Alle Jahre wieder — —
Emil überhörte diese Frage.
„Ich bitte um einen alten Reisigbesen, ein paar
Säcke, eine» abgelegten Lut und etwas Werg zum
Bart!" sagte er.
„Also auf ans Werg!" sagte Ewald mit bitterstem
Galgenhumor. „Vielleicht bemühst du dich auf den
Speicher?"
Dora stieß ihren Mann sanft in die Rippen. „Nein,
das alles ist im Keller, und zwar im Weinkeller."
„Gut," sagte Emil, „bemüht euch nicht, ich lasse
mir den Keller vom Mädchen zeigen." Er ging.
„Bist du verrückt, Dora, ihn in den Weinkeller
zu schicken?"
„So werden wir ihn am sichersten los," sagte Dora,
„und außerdem sind nur noch sechs Flaschen Schlauch-
heimer Mörtelgrube zu 75 Pfennig die Flasche
unten. — Aber was machen wir mit den Kindern?"
Diese Frage war sehr berechtigt, denn die Kinder
hatten den tiefen Bierbaß Emils durch die Woh-
nung dröhnen hören und erschienen mit großen,
fragenden Auge» im Türrahmen. Lilde hatte die
Frage aufgeworfen, ob nicht doch vielleicht am Weih-
nachtsmann etwas wahres dran sei.
„Wenn ich nur schon wüßte, was Emil eigentlich
will?" grollte Ewald. „Denk an dieKinder!" wisperte
Dora.
Man wartete. Eine Viertelstunde. Eine halbe
Stunde. Ewald hatte schweren Lerzens seine E»
ziehungsgrundsäye aufgegeben und unter Widerruf
alles bisher Gesagten den Kindern eröffnet, daß es
nun doch einen Weihnachtsmann gäbe, der sich auch
bereits angemeldet habe und vermutlich bald erschei-
nen würde. Die Kinder gingen sehr nachdenklich von
dannen. In Lildes Augen sah man Tränen schimmern.
„Du hättest das nicht sagen sollen, Ewald!" sagte
Dora. „Ich bin sicher, Emil ist im Keller über den
Schlauchheimer geraten und einge-
schlafen. Er ist jetzt drei Viertelstunden
unten. Sieh doch mal nach!"
Gerade begab sich Ewald hinaus, da
hörte man von unten herauf ein schweres
Poltern. Ewald Nieselpriem schloß die
Türe des Kinderzimmers nach dem
Gang zu ab und warf sich dem Weih-
nachtsmann in den Weg. Trotz allem
inneren Widerstand mußte er sich zu-
geben, daß Vetter Emil gute Maske
gemacht hatte. Ein alter, verschimmelter
Borsalino und ein aus den Fäden von
Sackleinen gezupfter Assyrerbart um-
rahmten das Weingesicht Emils wild-
romantisch. Vom Lals bis zu den Füßen
steckte er in einem primitiven Gewand
aus Säcken, und über dem Rücken trug
er ein Bündel Geschenke, während er
in der andern Land die Rute hielt.
„Leute kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben —"
gröhlte Emil.
„Was soll diese Koniödie!" zischte
Ewald.
„— Säbel, Pferdchen und Gewehr —*
setzte Emil unbeirrt seinen Sang fort.
Dann zog er aus einem Schlitz seines
Gewandes eine Flasche Schlauch-
heimer hervor und nahm einen tüchtigen Schluck.
„Du bist doch nicht gekommen, um hier Weihnachtsmann zu spielen," raunte
Ewald, „willst du mir nicht sage», was dich eigentlich hergeführt hat?"
Der Weihnachtsmann lächelte siegcsgewiß.
„Eigentlich wollte ich dich um 300 Mark bitten," flüsterte er, fügte aber gleich
darauf sehr laut hinzu: „Wo sind die Kinder? Waren sie auch artig das letzte Jahr?"
„300 Mark? Also, das ist ganz ausgeschlossen!" wisperte Ewald. „50." „Laben
sie gut gelernt? Sind
sie den lieben Eltern ge-
horsam gewesen?" don-
nerte der Weihnachts-
mann und drang gegen
den Salon zu vor.
Der Mäzen
„Unverkäuflich" steht da dran. — Schade!
Grade das Bild hätte ich gern gehabt!"
„Lundert!" verstellte
ihm Ewald den Weg.
Man sah dem Weih-
nachtsmann an, daß er
schwankend wurde, aber
gleich darauf setzte er
seinen Weg fort. Aus
dem Kinderzimmer klang
unterdrücktes Schluchzen
heraus.
„Ihr Kinderlein, kom-
met!" intonierte der
Weihnachtsmann.
„Ich beschwöre dich,
Emil, entferne dich ohne
Aufsehen!"
„Nichts zu machen!"
tuschelte der unerbittliche
Weihnachtsmann.
„Ich erhöhe mein An-
gebot auf 150," rang der
verzweifelte Vater die
Lände, denn die Kinder
klopften jetzt heftig gegen
die Türe.
Der Arzt schmückt den Tannenbaum
„Nur noch einen kleinen Zweig amputieren, dann
fange ich an!"
387
Emil überhörte diese Frage.
„Ich bitte um einen alten Reisigbesen, ein paar
Säcke, eine» abgelegten Lut und etwas Werg zum
Bart!" sagte er.
„Also auf ans Werg!" sagte Ewald mit bitterstem
Galgenhumor. „Vielleicht bemühst du dich auf den
Speicher?"
Dora stieß ihren Mann sanft in die Rippen. „Nein,
das alles ist im Keller, und zwar im Weinkeller."
„Gut," sagte Emil, „bemüht euch nicht, ich lasse
mir den Keller vom Mädchen zeigen." Er ging.
„Bist du verrückt, Dora, ihn in den Weinkeller
zu schicken?"
„So werden wir ihn am sichersten los," sagte Dora,
„und außerdem sind nur noch sechs Flaschen Schlauch-
heimer Mörtelgrube zu 75 Pfennig die Flasche
unten. — Aber was machen wir mit den Kindern?"
Diese Frage war sehr berechtigt, denn die Kinder
hatten den tiefen Bierbaß Emils durch die Woh-
nung dröhnen hören und erschienen mit großen,
fragenden Auge» im Türrahmen. Lilde hatte die
Frage aufgeworfen, ob nicht doch vielleicht am Weih-
nachtsmann etwas wahres dran sei.
„Wenn ich nur schon wüßte, was Emil eigentlich
will?" grollte Ewald. „Denk an dieKinder!" wisperte
Dora.
Man wartete. Eine Viertelstunde. Eine halbe
Stunde. Ewald hatte schweren Lerzens seine E»
ziehungsgrundsäye aufgegeben und unter Widerruf
alles bisher Gesagten den Kindern eröffnet, daß es
nun doch einen Weihnachtsmann gäbe, der sich auch
bereits angemeldet habe und vermutlich bald erschei-
nen würde. Die Kinder gingen sehr nachdenklich von
dannen. In Lildes Augen sah man Tränen schimmern.
„Du hättest das nicht sagen sollen, Ewald!" sagte
Dora. „Ich bin sicher, Emil ist im Keller über den
Schlauchheimer geraten und einge-
schlafen. Er ist jetzt drei Viertelstunden
unten. Sieh doch mal nach!"
Gerade begab sich Ewald hinaus, da
hörte man von unten herauf ein schweres
Poltern. Ewald Nieselpriem schloß die
Türe des Kinderzimmers nach dem
Gang zu ab und warf sich dem Weih-
nachtsmann in den Weg. Trotz allem
inneren Widerstand mußte er sich zu-
geben, daß Vetter Emil gute Maske
gemacht hatte. Ein alter, verschimmelter
Borsalino und ein aus den Fäden von
Sackleinen gezupfter Assyrerbart um-
rahmten das Weingesicht Emils wild-
romantisch. Vom Lals bis zu den Füßen
steckte er in einem primitiven Gewand
aus Säcken, und über dem Rücken trug
er ein Bündel Geschenke, während er
in der andern Land die Rute hielt.
„Leute kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben —"
gröhlte Emil.
„Was soll diese Koniödie!" zischte
Ewald.
„— Säbel, Pferdchen und Gewehr —*
setzte Emil unbeirrt seinen Sang fort.
Dann zog er aus einem Schlitz seines
Gewandes eine Flasche Schlauch-
heimer hervor und nahm einen tüchtigen Schluck.
„Du bist doch nicht gekommen, um hier Weihnachtsmann zu spielen," raunte
Ewald, „willst du mir nicht sage», was dich eigentlich hergeführt hat?"
Der Weihnachtsmann lächelte siegcsgewiß.
„Eigentlich wollte ich dich um 300 Mark bitten," flüsterte er, fügte aber gleich
darauf sehr laut hinzu: „Wo sind die Kinder? Waren sie auch artig das letzte Jahr?"
„300 Mark? Also, das ist ganz ausgeschlossen!" wisperte Ewald. „50." „Laben
sie gut gelernt? Sind
sie den lieben Eltern ge-
horsam gewesen?" don-
nerte der Weihnachts-
mann und drang gegen
den Salon zu vor.
Der Mäzen
„Unverkäuflich" steht da dran. — Schade!
Grade das Bild hätte ich gern gehabt!"
„Lundert!" verstellte
ihm Ewald den Weg.
Man sah dem Weih-
nachtsmann an, daß er
schwankend wurde, aber
gleich darauf setzte er
seinen Weg fort. Aus
dem Kinderzimmer klang
unterdrücktes Schluchzen
heraus.
„Ihr Kinderlein, kom-
met!" intonierte der
Weihnachtsmann.
„Ich beschwöre dich,
Emil, entferne dich ohne
Aufsehen!"
„Nichts zu machen!"
tuschelte der unerbittliche
Weihnachtsmann.
„Ich erhöhe mein An-
gebot auf 150," rang der
verzweifelte Vater die
Lände, denn die Kinder
klopften jetzt heftig gegen
die Türe.
Der Arzt schmückt den Tannenbaum
„Nur noch einen kleinen Zweig amputieren, dann
fange ich an!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der schüchterne Freier" "Der Mäzen" "Der Arzt schmückt den Tannenbaum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1934
Entstehungsdatum (normiert)
1929 - 1939
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 181.1934, Nr. 4664, S. 387
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg