Zeichnung von I. Mauder
„Der Skilehrer sagt, es sei höchste Zeit, daß Sie kommen. Sie hätten doch erst das erste Viertel der Üebunge» hinter sich!"
„Da sagen Sie ihm, daß er sich täuscht, ich Hab hier schon das dritte Viertel hinter mir!"
Die Hauptsache
Von Fritz Miiller-Parkenkirchen
Vor des Amtsgerichtsrats Erlmoser Richterstuhl hatte ich zu
^scheinen. Ich als Lausherr. Während die Frau Berta Mitter-
Zschwendtner als Mietspartei und damit als geschworener Erzfeind,
zum Rande angefüllt mit Klagen, Zorn, Beschwerden, auf der
Andren Seite stand und wohlvorbereitet inittels Akten, Zeugen und
zwei Rechtsanwälten, tatenlustig glitzerte und dampfte.
So war es und so wird es auf der Mutter Erde bleiben, seit
irgendwo im Alten Testament geheißen hatte: „Lier will ich
Lütten bauen!" und einer sie gebaut, ein andrer sie bezogen hatte.
Worum ging es? Frau Mittergschwendtner könnte mich er-
schlagen: Ich weiß es heute nicht mehr. Es ist auch völlig gleich im
Grunde. Alle Mieter, alle Bertas sind darüber einig: Die Lausherrn-
^genschaft allein stemple den da drüben, fern von allen Einzelheiten,
^ie doch nur verwirren, zu einem ausgemachten Bösewicht und Schur-
ke», gegen den das seierlicherweise über allen Prozessen schwebende
^chwarzbarett des Richters nur mit Zuchthaus von drei Jahren auf-
wärts zu erkennen habe.
Der Amtsrichter hatte Platz genommen. Langsam suchte das
Richterauge den zugeordneten Lalbkreis ab. Die Advokaten blät-
i^rten mit jähem Knattern in den Akten.
„Ihr Anwalt?" hob sich der Kopf des Richters aus de» Akten
und überflog mich prüfend.
„Nicht erschienen. ,Familienzuwachsh höre ich soeben."
Der Richter lächelte: „Vertagung also?"
„Zu Lasten eines neu dem Leben zugewandten Menschleins? —
wäre eine schlechte Ehrung — ist nicht heute Muttertag?"
Der Richter nickte: „Verhandeln also? Sie vertreten sich als
Lausherr selber, nicht wahr, und erklären — ?"
Ich dachte nach. Erstaunlich, was zwischen einer Richterfragc
und einer Antwort des Befragten alles durch Lirn und Lerz geht.
Freundlich half der Richter nach: „Und erklären also, daß—?"
„Daß", sagte ich und dachte an die vielen unnötigen Streitig-
keiten dieser Erde.
„Daß", wiederholte ich und dachte daran, daß man gerade jetzt
den neuen Erdenbürger aus der Taufe heben mochte.
„Daß", nickte ich, und es war, als striche durch den Saal das
silberne, dünne Weinen eines Wesens, dem die Mutter einen ersten
bescheidenen Lebensraum in dieser rauhen Welt zu schaffen suchte.
Der Richter runzelte die Stirne und äugte schräg hinüber nach
den Akten des nächsten Falles. Die beiden Anwälte der Berta Mit-
tergschwendtner räusperten sich und drängten sich zum Gegenstoße.
„Daß ich die Ansprüche der Frau Berta Mittergschwendtner als
berechtigt anerkenne", sagte ich.
Bewegung. Der Richter freute sich und diktierte leis dem Schrei-
ber. Die Beisitzer freuten sich und malten pfeildurchbohrte graphitne
Lerzen auf die blauen Aktendeckel. Die beiden Gegenanwälte freuten
sich und berechneten die mühelose Verhandlungsgebühr. Der Gerichts-
saal freute sich und strahlte in der eilig aufgerufnen Zehnuhrmorgen-
sonne. Der Gerichtsdiener freute sich und dividierte sich aus, daß es
bis zur später augesetzten Verhandlungsstunde des nächsten Falles
zu einem halben Liter in der Kantine links hinten reichen könnte.
Alle drängten übersonnt und mäßig beflügelt nach dem Aus-
gang. Die Berta Mittergschwendtner hatte man vergessen. Die
stand da, wie Kinder dastehn, wenn die Lühner ihnen unversehens
das Brot aus der Land gepickt haben. Sie begriff mit einem Male,
(Fortsetzung Seite 103)
101
„Der Skilehrer sagt, es sei höchste Zeit, daß Sie kommen. Sie hätten doch erst das erste Viertel der Üebunge» hinter sich!"
„Da sagen Sie ihm, daß er sich täuscht, ich Hab hier schon das dritte Viertel hinter mir!"
Die Hauptsache
Von Fritz Miiller-Parkenkirchen
Vor des Amtsgerichtsrats Erlmoser Richterstuhl hatte ich zu
^scheinen. Ich als Lausherr. Während die Frau Berta Mitter-
Zschwendtner als Mietspartei und damit als geschworener Erzfeind,
zum Rande angefüllt mit Klagen, Zorn, Beschwerden, auf der
Andren Seite stand und wohlvorbereitet inittels Akten, Zeugen und
zwei Rechtsanwälten, tatenlustig glitzerte und dampfte.
So war es und so wird es auf der Mutter Erde bleiben, seit
irgendwo im Alten Testament geheißen hatte: „Lier will ich
Lütten bauen!" und einer sie gebaut, ein andrer sie bezogen hatte.
Worum ging es? Frau Mittergschwendtner könnte mich er-
schlagen: Ich weiß es heute nicht mehr. Es ist auch völlig gleich im
Grunde. Alle Mieter, alle Bertas sind darüber einig: Die Lausherrn-
^genschaft allein stemple den da drüben, fern von allen Einzelheiten,
^ie doch nur verwirren, zu einem ausgemachten Bösewicht und Schur-
ke», gegen den das seierlicherweise über allen Prozessen schwebende
^chwarzbarett des Richters nur mit Zuchthaus von drei Jahren auf-
wärts zu erkennen habe.
Der Amtsrichter hatte Platz genommen. Langsam suchte das
Richterauge den zugeordneten Lalbkreis ab. Die Advokaten blät-
i^rten mit jähem Knattern in den Akten.
„Ihr Anwalt?" hob sich der Kopf des Richters aus de» Akten
und überflog mich prüfend.
„Nicht erschienen. ,Familienzuwachsh höre ich soeben."
Der Richter lächelte: „Vertagung also?"
„Zu Lasten eines neu dem Leben zugewandten Menschleins? —
wäre eine schlechte Ehrung — ist nicht heute Muttertag?"
Der Richter nickte: „Verhandeln also? Sie vertreten sich als
Lausherr selber, nicht wahr, und erklären — ?"
Ich dachte nach. Erstaunlich, was zwischen einer Richterfragc
und einer Antwort des Befragten alles durch Lirn und Lerz geht.
Freundlich half der Richter nach: „Und erklären also, daß—?"
„Daß", sagte ich und dachte an die vielen unnötigen Streitig-
keiten dieser Erde.
„Daß", wiederholte ich und dachte daran, daß man gerade jetzt
den neuen Erdenbürger aus der Taufe heben mochte.
„Daß", nickte ich, und es war, als striche durch den Saal das
silberne, dünne Weinen eines Wesens, dem die Mutter einen ersten
bescheidenen Lebensraum in dieser rauhen Welt zu schaffen suchte.
Der Richter runzelte die Stirne und äugte schräg hinüber nach
den Akten des nächsten Falles. Die beiden Anwälte der Berta Mit-
tergschwendtner räusperten sich und drängten sich zum Gegenstoße.
„Daß ich die Ansprüche der Frau Berta Mittergschwendtner als
berechtigt anerkenne", sagte ich.
Bewegung. Der Richter freute sich und diktierte leis dem Schrei-
ber. Die Beisitzer freuten sich und malten pfeildurchbohrte graphitne
Lerzen auf die blauen Aktendeckel. Die beiden Gegenanwälte freuten
sich und berechneten die mühelose Verhandlungsgebühr. Der Gerichts-
saal freute sich und strahlte in der eilig aufgerufnen Zehnuhrmorgen-
sonne. Der Gerichtsdiener freute sich und dividierte sich aus, daß es
bis zur später augesetzten Verhandlungsstunde des nächsten Falles
zu einem halben Liter in der Kantine links hinten reichen könnte.
Alle drängten übersonnt und mäßig beflügelt nach dem Aus-
gang. Die Berta Mittergschwendtner hatte man vergessen. Die
stand da, wie Kinder dastehn, wenn die Lühner ihnen unversehens
das Brot aus der Land gepickt haben. Sie begriff mit einem Male,
(Fortsetzung Seite 103)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Skilehrer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 184.1936, Nr. 4724, S. 101
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg