o
Weckerersatz
Gottsjammer und Not, ich weiß nicht, warum das grausame
Leben gerade jene Erdenpilger oft noch in seine strengste Zucht
nimmt, die ohnehin schon nichts haben auf der Welt als Armut
und Sorgen I
Kommt da eines Abends, gerade vor Schlafengehen noch, so 'n
alter Knochen von einem sogenannten „Landwerksburschen" oder
„armen Reisenden" vor Tür und Fenster des Weingutsbesitzers
Loiß in Wendelberg und klopft und klopft und bittet und bettelt
um ein Nachtquartier. And weil der Loiß ein mildtätiger Mann
Beim Tiermaler „Seht, Kinder, das waren noch Zeiten I"
ist, der keinen armen Teufel abweisen mag, und wär' er noch so
zweifelhaft adjustiert, so wird der Bruder Straubinger ausgenommen,
geschwind noch abgefüttert und in die Kammer geführt, die eigens
für solche Zug- und Wandervögel da ist. Wahrhaft gerührt zeigt
sich darob der alte Knabe.
And dann erst noch: ganz behaglich ist die Anterkunft mit
dem sauberen Bett, mit Tisch und Stuhl und freundlichen Fenster-
vorhängen — Gottes Lohn auf den wohltätigen Losbesttzer und
die Pflicht der Dankbarkeit in das Lerz eines jeden also Beher-
bergten! Aber, wie das Leben nun schon einmal ist, so raffiniert
nämlich und voller Fallstricke, — auf dem Tisch steht eine
Weckeruhr, und das Auge des betagten Landfahrers ruht
bereits sinnend darauf. „Wozu hier e Weckeruhr," denkt dieses
Auge, „wenn die Kammer doch nur, weeß Gott wie feite, be-
wohnt werde tut? Warum für nichts und niemande e solcher
Aufwand? Warum überhaupt," denkt dieses sinnende Auge,
„e Weckeruhr, wenn doch die Bewohner des Stübles keine
Stunde ruft und das ganze Lebe für sie nur e ziel- und end-
loses Wandre ischt?" And in solchen Gedankengängen legt
denn auch bereits der Wandersmann seine langen, dürren
Finger um die Weckeruhr, und ich weiß nicht, warum das
eigenwillige Leben selbst noch solche umständlich in Versuchung
führt, statt ihnen alles aus den Fängen zu räumen, von denen
sowieso ein jeder weiß, daß sie einstecken, was nicht ange-
nagelt ist. And darum befindet sich denn auch in diesem
Augenblick die Weckeruhr bereits in der Rocktasche des
Leimatlosen.
Mit den Lerbergsvätern hingegen ist es allzeit so gewest:
die einen dünkt selbst eine Schlafstelle in einem Stallwinkel
für ein kostenloses Nachtquartier noch zu gut, und die andern
— doch das sind bei weitem die wenigeren — die wollen den
Quartiersmann und Labenichts sogar nach einer Nacht im
Federbett nicht ungefrühstückt entlassen. And von dieser Art
ist der Lofbesitzer Loiß und mit ihm seine Familie. Darum
nötigten sie den alten Burschen, als er am nächsten Morgen
Laus und Los wieder verlassen will, in ihrer gastfreien
Menschlichkeit noch an den gemeinsamen Frühstückstisch und
haben an dem schier übermenschlichen Appetit des Fremden
ihre Freude.
Doch auf einmal verwandelt sich ihre freudige Güte in hell-
lichten Zorn und des Gastes Glück in widerliche Schicksalstücke,
und was den jähen Amschwung sogar mit lautem Geklirr und
Geklingel ein- und ausläutet, das ist der verfluchte Wecker in
der Tasche des diebischen Tischgenossen. Da ruft der Lofbesitzer
Loiß ein paar Knechte. Die gerben dem Lumpazivagabundus
in aller Eile das Fell, schmeißen ihn ohne besonderes Zeremo-
niell hinaus und schreien ihm gleichsam zum Trost noch nach,
er werde fortan wohl auch ohne Weckeruhr wissen, wie viel
es für eine so niederträchtige Verletzung des Gastrechts ge-
schlagen hat. L>«r«n»mus Jobs
98
Weckerersatz
Gottsjammer und Not, ich weiß nicht, warum das grausame
Leben gerade jene Erdenpilger oft noch in seine strengste Zucht
nimmt, die ohnehin schon nichts haben auf der Welt als Armut
und Sorgen I
Kommt da eines Abends, gerade vor Schlafengehen noch, so 'n
alter Knochen von einem sogenannten „Landwerksburschen" oder
„armen Reisenden" vor Tür und Fenster des Weingutsbesitzers
Loiß in Wendelberg und klopft und klopft und bittet und bettelt
um ein Nachtquartier. And weil der Loiß ein mildtätiger Mann
Beim Tiermaler „Seht, Kinder, das waren noch Zeiten I"
ist, der keinen armen Teufel abweisen mag, und wär' er noch so
zweifelhaft adjustiert, so wird der Bruder Straubinger ausgenommen,
geschwind noch abgefüttert und in die Kammer geführt, die eigens
für solche Zug- und Wandervögel da ist. Wahrhaft gerührt zeigt
sich darob der alte Knabe.
And dann erst noch: ganz behaglich ist die Anterkunft mit
dem sauberen Bett, mit Tisch und Stuhl und freundlichen Fenster-
vorhängen — Gottes Lohn auf den wohltätigen Losbesttzer und
die Pflicht der Dankbarkeit in das Lerz eines jeden also Beher-
bergten! Aber, wie das Leben nun schon einmal ist, so raffiniert
nämlich und voller Fallstricke, — auf dem Tisch steht eine
Weckeruhr, und das Auge des betagten Landfahrers ruht
bereits sinnend darauf. „Wozu hier e Weckeruhr," denkt dieses
Auge, „wenn die Kammer doch nur, weeß Gott wie feite, be-
wohnt werde tut? Warum für nichts und niemande e solcher
Aufwand? Warum überhaupt," denkt dieses sinnende Auge,
„e Weckeruhr, wenn doch die Bewohner des Stübles keine
Stunde ruft und das ganze Lebe für sie nur e ziel- und end-
loses Wandre ischt?" And in solchen Gedankengängen legt
denn auch bereits der Wandersmann seine langen, dürren
Finger um die Weckeruhr, und ich weiß nicht, warum das
eigenwillige Leben selbst noch solche umständlich in Versuchung
führt, statt ihnen alles aus den Fängen zu räumen, von denen
sowieso ein jeder weiß, daß sie einstecken, was nicht ange-
nagelt ist. And darum befindet sich denn auch in diesem
Augenblick die Weckeruhr bereits in der Rocktasche des
Leimatlosen.
Mit den Lerbergsvätern hingegen ist es allzeit so gewest:
die einen dünkt selbst eine Schlafstelle in einem Stallwinkel
für ein kostenloses Nachtquartier noch zu gut, und die andern
— doch das sind bei weitem die wenigeren — die wollen den
Quartiersmann und Labenichts sogar nach einer Nacht im
Federbett nicht ungefrühstückt entlassen. And von dieser Art
ist der Lofbesitzer Loiß und mit ihm seine Familie. Darum
nötigten sie den alten Burschen, als er am nächsten Morgen
Laus und Los wieder verlassen will, in ihrer gastfreien
Menschlichkeit noch an den gemeinsamen Frühstückstisch und
haben an dem schier übermenschlichen Appetit des Fremden
ihre Freude.
Doch auf einmal verwandelt sich ihre freudige Güte in hell-
lichten Zorn und des Gastes Glück in widerliche Schicksalstücke,
und was den jähen Amschwung sogar mit lautem Geklirr und
Geklingel ein- und ausläutet, das ist der verfluchte Wecker in
der Tasche des diebischen Tischgenossen. Da ruft der Lofbesitzer
Loiß ein paar Knechte. Die gerben dem Lumpazivagabundus
in aller Eile das Fell, schmeißen ihn ohne besonderes Zeremo-
niell hinaus und schreien ihm gleichsam zum Trost noch nach,
er werde fortan wohl auch ohne Weckeruhr wissen, wie viel
es für eine so niederträchtige Verletzung des Gastrechts ge-
schlagen hat. L>«r«n»mus Jobs
98
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Beim Tiermaler"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 183.1935, Nr. 4672, S. 98
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg