LETZTE MASKEN
Der Alltag schimmert häßlich durch die Ritzen
Und spiegelt fahl sich in dem trüben Rot
Von Wein und fetzigen, vergoss’nen Pfützen —
Im Grau ertrinkt des Lachens Silberboot.
Die bunten Säulen stehn beschämt wie nackte
Armsünder vor dem harrenden Schaffott,
Und draußen huft im neuerwachten Takte
Der Werktag seinen ewig alten Trott.
Die letzten Masken schrecken von den Tischen,
Und Gläser fallen plötzlich und zerklirr’n,
Die aufgescheuchten Narren aber wischen
Sich irre Träume von der müden Stirn.
Belacht von frühen Gaffern, traurig schleichen
Und scheu sie hin am kalten Straßenbord,
Noch eben Fürsten in verspielten Reichen,
Ins Morgengraun nach allen Winden fort.
h. w.
Der offenherzige Hausgenosse
„Ich bin die Pianistin von der zweiten Etage und möchte Sie
einen Augenblick fprechen! Störe ich?"
„Augenblicklich nicht . . . aber wenn Sie Klavier spielen!"
Die Nachbarin
„Kolossal drückend war's gestern abend, als ich mit meinem
Bräutigam an der Laustür stand!"
„Lab's beobachtet! Jeden Augenblick drückte er Sie an sich!"
Bissig oder beleidigt?
„Vater, der Briefträger sagte zu unserem Lund MistviehI Er
hat ihn ins Bein gebissen!"
„Vor- oder nachher?"
Der Dreizehnte ^on Ferdinand Feber
Mit hoffnungslos trüber Miene erschien Georg auf der Terrasse
am blauen See. Als er Peter sitzen sah, steuerte er geradewegs
auf ihn zu, Peter blickte von seiner Zeitung auf. „Wie siehst du
denn aus, Georg? Was hast du denn, Georg?"
Georg ließ sich schwer in einen Sessel fallen.
„Mir ist ein furchtbares Anglück widerfahren!" — „Ein Anglück?"
„Ich bin selbst schuld daran: Warum ließ ich mich auch über-
reden, der Dreizehnte zu sein?"
„Der Dreizehnte? Immer wieder dieser Aberglaube?"
„Auch ich hielt es bis heute morgen für einen Aberglauben,"
seufzte Georg, „aber jetzt weiß ich, daß in dem alten Volksglauben,
es werde einem ein Anglück widerfahren, wenn man irgendwo der
Dreizehnte ist, ein tiefer geheimnisvoller Sinn liegt."
„So erzähl!"
Peter war neugierig geworden. Georg zögerte einen Augen-
dlick, dann begann er seinem gepreßten Lerzen Lust zu machen.
„Du bist mein Freund, und ich kann es dir ja ruhig gestehen —
ich bin verliebt, leidenschaftlich verliebt — in Christine. Seit ich sie
dor acht Tagen zum ersten Male sah, wußte ich, daß nur sie und
keine andere die Frau ist, die mich glücklich machen kann. Seit drei
Tage wollte ich ihr meine Liebe gestehen, aber ich wagte es nicht,
aus Angst vor einer Abweisung. Gestern nun nahm ich allen Mut
zusammen und war fest entschlossen, um ihre Land anzuhalten. Dann
ließ ich mich aber doch verführen, eure Mondscheinpartie zur Insel
mitzumachen. Wie ihr alle lustig beisammen saßt und mir zurieft.
Der Herr Professor
„Guck mal, Theobald, ein Marsmensch!"
„Ansinn! Ich habe doch nachgewiesen, daß der Mars unbewohnt ist."
ich müsse unbedingt mitkommen, wurde ich schwach und sagte zu.
Zu spät bemerkte ich, daß ihr euer zwölf wäret. Eine Ahnung kom-
menden Anheils ergriff mich, der Dreizehnte zu sei», aber ich hätte
nicht mehr absagen können, ohne mich zu blamieren."
Georg blickte eine Minute lang stumm vor sich hin, dann fuhr er fort:
„Leute morgen erkannte ich, wie wahr der Aberglaube vom Drei-
zehnten ist. Ich traf Christine auf dem Weg zum Bad und sagte ihr rasch,
ehe mich noch der Mut verließ, daß sie die meine werden müsse. Aber ich
kam zu spät. Christine errötete und erklärte, daß sie mir herzlich zugetan
sei, daß sie meinen Antrag erwartete, daß sie sich aber, da ich mich nicht
erklärte, gestern nacht mit einem anderen Mann verlobt habe. Denk dir
nur: so knapp bin ich am Glück meines Lebens vorbcigegangen und habe
es verscherzt — bestimmt nur, weil ich gestern der Dreizehnte war."
Peter sagte ernst: „Du irrst dich, Georg. Du warst gestern
nicht der Dreizehnte."
„Wieso nicht?" fuhr Georg auf, „ich habe doch, wie es meine
Gewohnheit ist, die Anwesenden genau gezählt. Es waren zwölf."
„Es ist dir eben entgangen, daß Dr. Müllner sich einen Augen-
blick entfernt hatte, um mit dem Bootsführer zu sprechen. Du warst
der Vierzehnte. Der Dreizehnte war ich."
„And — und der gestrige Abend hat dir kein Anglück gebracht?"
Peter lächelte:
„Darüber kann ich dir jetzt noch keine bestimmte Auskunft geben,
lieber Freund. Aber wenn du mich heute in zehn Jahren wiederum
fragen wirst, werde ich es dir schon genau sagen können. Der Mann,
mit dem sich Christine gestern nacht verlobt hat, bin nämlich ich."
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Der Alltag schimmert häßlich durch die Ritzen
Und spiegelt fahl sich in dem trüben Rot
Von Wein und fetzigen, vergoss’nen Pfützen —
Im Grau ertrinkt des Lachens Silberboot.
Die bunten Säulen stehn beschämt wie nackte
Armsünder vor dem harrenden Schaffott,
Und draußen huft im neuerwachten Takte
Der Werktag seinen ewig alten Trott.
Die letzten Masken schrecken von den Tischen,
Und Gläser fallen plötzlich und zerklirr’n,
Die aufgescheuchten Narren aber wischen
Sich irre Träume von der müden Stirn.
Belacht von frühen Gaffern, traurig schleichen
Und scheu sie hin am kalten Straßenbord,
Noch eben Fürsten in verspielten Reichen,
Ins Morgengraun nach allen Winden fort.
h. w.
Der offenherzige Hausgenosse
„Ich bin die Pianistin von der zweiten Etage und möchte Sie
einen Augenblick fprechen! Störe ich?"
„Augenblicklich nicht . . . aber wenn Sie Klavier spielen!"
Die Nachbarin
„Kolossal drückend war's gestern abend, als ich mit meinem
Bräutigam an der Laustür stand!"
„Lab's beobachtet! Jeden Augenblick drückte er Sie an sich!"
Bissig oder beleidigt?
„Vater, der Briefträger sagte zu unserem Lund MistviehI Er
hat ihn ins Bein gebissen!"
„Vor- oder nachher?"
Der Dreizehnte ^on Ferdinand Feber
Mit hoffnungslos trüber Miene erschien Georg auf der Terrasse
am blauen See. Als er Peter sitzen sah, steuerte er geradewegs
auf ihn zu, Peter blickte von seiner Zeitung auf. „Wie siehst du
denn aus, Georg? Was hast du denn, Georg?"
Georg ließ sich schwer in einen Sessel fallen.
„Mir ist ein furchtbares Anglück widerfahren!" — „Ein Anglück?"
„Ich bin selbst schuld daran: Warum ließ ich mich auch über-
reden, der Dreizehnte zu sein?"
„Der Dreizehnte? Immer wieder dieser Aberglaube?"
„Auch ich hielt es bis heute morgen für einen Aberglauben,"
seufzte Georg, „aber jetzt weiß ich, daß in dem alten Volksglauben,
es werde einem ein Anglück widerfahren, wenn man irgendwo der
Dreizehnte ist, ein tiefer geheimnisvoller Sinn liegt."
„So erzähl!"
Peter war neugierig geworden. Georg zögerte einen Augen-
dlick, dann begann er seinem gepreßten Lerzen Lust zu machen.
„Du bist mein Freund, und ich kann es dir ja ruhig gestehen —
ich bin verliebt, leidenschaftlich verliebt — in Christine. Seit ich sie
dor acht Tagen zum ersten Male sah, wußte ich, daß nur sie und
keine andere die Frau ist, die mich glücklich machen kann. Seit drei
Tage wollte ich ihr meine Liebe gestehen, aber ich wagte es nicht,
aus Angst vor einer Abweisung. Gestern nun nahm ich allen Mut
zusammen und war fest entschlossen, um ihre Land anzuhalten. Dann
ließ ich mich aber doch verführen, eure Mondscheinpartie zur Insel
mitzumachen. Wie ihr alle lustig beisammen saßt und mir zurieft.
Der Herr Professor
„Guck mal, Theobald, ein Marsmensch!"
„Ansinn! Ich habe doch nachgewiesen, daß der Mars unbewohnt ist."
ich müsse unbedingt mitkommen, wurde ich schwach und sagte zu.
Zu spät bemerkte ich, daß ihr euer zwölf wäret. Eine Ahnung kom-
menden Anheils ergriff mich, der Dreizehnte zu sei», aber ich hätte
nicht mehr absagen können, ohne mich zu blamieren."
Georg blickte eine Minute lang stumm vor sich hin, dann fuhr er fort:
„Leute morgen erkannte ich, wie wahr der Aberglaube vom Drei-
zehnten ist. Ich traf Christine auf dem Weg zum Bad und sagte ihr rasch,
ehe mich noch der Mut verließ, daß sie die meine werden müsse. Aber ich
kam zu spät. Christine errötete und erklärte, daß sie mir herzlich zugetan
sei, daß sie meinen Antrag erwartete, daß sie sich aber, da ich mich nicht
erklärte, gestern nacht mit einem anderen Mann verlobt habe. Denk dir
nur: so knapp bin ich am Glück meines Lebens vorbcigegangen und habe
es verscherzt — bestimmt nur, weil ich gestern der Dreizehnte war."
Peter sagte ernst: „Du irrst dich, Georg. Du warst gestern
nicht der Dreizehnte."
„Wieso nicht?" fuhr Georg auf, „ich habe doch, wie es meine
Gewohnheit ist, die Anwesenden genau gezählt. Es waren zwölf."
„Es ist dir eben entgangen, daß Dr. Müllner sich einen Augen-
blick entfernt hatte, um mit dem Bootsführer zu sprechen. Du warst
der Vierzehnte. Der Dreizehnte war ich."
„And — und der gestrige Abend hat dir kein Anglück gebracht?"
Peter lächelte:
„Darüber kann ich dir jetzt noch keine bestimmte Auskunft geben,
lieber Freund. Aber wenn du mich heute in zehn Jahren wiederum
fragen wirst, werde ich es dir schon genau sagen können. Der Mann,
mit dem sich Christine gestern nacht verlobt hat, bin nämlich ich."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Herr Professor"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 184.1936, Nr. 4723, S. 85
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg