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Ungeklärter Vorfall in drei Kinos
Von Peter Robinson
Eine dunkle Angelegenheit ist das, und für die Oeffentlichkeit, die
zwar anfangs danach lechzte, dann aber, wie immer, doch schnell
vergaß, wird sie wohl auch nie geklärt werden.
Die freundliche und betriebsame Mittelstadt hat sieben Kino-
theater oder Lichtspielhäuser. Drei davon nehmen eine höhere Rang-
stellung ein; sie bringen die neuesten, von berühmten Drehkünstlern
geschaffenen Filme, in denen die großen Sterne glänzen, haben besser
ausgestattete Räume, erheben etwas höhere Eintrittsgelder und ver-
kaufen die kleinste Packung Süßigkeiten zu 20 Pfennigen; sie heißen:
Aniontheater, Alhambra und Kosmos-Palast. Die vier anderen
bringen mehr abgelaufene Filme, Kriminalreißer und Wildwest-
spektakel; die Lokale sind etwas muffig, die Eintrittsgelder niedriger,
und es gibt schon für zehn Pfen-
nige etwas zum Lutschen. Da
diese Schaustätten nichts mit der
Geschichte zu tun haben, sind auch
ihre Namen belanglos. Es han-
delt sich um die drei anderen
Drehkunsttempel, auf deren Be-
such sich das bessere Publikum
der freundlichen und betriebsamen
Mittelstadt zu beschränken pflegt.
Wenn man hier überhaupt von
Beschränken sprechen darf, denn
an dreien hat man ja mehr als
genug, da in jedem das Pro-
gramm wöchentlich wechselt.
Nun denke man: Eines Mor-
gens stellte sich also heraus, daß
diesen drei Kinotheatern nächt-
liche Besuche zu zerstörerischem
Treiben abgestattet worden wa-
ren. Anbekannte Täter waren
durch eine der auf die baupoli-
zeilich vorgeschriebene Freiseite
gehenden Ausgangstüren — sie
war ja ohne große Schwierigkeit
einzudrücken, da keine Schätze da-
hinter lagen — eingedrungen
und hatten die für den Betrieb
unentbehrliche Leinwandfläche un-
brauchbar gemacht. Im Kosmos-
Palast war die Leinwand zer-
schnitten, in den beiden andern
Theatern aber durch umfassende
Schwärzung zur Filmprojektion
ungeeignet gemacht worden; daß
194
Bei Boxers
„Gib mal Lottchen sofort den Springestrick wieder 1"
diese Schwärzung sehr einfach durch starke Tintengüsse erzielt worden
war, wurde bald festgestellt.
Die freundliche und betriebsame Mittelstadt staunte, die Be-
sitzer der betroffenen Kunststätten tobten. Lieber wäre es ihnen ge-
wesen, ihre Lokale wären abgebrannt, denn dagegen waren sie doch
gut versichert. Aber für Leinwandzerstörung hatten sie keine Ver-
sicherung, denn solchen Fall hatten sie nicht voraussehen können, und
nun mußten sie den Schaden selbst tragen und ihre Lokale drei Tage
schließen, da am Ort so große Leinwandflächen nicht zu beschaffen
waren. Sie scheuten sich nicht, die Konkurrenz, die vier anderen
Kinoleute zu verdächtigen, aber hier war der Vater des Gedankens
— das war ja klar — der Wunsch, es möchten Täter ermittelt
werden, die neben strammer Bestrafung auch für den Schaden nicht
nur theoretisch, sondern prattisch, weil sie zahlen konnten, haftbar
zu machen wären. Dieser Verdacht stand jedoch auf den bekannten
schwachen Füßen; die Polizei
wollte ihm nicht nachgehen. Das
Paradoxe ist nämlich, daß gerade
einem Verdacht mit schwachen
Füßen nicht nachgegangen wird.
Aber wer konnte sonst ein In-
teresse haben, Kinobetriebe lahm
zu legen? Irgendwelche Beob-
achtungen waren in der frag-
lichen Nacht von den Nachtwäch-
tern nicht gemacht worden. Es
war nicht das geringste zu er-
mitteln, und so tat dann diese
Sache, was vielleicht die Nacht-
wächter auch getan hatten: sie
schlief ein.
Nur der Oberste der kleinen
Polizeitruppe der freundlichen
und betriebsamen Mittelstadt,
der Polizeiinspektor Degenhardt,
dachte weiter darüber nach. Er
war schon ein alter Lerr, der
demnächst in den Ruhestand zu
treten beabsichtigte, und da
wünschte er sich noch einen er-
freulichen Abschluß seiner Tätig-
keit. An scharfem Verstände fehlte
es ihm nicht. Selbstverständlich
nicht — sonst hätte er ja nicht
diesen Polizeiposten bekommen.
Er sann, er überlegte, er grübelte.
Zuerst war zweifellos das Atten-
tat auf den Kosmos-Palast ver-
übt worden. Denn das Zerschnei-
den der Leinwand war umständ-
Ungeklärter Vorfall in drei Kinos
Von Peter Robinson
Eine dunkle Angelegenheit ist das, und für die Oeffentlichkeit, die
zwar anfangs danach lechzte, dann aber, wie immer, doch schnell
vergaß, wird sie wohl auch nie geklärt werden.
Die freundliche und betriebsame Mittelstadt hat sieben Kino-
theater oder Lichtspielhäuser. Drei davon nehmen eine höhere Rang-
stellung ein; sie bringen die neuesten, von berühmten Drehkünstlern
geschaffenen Filme, in denen die großen Sterne glänzen, haben besser
ausgestattete Räume, erheben etwas höhere Eintrittsgelder und ver-
kaufen die kleinste Packung Süßigkeiten zu 20 Pfennigen; sie heißen:
Aniontheater, Alhambra und Kosmos-Palast. Die vier anderen
bringen mehr abgelaufene Filme, Kriminalreißer und Wildwest-
spektakel; die Lokale sind etwas muffig, die Eintrittsgelder niedriger,
und es gibt schon für zehn Pfen-
nige etwas zum Lutschen. Da
diese Schaustätten nichts mit der
Geschichte zu tun haben, sind auch
ihre Namen belanglos. Es han-
delt sich um die drei anderen
Drehkunsttempel, auf deren Be-
such sich das bessere Publikum
der freundlichen und betriebsamen
Mittelstadt zu beschränken pflegt.
Wenn man hier überhaupt von
Beschränken sprechen darf, denn
an dreien hat man ja mehr als
genug, da in jedem das Pro-
gramm wöchentlich wechselt.
Nun denke man: Eines Mor-
gens stellte sich also heraus, daß
diesen drei Kinotheatern nächt-
liche Besuche zu zerstörerischem
Treiben abgestattet worden wa-
ren. Anbekannte Täter waren
durch eine der auf die baupoli-
zeilich vorgeschriebene Freiseite
gehenden Ausgangstüren — sie
war ja ohne große Schwierigkeit
einzudrücken, da keine Schätze da-
hinter lagen — eingedrungen
und hatten die für den Betrieb
unentbehrliche Leinwandfläche un-
brauchbar gemacht. Im Kosmos-
Palast war die Leinwand zer-
schnitten, in den beiden andern
Theatern aber durch umfassende
Schwärzung zur Filmprojektion
ungeeignet gemacht worden; daß
194
Bei Boxers
„Gib mal Lottchen sofort den Springestrick wieder 1"
diese Schwärzung sehr einfach durch starke Tintengüsse erzielt worden
war, wurde bald festgestellt.
Die freundliche und betriebsame Mittelstadt staunte, die Be-
sitzer der betroffenen Kunststätten tobten. Lieber wäre es ihnen ge-
wesen, ihre Lokale wären abgebrannt, denn dagegen waren sie doch
gut versichert. Aber für Leinwandzerstörung hatten sie keine Ver-
sicherung, denn solchen Fall hatten sie nicht voraussehen können, und
nun mußten sie den Schaden selbst tragen und ihre Lokale drei Tage
schließen, da am Ort so große Leinwandflächen nicht zu beschaffen
waren. Sie scheuten sich nicht, die Konkurrenz, die vier anderen
Kinoleute zu verdächtigen, aber hier war der Vater des Gedankens
— das war ja klar — der Wunsch, es möchten Täter ermittelt
werden, die neben strammer Bestrafung auch für den Schaden nicht
nur theoretisch, sondern prattisch, weil sie zahlen konnten, haftbar
zu machen wären. Dieser Verdacht stand jedoch auf den bekannten
schwachen Füßen; die Polizei
wollte ihm nicht nachgehen. Das
Paradoxe ist nämlich, daß gerade
einem Verdacht mit schwachen
Füßen nicht nachgegangen wird.
Aber wer konnte sonst ein In-
teresse haben, Kinobetriebe lahm
zu legen? Irgendwelche Beob-
achtungen waren in der frag-
lichen Nacht von den Nachtwäch-
tern nicht gemacht worden. Es
war nicht das geringste zu er-
mitteln, und so tat dann diese
Sache, was vielleicht die Nacht-
wächter auch getan hatten: sie
schlief ein.
Nur der Oberste der kleinen
Polizeitruppe der freundlichen
und betriebsamen Mittelstadt,
der Polizeiinspektor Degenhardt,
dachte weiter darüber nach. Er
war schon ein alter Lerr, der
demnächst in den Ruhestand zu
treten beabsichtigte, und da
wünschte er sich noch einen er-
freulichen Abschluß seiner Tätig-
keit. An scharfem Verstände fehlte
es ihm nicht. Selbstverständlich
nicht — sonst hätte er ja nicht
diesen Polizeiposten bekommen.
Er sann, er überlegte, er grübelte.
Zuerst war zweifellos das Atten-
tat auf den Kosmos-Palast ver-
übt worden. Denn das Zerschnei-
den der Leinwand war umständ-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Bei Boxers"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4704, S. 194
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg