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Eines Tages ries mich mein Freund Roderich an. Ich merkte
es schon an seiner Stimme, daß etwas los war.

„Mein Lieber," sagte er, „ich habe heute morgen — oder viel-
mehr meine liebe Frau-'"

Dann hörte ich einen dumpfen Fall.

Gleich darauf hörte ich eine männliche Stimme energisch an-
ordnen: „Lolen Sie mir sofort die Kampferspritze, Schwester, und
geben Sie ihm dann einen großen Kognak!" Dann wurde das Tele-
phon eingehängt.

Lim Abend, im Linterzimmer des Blauen Krokodils, bestätigte
mir Roderich meine düstere Ahnung: er hatte Zwillinge bekommen.

„Sie sind sich so ähnlich wie ein Ei dem andern."

Dann zog er ein Tagebuch aus der Tasche.

„Das Tagebuch meiner Frau," sagte er. „Ich glaube jetzt auch
an geheimnisvolle Einflüsse. Am die fragliche Zeit war Irene sechs-
mal in den ,Beiden Schützen" von Lorying. Was mich aber beun-
ruhigt, ist der Amstand, daß ich hier noch 8 mal ,Die Drei von der
Tankstelle" verzeichnet finde."

„Roderich," sagte ich, „ich beschwöre dich, verbiete ihr ein für
allemal die Vier Grobiane und die Fünf Frankfurter."

Roderich erbleichte.

„Du glaubst also auch an die Möglichkeit? Gibt es nicht auch
ein Theaterstück,12000"?"

„Jawohl. Vor allem aber mußt
du ihr den Roman ,Volk ohne
Raum" unzugänglich machen."

Roderich machte eifrig Notizen.

„And nun eine andere Frage,"
fuhr ich fort. „Du sagst, die Zwil-
linge sehen sich so ähnlich wie ein
Ei dem andern. Da taucht schon
wieder ein Problem auf."

„Was denn?""

„Sie zu unterscheiden."

„Dafür ist gesorgt. Der eine
liegt in einem blauen Bettchen, der
andre in einem roten. Der im
blauen Bettchen hat den ganzen
Tag geweint. Er scheint das rich-
tige Verständnis für dieses Dasein
zu haben — ich habe ihn deswegen
Realis getauft. Der andre hat den
ganzen Tag geschlafen, weshalb
ich ihm den Namen Traumulus
beigelegt habe. Der Standesbeamte
hat zwar dagegen protestiert, aber-"

„Roderich," sagte ich ernst, „wenn »un jetzt der andre weint und
der eine schläft?"

„Dann ist immer noch die Farbe der Betten."

„So? And wenn die Schwester sie umgebettet hat?"

Roderich sprang auf und eilte davon. Nach einer Stunde kam
er wieder. Er drückte mir wortlos die Land.

„Ich habe die Schwester ins Verhör genommen. Es ist, wie du
vermutet hast: Realis schläft, Traumulus weint, und die Schwester
hat sie umgebettet. Morgen früh wird die Schwester abgelöst, und
niemand wäre imstande gewesen, die Zusammenhänge zu entwirren."

„Kann inan sie äußerlick nicht unterscheiden," stand ich auf, „so
müssen wir nach andern Merkmalen suchen. Komm!"

Die Sache war verzweifelt. So etwas von Aehnlichkeit war
mir noch nie im Leben vorgekommen. Nach stundenlangem Suchen
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stellte ich aufatmend fest, daß Traumulus auf der linken Seite eine
geschwollene Mandel hatte. Von da an fuhr der unglückselige Vater
dein einen seiner Sprößlinge immer erst mit einem Löffelstiel in den
Mund, ehe er sie anredete. Kaum konnte» die Zwillinge etwas
sprechen, da veranlaßte ich den Vater, Realis bis drei zählen zu
lehren, Traumulus aber nicht. Ich fand das im Verhältnis zu ihren
Namen sehr sinnig. And es war gut so, denn eines Tages stellte
der erschrockene Vater fest, daß nunmehr auch Realis die gleiche
linksseitige Mandelschwellung aufwies, so daß ohne meine Vorsorge
die Katastrophe fertig gewesen wäre.

Aber das Verhängnis schritt weiter. Es kam der Tag, an dem
auch Traumulus bis drei zählen konnte. Dafür fand der dankbare
Vater, daß Realis Anzeichen einer Blinddarmreizung zeigte.

„Natürlich lassen wir ihn operieren!" sagte er, und so geschah
es. Alles ging glänzend. Realis kam mit einer Narbe zurück so groß
wie ein Knopfloch, und die Anterscheidung wäre für ewige Zeiten
gesichert gewesen, wenn — ja wenn diese Zwillinge nicht so durch-
aus die gleichen Anlage» gezeigt hätten. Zwei Tage darauf mußte
Traumulus in die Klinik. Er kam mit einer Narbe zurück so groß
wie ein Knopfloch: es war ganz genau dieselbe Narbe.

Roderich zog mich zu Rate.

Da ich Pate war, brachte ich für Traumulus einen Ring mit,
den kleinsten, den ich beim Juwelier auftreiben konnte. Aber er war
viel zu weit und paßte nur an den großen Zeh von Traumulus.
Da saß er aber gut und fest.

„Voilä!“ sagte ich, „Verwechslung ausgeschlossen."

Wir tranken eine» Rotjpohn auf diese Erfindung. Als wir nach
Lause kamen, ereilte uns die schreckliche Nachricht, daß Realis
seinem Zwillingsbruder den Ring vom Zeh gezogen und aufgegessen
habe. Ich weiß, der vorwurfsvolle Blick von Roderichs Frau galt
mir, und ich schämte mich in meinen Kragen hinein. Aber mein

Freund Roderich lachte befreit.
„Gott sei Dank!" sagte er.
„Wieso?" fragte ich schüchtern.
„Anmensch I""apostrophierteihn
seine Frau Gemahlin.

„Jetzt wird ein Röntgenappa-
rat angeschafft, und dann kann nie
mehr eine Verwechslung eintrete»."

Nach drei Tagen war der
Röntgenapparat da. Er wurde
gerade aufgestellt, als die Wärte-
rin mit einem runden Gefäß ins
Zimmer trat.

„Lerr Direktor," sagte sie
strahlend, „der Ring ist auch wieder
da." Da ging ich mit Roderich zu-
sammen in ein Sanatorium.

Unvorsichtig

„Meine Wiege stand am Meer!"
„Das finde ich aber von Ihren
Ellern sehr unvorsichtig!"

Sehnsucht nach der Muttersprache

Die Familie ist nach London verzogen. Schon vor einem halben
Jahr. Mutter geht mit ihren beiden kleinen Töchterchen im Richmond
Park spazieren. Auf einmal hören sie den Kuckuck: „Kuckuck, kuckuck,
kuckuck." Erfreut ruft die Jüngere: „Lört nur, endlich mal wieder
ein deutsches Wort."

Schneidige Sportlerin

Eine junge Dame wollte sich den Führerschein erwerben und
bekam bei der Prüfung diese Frage vorgelegt: „Wie haben Sie mit
Ihrem Auto den Verkehrsschutzmann zu umfahren?"

In beträchtlicher Aufregung antwortete die Dame: „Der Ver-
kehrsschutzmann ist immer so umzufahren, daß er links liegen bleibt."
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Zwillinge"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 183.1935, Nr. 4679, S. 222

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