o
Das Testament V°nW.
Da standen sie in schweigenden Grüppchen herum, denen man
die Spannung deutlich ansah, und warteten auf den Testamentsvoll-
strecker, die Erben des Lerrn v. Lopfenfroh.
Er war ein schrulliger alter Lerr gewesen, der von seiner Ver-
wandtschaft nie Gebrauch gemacht hatte, And hatte ihn wirklich ein-
mal einer zu besuchen unternommen, dann war er bald wieder ge-
gangen. Der alte Lerr hörte nämlich angeblich fast nichts. Man
konnte ihm die längsten Geschichten ins Ohr brüllen, er nickte ver-
ständnisvoll dazu. And wenn dann die Geschichte fertig war, dann
hob er sein Lörrohr und fragte mit entwaffnendem Gleichmut:
„Wie bitte?" Da war es dann aus. Aber zwischendurch konnte es
Vorkommen, daß er den alten Diener Franz, der gar nicht sehr laut
und auch nicht übermäßig deutlich sprach, recht gut verstand. Kurz,
ob er wirklich schwerhörig war, oder ob er sich hinter dem Lörrohr
nur verschanzte, um nicht zu hören, was er nicht hören wollte, oder
vielleicht gar, um zu hören, was er nicht hören sollte — das ist nie
richtig ans Licht gekommen.
Das Gewicht einer Kastenuhr fing zu schnurren an. Dann rief es
viermal Kuckuck aus der Ahr, darauf schnurrte es wieder, und dann
ertönte laut und deutlich das Wort Spitzbuben!" in einer kleinen
Terz von oben nach unten. Alle fuhren
herum. Sahen sich entgeistert an. In
diesem Augenblick trat der Notar ein.
Nach kurzer Begrüßung und Vor-
stellung bat er die Erben, Platz zu
nehmen. Er versicherte, daß die Erb-
berechtigung der anwesenden Damen
und Lerren durch die vorgelegten Pa-
piere einwandfrei feststehe. Es ging so
etwas wie ein Aufatmen durch die
Gehröcke und schwarzen Roben.
Der Notar fuhr fort. Nach dem
Willen des Erblassers sei das eigent-
liche Testament heute noch nicht zu er-
öffnen, sonderij nur eine Präambel zu
ihm. Durch die Erben ging eine matte
Bewegung, ähnlich, wie wenn ein klei-
ner Windstoß einmal über ein Korn-
feld hinkämmt.
„Ich eröffne hiermit — — —"
begann der Notar einen längeren,
amtlich klingenden Satz, der so gebaut
war, daß man ihm nicht folgen konnte.
And dann hörte man das scharfe
Reißen von Papier. Der Notar verlas:
„Ich, Lans Joachim v. Lopfen-
froh, bestimme hiermit letztwillig fol-
194
gendes: Ich will von dem Genuß der Erbschaft keinen meiner Erben
ausschließen, wenigstens nicht von vornherein. Der Kreis der Erben
soll endgültig erst bestimmt werden vier Wochen nach Eröffnung
dieser Präambel, wenn eine Bedingung zuvor erfüllt worden ist.
Diese Bedingung dient einer Charakterauslese. Sie lautet folgender-
maßen: Alle meine Erben haben vier Wochen in meinem Gut Stell-
berg friedlich und wie es sich für Verwandte geziemt zusammenzu-
leben, und zwar die eine, durch das Los zu bestimmende Lälfte als
Lerrschaft, die andere als Dienerschaft. Während dieser Zeit sollen
sie ihre hürgerliche Kleidung oblegen und sich aus den Beständen
meiner Kostümsammlung kleiden. Im einzelnen bestimme ich folgendes:
Meine Tante Adelheid legt das Kostüm der Carmen an, mein Vetter
Paul das des spanischen Granden-"
Die Erben sprangen auf. Der Staatsanwalt Dr. Zwiehl schlug
mit der Faust erregt auf den Tisch vor den Notar.
„Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen!" sagte er. „Solchen
Zauber mache ich nicht mit!" And dann ging er. Aber das wurde
so gut wie nicht bemerkt.
* *
*
Nach genau vier Wochen versammelten sich die 23 Erben
wieder in demselben saalartigen Raum. Wieder schnurrte die Kasten-
uhr und rief viermal „Kuckuck" und
einmal „Spitzbuben!" Ein Ahr. Der
Notar trat ein. Wieder zerriß Pa-
pier. Dann verlas der Notar das
Testament.
Er schloß nach längeren einleiten-
den Sätzen, die von bissigen Bemer-
kungen nur so strotzten, mit folgenden
Worten:
„Die charakterliche Auslese ist
mit dem heutigen Tage also beendet.
Denjenigen, die Charakter gezeigt
haben, soll der Lohn werden. Dem-
zufolge bestimme ich, daß nur der-
oder diejenigen zu berücksichtigen
sind, die sich geweigert haben, die
lächerliche Komödie mitzumachen.
Sollte danach kein Erbberechtigter
vorhanden sein, so fällt mein gesam-
tes Vermögen an die Gemeinde Stell-
berg."
Eine Stunde später schon saß der
Staatsanwalt Dr. Zwiehl, ein Tele-
gramm des Notars neben sich, vor
dem Schreibtisch und verfaßte ein Ge-
such um Entlassung aus dem Staats-
dienst.
lnoeer-R£,sei
„Können Sie mir die Mittelmeer - Reise
nicht für 79.80 lassen? Ich möchte mir noch für
20 Pfennig Pfefferminzplätzchen mitnehmen."
Das Testament V°nW.
Da standen sie in schweigenden Grüppchen herum, denen man
die Spannung deutlich ansah, und warteten auf den Testamentsvoll-
strecker, die Erben des Lerrn v. Lopfenfroh.
Er war ein schrulliger alter Lerr gewesen, der von seiner Ver-
wandtschaft nie Gebrauch gemacht hatte, And hatte ihn wirklich ein-
mal einer zu besuchen unternommen, dann war er bald wieder ge-
gangen. Der alte Lerr hörte nämlich angeblich fast nichts. Man
konnte ihm die längsten Geschichten ins Ohr brüllen, er nickte ver-
ständnisvoll dazu. And wenn dann die Geschichte fertig war, dann
hob er sein Lörrohr und fragte mit entwaffnendem Gleichmut:
„Wie bitte?" Da war es dann aus. Aber zwischendurch konnte es
Vorkommen, daß er den alten Diener Franz, der gar nicht sehr laut
und auch nicht übermäßig deutlich sprach, recht gut verstand. Kurz,
ob er wirklich schwerhörig war, oder ob er sich hinter dem Lörrohr
nur verschanzte, um nicht zu hören, was er nicht hören wollte, oder
vielleicht gar, um zu hören, was er nicht hören sollte — das ist nie
richtig ans Licht gekommen.
Das Gewicht einer Kastenuhr fing zu schnurren an. Dann rief es
viermal Kuckuck aus der Ahr, darauf schnurrte es wieder, und dann
ertönte laut und deutlich das Wort Spitzbuben!" in einer kleinen
Terz von oben nach unten. Alle fuhren
herum. Sahen sich entgeistert an. In
diesem Augenblick trat der Notar ein.
Nach kurzer Begrüßung und Vor-
stellung bat er die Erben, Platz zu
nehmen. Er versicherte, daß die Erb-
berechtigung der anwesenden Damen
und Lerren durch die vorgelegten Pa-
piere einwandfrei feststehe. Es ging so
etwas wie ein Aufatmen durch die
Gehröcke und schwarzen Roben.
Der Notar fuhr fort. Nach dem
Willen des Erblassers sei das eigent-
liche Testament heute noch nicht zu er-
öffnen, sonderij nur eine Präambel zu
ihm. Durch die Erben ging eine matte
Bewegung, ähnlich, wie wenn ein klei-
ner Windstoß einmal über ein Korn-
feld hinkämmt.
„Ich eröffne hiermit — — —"
begann der Notar einen längeren,
amtlich klingenden Satz, der so gebaut
war, daß man ihm nicht folgen konnte.
And dann hörte man das scharfe
Reißen von Papier. Der Notar verlas:
„Ich, Lans Joachim v. Lopfen-
froh, bestimme hiermit letztwillig fol-
194
gendes: Ich will von dem Genuß der Erbschaft keinen meiner Erben
ausschließen, wenigstens nicht von vornherein. Der Kreis der Erben
soll endgültig erst bestimmt werden vier Wochen nach Eröffnung
dieser Präambel, wenn eine Bedingung zuvor erfüllt worden ist.
Diese Bedingung dient einer Charakterauslese. Sie lautet folgender-
maßen: Alle meine Erben haben vier Wochen in meinem Gut Stell-
berg friedlich und wie es sich für Verwandte geziemt zusammenzu-
leben, und zwar die eine, durch das Los zu bestimmende Lälfte als
Lerrschaft, die andere als Dienerschaft. Während dieser Zeit sollen
sie ihre hürgerliche Kleidung oblegen und sich aus den Beständen
meiner Kostümsammlung kleiden. Im einzelnen bestimme ich folgendes:
Meine Tante Adelheid legt das Kostüm der Carmen an, mein Vetter
Paul das des spanischen Granden-"
Die Erben sprangen auf. Der Staatsanwalt Dr. Zwiehl schlug
mit der Faust erregt auf den Tisch vor den Notar.
„Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen!" sagte er. „Solchen
Zauber mache ich nicht mit!" And dann ging er. Aber das wurde
so gut wie nicht bemerkt.
* *
*
Nach genau vier Wochen versammelten sich die 23 Erben
wieder in demselben saalartigen Raum. Wieder schnurrte die Kasten-
uhr und rief viermal „Kuckuck" und
einmal „Spitzbuben!" Ein Ahr. Der
Notar trat ein. Wieder zerriß Pa-
pier. Dann verlas der Notar das
Testament.
Er schloß nach längeren einleiten-
den Sätzen, die von bissigen Bemer-
kungen nur so strotzten, mit folgenden
Worten:
„Die charakterliche Auslese ist
mit dem heutigen Tage also beendet.
Denjenigen, die Charakter gezeigt
haben, soll der Lohn werden. Dem-
zufolge bestimme ich, daß nur der-
oder diejenigen zu berücksichtigen
sind, die sich geweigert haben, die
lächerliche Komödie mitzumachen.
Sollte danach kein Erbberechtigter
vorhanden sein, so fällt mein gesam-
tes Vermögen an die Gemeinde Stell-
berg."
Eine Stunde später schon saß der
Staatsanwalt Dr. Zwiehl, ein Tele-
gramm des Notars neben sich, vor
dem Schreibtisch und verfaßte ein Ge-
such um Entlassung aus dem Staats-
dienst.
lnoeer-R£,sei
„Können Sie mir die Mittelmeer - Reise
nicht für 79.80 lassen? Ich möchte mir noch für
20 Pfennig Pfefferminzplätzchen mitnehmen."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mittelmeerreise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 184.1936, Nr. 4730, S. 194
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg