Die Macht der Zeit
Der Kleinhäusler Joses Winkler wollte sich schon
längst einen Geisbock kaufen. Endlich findet er einen ihm
genehmen und erzählt es seinem Nachbarn.
„Za/ meint bedenklich der Nachbar, „aber wo bringst
denn den Bock unter? Ist ja schier kein Platz mehr
dafür da."
Darauf der Läuselmann: „Wo werd ich ihn gar unter-
bringe»! In der Stuben halt."
„Aber der Geruch, mein Lieber," wendet der Nach)
bar ein. „Der unerträgliche Geruch!"
„Daran wird der Bock mit der Zeit sich schon ge-
wöhnen," sagt zukunftssicher sein Besitzer.
Der liebe Alkohol
Ein älterer Lerr betrat am Vormittag eine Wirt-
schaft und bestellte ein Glas Weinbrand. Gerade wollte
er es zum Munde führen, da fiel sein Blick aus einen
Mann, der aus einer Leiter stand und die elektrische Licht-
leitung ausbefferte. Schnell stellte er das gefüllte Glas
auf den Tisch zurück und verließ das Lokal. Kaum war
er draußen, kam der Monteur von der Leiter herunter,
»ahm das Glas mit Weinbrand und leerte es auf einen
Zug.
„Le, Sie!" rief der Wirt. „Was machen Sie denn
da? Das geht doch nicht! Der Lerr kann jeden Augen-
blick wieder zurückkommen!"
„Nur keine Bange!" beruhigte ihn der Mann. „Der
kommt nicht wieder! Das ist nämlich der Vorsitzende von
unserem Antialkoholikerverein — — und ich bin der
Kassierer!" G. R.
}>:
Auch ein Gläubiger „Was soll das heißen. Johann? Ich hatte
Sie beauftragt, jedem der nach Geld kommenden Gläubiger einen
Schnaps zu geben; aber warum trinken Sie selbst auch einen?"
„Ich habe vom vorigen Monat den Lohn noch zu kriegen, Lerr Baron!"
Der Papagei
Der Lausbesitzer von nebenan heißt Martin Aebelhör. Er ist
Inhaber eines Kolonialwarenladens, inklusive Obst, Gemüse und
Südfrüchte. D. h. auf den Papierdüten steht: Obst und exotische
Früchte. Noblesse ob!ixe! Bald wurde ein kleiner Affe angeschafft.
Ob Puckis Lebenszweck die Lebung des exotischen Prestiges, oder
lediglich die Vertilgung leicht angefaulter Bananen — wer kann
das wissen. Jedenfalls sitzt er — Pucki — vergnügt auf seinem
Stangerl, ständig mit Kratzen beschäftigt, und sieht einen lustig
blinzelnd aus braunen Plüschaugen an. Pucki wird von Groß und
Klein darum geliebt.
Weniger hingegen der Papagei, der sich bald zu dem Affen
gesellte. Die
Vermutung,
Lerr Aebel-
hör wolle
neben seinem
exotischen
Früchtehan-
del auch noch
einen Tier-
park anlegen,
lag nahe.
Aber dieLer-
kunft des Pa-
pageis Lora
blieb nicht
lange in Dun-
kel gehüllt:
eine verrei-
sende Operet-
tendiva hat
„Dct find ick nu janz natürlich, ihn an Stelle
det en Star ooch mal fliegt!" des Trink-
geldes einem Dienstmädchen vermacht. Die Herrschaft jenes Dienst-
mädchens aber war nicht sehr tierliebend — begreiflicherweise, wie
wir später sehen werden — und so gab das Mädchen ihn denn in
Lerrn Aebelhörs Laden, der ihr das geeignete Papageienmilieu zu
sei» schien.
Seit diesem verhängnisvollen Tage sitzt Lora am Fenster des
Ladenzimmers und schreit. And zwar schreit sie ausschließlich „Mama!"
Immerzu Mama! mit starker Betonung auf dem ersten a. Ob hung-
rig, ob satt, bei Regen und Sonnenschein und auch an gesetzlichen
Feiertagen, immer tönt's viel hundertmal „Mama!" Es ist wirklich
eine Schande, wenn man seinen Papagei nichts anderes lernen läßt.
Wenn er wirklich einmal — wahrscheinlich vor Erschöpfung — einige
Minuten aussetzt, kommen die im Los spielenden Kinder ans Fenster
und fragen: „Papagei, wie heißt du?" And dann verschweigt das
Biest hartnäckig seinen Namen und legt neugestärkt mit seinem
„Mama"-geschrei los.
So geht es seit drei Wochen, und wir — die Nachbarschaft —
fangen an, wahnsinnig zu werden. Nur Lerrn Aebelhör (er macht
seinem Namen Ehre) scheint es weiter nicht zu stören. Es muß irgend
etwas geschehen. Aber es ist nicht ganz so leicht. Man kann nicht
einfach in .Herrn Aebelhörs Laden hingehen wie Judith ins Zelt des
Holofernes und--man bringt auch einen Papagei nicht
wegen seines geringen Sprachschatzes um. Das Glück aber ist uns
hold. Herr Aebelhör reiste mit seiner Gicht ins Bad und gab Lora
zu Luders in den !. Stock in Pension. Luders besitzen ein Pracht-
exemplar von Sohn, namens Fritz, der zum Lerbst in ein strenges
Internat kommt, wegen allein, was er in- und außerhalb der Schule
ausgesressen hat. Diesem Fritz kommt es — wie er mir sagte —
„nicht mehr drauf an". Mit den von der Nachbarschaft gestifteten
Mark 5.— will er sich für sein Internatsleben mit Niespulver und
dergl. eindecken. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit ihm, denn er
ist Lora ein geduldiger Lehrer geworden und des Papageis Sprach-
schatz erweitert sich täglich. Schillers Glocke bringt er Lora ja nicht
gerade bei, es entspräche auch nicht unfern besonderen Zwecken.
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Der Kleinhäusler Joses Winkler wollte sich schon
längst einen Geisbock kaufen. Endlich findet er einen ihm
genehmen und erzählt es seinem Nachbarn.
„Za/ meint bedenklich der Nachbar, „aber wo bringst
denn den Bock unter? Ist ja schier kein Platz mehr
dafür da."
Darauf der Läuselmann: „Wo werd ich ihn gar unter-
bringe»! In der Stuben halt."
„Aber der Geruch, mein Lieber," wendet der Nach)
bar ein. „Der unerträgliche Geruch!"
„Daran wird der Bock mit der Zeit sich schon ge-
wöhnen," sagt zukunftssicher sein Besitzer.
Der liebe Alkohol
Ein älterer Lerr betrat am Vormittag eine Wirt-
schaft und bestellte ein Glas Weinbrand. Gerade wollte
er es zum Munde führen, da fiel sein Blick aus einen
Mann, der aus einer Leiter stand und die elektrische Licht-
leitung ausbefferte. Schnell stellte er das gefüllte Glas
auf den Tisch zurück und verließ das Lokal. Kaum war
er draußen, kam der Monteur von der Leiter herunter,
»ahm das Glas mit Weinbrand und leerte es auf einen
Zug.
„Le, Sie!" rief der Wirt. „Was machen Sie denn
da? Das geht doch nicht! Der Lerr kann jeden Augen-
blick wieder zurückkommen!"
„Nur keine Bange!" beruhigte ihn der Mann. „Der
kommt nicht wieder! Das ist nämlich der Vorsitzende von
unserem Antialkoholikerverein — — und ich bin der
Kassierer!" G. R.
}>:
Auch ein Gläubiger „Was soll das heißen. Johann? Ich hatte
Sie beauftragt, jedem der nach Geld kommenden Gläubiger einen
Schnaps zu geben; aber warum trinken Sie selbst auch einen?"
„Ich habe vom vorigen Monat den Lohn noch zu kriegen, Lerr Baron!"
Der Papagei
Der Lausbesitzer von nebenan heißt Martin Aebelhör. Er ist
Inhaber eines Kolonialwarenladens, inklusive Obst, Gemüse und
Südfrüchte. D. h. auf den Papierdüten steht: Obst und exotische
Früchte. Noblesse ob!ixe! Bald wurde ein kleiner Affe angeschafft.
Ob Puckis Lebenszweck die Lebung des exotischen Prestiges, oder
lediglich die Vertilgung leicht angefaulter Bananen — wer kann
das wissen. Jedenfalls sitzt er — Pucki — vergnügt auf seinem
Stangerl, ständig mit Kratzen beschäftigt, und sieht einen lustig
blinzelnd aus braunen Plüschaugen an. Pucki wird von Groß und
Klein darum geliebt.
Weniger hingegen der Papagei, der sich bald zu dem Affen
gesellte. Die
Vermutung,
Lerr Aebel-
hör wolle
neben seinem
exotischen
Früchtehan-
del auch noch
einen Tier-
park anlegen,
lag nahe.
Aber dieLer-
kunft des Pa-
pageis Lora
blieb nicht
lange in Dun-
kel gehüllt:
eine verrei-
sende Operet-
tendiva hat
„Dct find ick nu janz natürlich, ihn an Stelle
det en Star ooch mal fliegt!" des Trink-
geldes einem Dienstmädchen vermacht. Die Herrschaft jenes Dienst-
mädchens aber war nicht sehr tierliebend — begreiflicherweise, wie
wir später sehen werden — und so gab das Mädchen ihn denn in
Lerrn Aebelhörs Laden, der ihr das geeignete Papageienmilieu zu
sei» schien.
Seit diesem verhängnisvollen Tage sitzt Lora am Fenster des
Ladenzimmers und schreit. And zwar schreit sie ausschließlich „Mama!"
Immerzu Mama! mit starker Betonung auf dem ersten a. Ob hung-
rig, ob satt, bei Regen und Sonnenschein und auch an gesetzlichen
Feiertagen, immer tönt's viel hundertmal „Mama!" Es ist wirklich
eine Schande, wenn man seinen Papagei nichts anderes lernen läßt.
Wenn er wirklich einmal — wahrscheinlich vor Erschöpfung — einige
Minuten aussetzt, kommen die im Los spielenden Kinder ans Fenster
und fragen: „Papagei, wie heißt du?" And dann verschweigt das
Biest hartnäckig seinen Namen und legt neugestärkt mit seinem
„Mama"-geschrei los.
So geht es seit drei Wochen, und wir — die Nachbarschaft —
fangen an, wahnsinnig zu werden. Nur Lerrn Aebelhör (er macht
seinem Namen Ehre) scheint es weiter nicht zu stören. Es muß irgend
etwas geschehen. Aber es ist nicht ganz so leicht. Man kann nicht
einfach in .Herrn Aebelhörs Laden hingehen wie Judith ins Zelt des
Holofernes und--man bringt auch einen Papagei nicht
wegen seines geringen Sprachschatzes um. Das Glück aber ist uns
hold. Herr Aebelhör reiste mit seiner Gicht ins Bad und gab Lora
zu Luders in den !. Stock in Pension. Luders besitzen ein Pracht-
exemplar von Sohn, namens Fritz, der zum Lerbst in ein strenges
Internat kommt, wegen allein, was er in- und außerhalb der Schule
ausgesressen hat. Diesem Fritz kommt es — wie er mir sagte —
„nicht mehr drauf an". Mit den von der Nachbarschaft gestifteten
Mark 5.— will er sich für sein Internatsleben mit Niespulver und
dergl. eindecken. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit ihm, denn er
ist Lora ein geduldiger Lehrer geworden und des Papageis Sprach-
schatz erweitert sich täglich. Schillers Glocke bringt er Lora ja nicht
gerade bei, es entspräche auch nicht unfern besonderen Zwecken.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Auch ein Gläubiger" "Det find ich nu janz natürlich ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4695, S. 51
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg