf ging Leinrich Ahlke wieder
in die Küche, rieb sich die Lände und sagte grin-
send: „Lowising — es is' wirklich einer!"
And wirklich: eine Woche nach diesem Besuch
bekam der Wirt des „Strandhotels" einen Brief
„Wenn wir viele solche jungen Leute hätten wie Ihren Jüngsten, Lerr
Schlempe, dann brauchten wir vor zukünftigen Luftangriffen keine Sorge zu haben."
„Verstehe ich nicht."
„Na, der Junge schießt ja fabelhaft in die Löhe."
162
Das Gästebuch
Von Peter Robinson
Vor drei Wochen war der letzte Gast aus dem „Strandhotel"
abgezogen. Er hatte eines der wenigen Zimmer mit Ofen gehabt
und schon an einigen Abenden Heizen lassen müssen, wenn ihn tags-
über der rauhe Wind auf der Düne zu sehr angeblasen hatte. Im
Dorfe war es auch ungemütlich geworden; da schüttelte und drehte
der Wind die hier und dort noch hängenden Pappdeckel, auf denen
Soinmerwohnungen und Zimmer angeboten wurden, und riß vergilbte
Zettel ab, die von verlorenen oder gefundenen Badekappen, Gummi-
tieren und anderen Sommerutensilien berichtet hatten. Aus war es
damit, aus!
Im „Strandhotel" wurden die Fremdenzimmer abgeschlossen und
vor ihre Fenster Bretter genagelt. Denn jetzt waren nur noch vor-
übergehende Besucher zu erwarten, die Leute, die am Sonntagnach-
mittag mit der Kleinbahn aus der Stadt kamen, um sich einmal den
winterlichen Strand mit seinen seltsamen Eisbildungen anzusehen.
Vorher tranken sie Kaffee und aßen frische Waffeln dazu, und nach-
her, besonders wenn sie gar bis zum Leuchtturm
gegangen waren, erwärmten sie sich wieder mit
Grog oder Punsch. Das war das Wintergeschäft
,\ für Leinrich Ahlke, den Wirt des „Strandhotels".
Mitte Oktober aber kam am Vormittag und
noch dazu an einem Montag ein jüngerer Lerr
heraus, den kein besonderes Geschäft herbeigeführt
zu haben schien. Er lief zwar auf zwei Minuten
bis an den Strand, wie zu einer flüchtigen Recht-
fertigung seines Besuchs, aber dann kam er gleich
ins „Strandhotel" und bestellte sich einen Grog.
Leinrich Ahlke sah mit leicht zusammengekniffenen
Augen auf den Gast, und als dieser nun sich prü-
fend umschaute und dann gerade die Sofaecke
neben dem kleinen Regal mit den alten Zeit-
schriften und obenauf dem Gästebuch wählte —
da ging er in die Küche und sagt« zu seiner Frau:
„Lowising, das könnte am Ende einer sein!"
Als der Gast seinen Grog bekommen hatte,
griff er nach dem Regal hinüber und nahm sich,
ohne weiter herumzusuchen, das Gästebuch. Erst
schien er nur aufs Geratewohl darin zu blättern,
aber dann schlug er die Seiten mit den letzten
Eintragungen auf, denen aus dem vergangenen
Sommer. Leinrich Ahlke merkte das wohl; er
meldete seiner Frau: „Lowising, ich mein', es is'
einer!"
Der jüngere Lerr trank seinen Grog und rauchte
eine Zigarre dazu. Dabei fiel ihm wohl etwas
ein; er zog ein Notizbuch heraus und schrieb eifrig.
Leinrich Ahlke, der sehr scharfe Augen hatte, paßte
auf: der Gast sah zwar in kleinen Schreibpausen
scheinbar gleichgültig zum Fenster hinaus, aber
er schielte dann doch immer wieder nach dem
Gästebuch. Darauf ging Leinrich Ahlke wieder
in die Küche, rieb sich die Lände und sagte grin-
send: „Lowising — es is' wirklich einer!"
And wirklich: eine Woche nach diesem Besuch
bekam der Wirt des „Strandhotels" einen Brief
„Wenn wir viele solche jungen Leute hätten wie Ihren Jüngsten, Lerr
Schlempe, dann brauchten wir vor zukünftigen Luftangriffen keine Sorge zu haben."
„Verstehe ich nicht."
„Na, der Junge schießt ja fabelhaft in die Löhe."
162
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wenn wir viele solche jungen Leute hätten wie Ihren Jüngstern, Herr Schlempe, dann brauchten wir vor zukünftigen Luftangriffen keine Sorge zu haben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 180.1934, Nr. 4624, S. 162
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg