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Bernsteinfunde in Surenhagen
Von Peter Robinson
Irgendeine Geschichte gibt es im Sommer selbst im kleinsten
Seebade, und das ist angenehm für die Einheimischen, die ja dann
im Lerbst, im langen Winter und noch während des Frühjahrs
immer wieder sich über die Badegäste des letzten Sommers unter-
halten. Es ist eigentlich zu bedauern, daß die Badegäste nichts davon
hören; mancher würde erstaunt sein, wie ausgezeichnet dieses von ihm
als recht simpel betrachtete Volk zu urteilen weiß. Ja, vielleicht würde
sich der oder jener gar bessern. —
Surenhagen ist ein ganz kleines Ostseebad an der pommerschen
Küste. Es hat nur einen Gasthof, der natürlich „Strandhotel" heißt.
Denn da einem alten Lerkommen zufolge in jedem Seebade ein
„Strandhotel" unbedingt vorhanden sein muß, bleibt jenen Gastwirten,
die als einzige in Badeorten ihr Gewerbe betreiben, überhaupt kein
anderer Name für ihr Lerbergsunternehmen übrig. Gemeindevorstand
von Surenhagen ist seit einem Dutzend Jahren Friedrich Wilhelm
Pliederjahn, der im zweiten Lause links vom „Strandhotel" wohnt;
ein kleines Schild „Gemeindevorstand" macht darauf aufmerksam.
Es ist aber überflüssig, denn die Einheimischen wissen Bescheid, und
die Badegäste geht der Gemeindevorstand nichts an, da Surenhagen —
sogenannte Interessenten mögen sich das merken I — vorläufig noch
keinen Pfennig Kurtaxe erhebt. Daneben ist an dem Lause noch ein
zweites Schild angebracht, das aber sckon recht verwittert ist und
deshalb ziemlich bedeutungslos scheint. Auf dieses Schild nun brachte
der Studienassessor Leinz Rappel das Gespräch an der Abendtafel
im „Strandhotel" am dritten Tage seines Aufenthalts in Surenhagen.
Der Studienassessor Rappel war ein noch sehr junger Lehrer.
Er unterrichtete erst seit zwei Jahren, allerdings im Lateinischen und
Griechischen, aber es ist anzunehmen, daß er dies mehr als ein an-
genehmer Kamerad tat, denn als grämlicher Präzeptor. Er war ein
munterer junger Lerr, der Leiterkeit ins „Strandhotel" brachte. Nur
ein alter Stammgast sah ihn ungern, der zudem noch ein Kollege
war: der Oberstudienrat Voßgräber. Der war aber nicht an einem
Gymnasium tätig, sondern an einer Oberrealschule, als Geographie-
lehrer, und das machte eine gewisse Voreingenommenheit gegen den
Altphilologen begreiflich. Voßgräber war mit seiner Gattin Aurelie
da, und die fand noch weniger Gefallen an dem jungen Studien-
assessor; beide zeigten ihm säuerliche Gesichter.
Der Studienassessor Rappel fragte also an der Abendtafel:
„Wird denn hier Bernstein gefunden?"
Die Frage überraschte. „Bernstein? Keine Spur! Wir haben
noch keinen gesehn."
„Ja, aber bei dem Gemeindevorstand ist doch ein Schild: Bern-
steinablieferungsstelle."
Richtig — das Schild hatte man gesehen. Also hätte man auch
was von Bernstein merken müssen.
Aber kein Bernstein und doch eine
Ablieferungsstelle — das paßte nicht
zusammen. Das war ja so, als wenn
es keine Steuern mehr und doch noch
Finanzämter geben würde.
Aber nun nahm der Oberstudien-
rat Voßgräber das Wort zu ein-
gehenden Erklärungen. Er schenkte
sie zwar der ganzen Tafelrunde,
wandte sich aber vorzüglich an den
Studienassessor — so, als wenn er
seiner Klasse etwas erklärte, aber
dabei gerade einen Schüler aufge-
rufen hätte. Man merkte ihm das
Vergnügen an, so mit dem jungen
Kollegen verfahren zu können. „Ja,
Bernstein! Was ist Bernstein, Lerr
Kollege? Auffallender Weise hat
man das lange nicht gewußt, obwohl
Bernstein seit Jahrtausenden als
Schmuck verwendet wird. Die un-
sinnigsten Erklärungen hatte man;
er sollte Wachs von Ameisen sein.
Strandflora und Alpenfauna
34
J
Bernsteinfunde in Surenhagen
Von Peter Robinson
Irgendeine Geschichte gibt es im Sommer selbst im kleinsten
Seebade, und das ist angenehm für die Einheimischen, die ja dann
im Lerbst, im langen Winter und noch während des Frühjahrs
immer wieder sich über die Badegäste des letzten Sommers unter-
halten. Es ist eigentlich zu bedauern, daß die Badegäste nichts davon
hören; mancher würde erstaunt sein, wie ausgezeichnet dieses von ihm
als recht simpel betrachtete Volk zu urteilen weiß. Ja, vielleicht würde
sich der oder jener gar bessern. —
Surenhagen ist ein ganz kleines Ostseebad an der pommerschen
Küste. Es hat nur einen Gasthof, der natürlich „Strandhotel" heißt.
Denn da einem alten Lerkommen zufolge in jedem Seebade ein
„Strandhotel" unbedingt vorhanden sein muß, bleibt jenen Gastwirten,
die als einzige in Badeorten ihr Gewerbe betreiben, überhaupt kein
anderer Name für ihr Lerbergsunternehmen übrig. Gemeindevorstand
von Surenhagen ist seit einem Dutzend Jahren Friedrich Wilhelm
Pliederjahn, der im zweiten Lause links vom „Strandhotel" wohnt;
ein kleines Schild „Gemeindevorstand" macht darauf aufmerksam.
Es ist aber überflüssig, denn die Einheimischen wissen Bescheid, und
die Badegäste geht der Gemeindevorstand nichts an, da Surenhagen —
sogenannte Interessenten mögen sich das merken I — vorläufig noch
keinen Pfennig Kurtaxe erhebt. Daneben ist an dem Lause noch ein
zweites Schild angebracht, das aber sckon recht verwittert ist und
deshalb ziemlich bedeutungslos scheint. Auf dieses Schild nun brachte
der Studienassessor Leinz Rappel das Gespräch an der Abendtafel
im „Strandhotel" am dritten Tage seines Aufenthalts in Surenhagen.
Der Studienassessor Rappel war ein noch sehr junger Lehrer.
Er unterrichtete erst seit zwei Jahren, allerdings im Lateinischen und
Griechischen, aber es ist anzunehmen, daß er dies mehr als ein an-
genehmer Kamerad tat, denn als grämlicher Präzeptor. Er war ein
munterer junger Lerr, der Leiterkeit ins „Strandhotel" brachte. Nur
ein alter Stammgast sah ihn ungern, der zudem noch ein Kollege
war: der Oberstudienrat Voßgräber. Der war aber nicht an einem
Gymnasium tätig, sondern an einer Oberrealschule, als Geographie-
lehrer, und das machte eine gewisse Voreingenommenheit gegen den
Altphilologen begreiflich. Voßgräber war mit seiner Gattin Aurelie
da, und die fand noch weniger Gefallen an dem jungen Studien-
assessor; beide zeigten ihm säuerliche Gesichter.
Der Studienassessor Rappel fragte also an der Abendtafel:
„Wird denn hier Bernstein gefunden?"
Die Frage überraschte. „Bernstein? Keine Spur! Wir haben
noch keinen gesehn."
„Ja, aber bei dem Gemeindevorstand ist doch ein Schild: Bern-
steinablieferungsstelle."
Richtig — das Schild hatte man gesehen. Also hätte man auch
was von Bernstein merken müssen.
Aber kein Bernstein und doch eine
Ablieferungsstelle — das paßte nicht
zusammen. Das war ja so, als wenn
es keine Steuern mehr und doch noch
Finanzämter geben würde.
Aber nun nahm der Oberstudien-
rat Voßgräber das Wort zu ein-
gehenden Erklärungen. Er schenkte
sie zwar der ganzen Tafelrunde,
wandte sich aber vorzüglich an den
Studienassessor — so, als wenn er
seiner Klasse etwas erklärte, aber
dabei gerade einen Schüler aufge-
rufen hätte. Man merkte ihm das
Vergnügen an, so mit dem jungen
Kollegen verfahren zu können. „Ja,
Bernstein! Was ist Bernstein, Lerr
Kollege? Auffallender Weise hat
man das lange nicht gewußt, obwohl
Bernstein seit Jahrtausenden als
Schmuck verwendet wird. Die un-
sinnigsten Erklärungen hatte man;
er sollte Wachs von Ameisen sein.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Strandflora und Alpenfauna"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4642, S. 34
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg