Geschichten in Bündeln
Otto Strudel ist mit seiner Braut fein ausgegangen. Luise
hat die Speisekarte sehr lange studiert. Sie will etwas finden,
das sie sonst nicht bekommt. Endlich hat sie etwas: Muscheln.
Otto Strudel ist nicht recht erbaut, aber um nicht den An-
wiffenden zu spielen, bestellt er sich ebenfalls tapfer Muscheln.
Auf den Rat eines erfahrenen Obers wird dazu ein Rhein-
wein getrunken.
Plötzlich gibt es eine Bewegung im Lokal. Ein Lerr im
Cut löst sich aus dem Knäuel des Hotelpersonals und geht
auf Otto nebst Braut zu.
„Ich bin der Geschäftsführer," sagte er, „ich muß Ihne»
leider eine unangenehme Mitteilung machen."
Otto läßt Luises Land los, rückt die Krawatte zurecht und
sagt: „Bitte?"
„Ahem!" räuspert sich der Geschäftsführer, „es ist soeben
einem Gast schlecht geworden — er mußte in die Klinik ge-
schafft werden-"
„So, warum denn?"
„Tja — also, er hatte vor zwei Stunden auch Muscheln
gegessen. Das beste wird sei» — ich möchte Ihnen Vorschlägen,
daß Sie mit der Dame sofort brechen-•"
Otto ist gänzlich verdattert.
„Wie meinen Sie das? Brechen? Wir sind doch erst seit
acht Tagen verlobt."
„Die Kuß-Szene filme ich nicht, die muß mein
Double machen, mein Partner hat Zwiebeln gegessen."
„Ich weiß es totsicher, unser Weg geht links!"
„And ich schwöre, er geht rechts!"
„Ä^as sind denn das für Namensschilder an deiner Tür? Ein Ringkämpfer
und ein Iiu-Iitsumeister? Seit wann hast du denn Antermieter?"
„Labe ich nicht. Ich hänge die Schilder immer nur hin, wenn ich verreise,
und die Wohnung leer steht."
Der Schriftsteller kam zum Verleger, um sich Bescheid zu holen.
„Ihr Buch," sagte der Verleger, „ist fabelhast. Es beha».-
delt diese schwierigen Probleme von gänzlich neuen Gesichts-
punkten aus. Alle Geistigen werden es lesen."
Der Schrifsteller drückte ihm bewegt die Land.
„Sie werden also mein Buch verlegen?"
„Davon habe ich, glaube ich, nichts gesagt. Es hat kein
Publikum."
„Aber," flehte der Schriftsteller, „Sie sagten doch soeben,
alle Geistigen würden es lesen."
„Eben deshalb!" sagte der Verleger.
Ins Münchner Lofbräuhaus kam ein Fremdling. Außerdem schien
der Mann auch so etwas wie ein Salatapostel zu sein. Er war blaß
und mager und hatte einen orientalischen Fanatismus im Blick.
„Bitte, ein Glas warme Milch!" bestellte der Anbekannte.
Die Kellnerin Cenzi, die seit 25 Jahren das Service hatte, war von
diesem Ansinnen so erschlagen, daß sie stumm davonging.
Nach fünf Minuten rief der Gast mit schnarrender Stimme:
„Fräulein, wo bleibt meine Milch?"
Die Cenzi nahm sich zusammen, um nicht saugrob zu werden.
„Da müssen S' Eahna scho »o a bißl gedulden, Lerr. Mir san hier
a Bräuhaus, wissen S'. D' Milli muß i erst holen lassen, vastenga S' mi?"
Der Gast hatte wohl begriffen, daß es mit der Milch Schwierig-
keiten haben müßte.
„Na, dann bringen Sie mir inzwischen was zu lesen, Fräulein!"
Das war aber der Cenzi zu viel.
„Was zu lesen möchten S'? Dös hats bei uns no net geb'n. Aber wenn der
Lerr Schusser spuiln möcht, bis d' Milli kommt — dös wär im Los drunt, bittschön!"
Im medizinischen Examen zeigte der Anatomieprofessor dem Kandidaten
einen kleinen Knochen.
„Bitte, wollen Sie mir sagen, was das für ein Knochen ist!"
„Das ist ein Zungenbein, Lerr Professor."
„Richtig! And würden Sie sich trauen, zu entscheiden, ob es von einem
Mann oder von einer Frau stammt?"
Der Kandidat betrachtete sinnend das Zungenbein.
„Von einer Frau," sagte er. „Es ist so stark ausgebildet."
Auf der Lochzeitsrcise war es. Ehe sie abends aus dem Zug stiegen, sagte
er zu ihr: „Eins wollte ich dir noch sagen, Liebling."
„Was denn, Adolar?"
„Du mußt dich nicht wundern! Ich war immer so zerstreut."
„Was meinst du denn bloß?"
„Ach, weißt du, es könnte zum Beispiel Vorkommen, daß ich nachts im Traum
mit dir rede und statt Else was andres zu dir sage,vielleicht Lola oder Lissi oder Grete."
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Otto Strudel ist mit seiner Braut fein ausgegangen. Luise
hat die Speisekarte sehr lange studiert. Sie will etwas finden,
das sie sonst nicht bekommt. Endlich hat sie etwas: Muscheln.
Otto Strudel ist nicht recht erbaut, aber um nicht den An-
wiffenden zu spielen, bestellt er sich ebenfalls tapfer Muscheln.
Auf den Rat eines erfahrenen Obers wird dazu ein Rhein-
wein getrunken.
Plötzlich gibt es eine Bewegung im Lokal. Ein Lerr im
Cut löst sich aus dem Knäuel des Hotelpersonals und geht
auf Otto nebst Braut zu.
„Ich bin der Geschäftsführer," sagte er, „ich muß Ihne»
leider eine unangenehme Mitteilung machen."
Otto läßt Luises Land los, rückt die Krawatte zurecht und
sagt: „Bitte?"
„Ahem!" räuspert sich der Geschäftsführer, „es ist soeben
einem Gast schlecht geworden — er mußte in die Klinik ge-
schafft werden-"
„So, warum denn?"
„Tja — also, er hatte vor zwei Stunden auch Muscheln
gegessen. Das beste wird sei» — ich möchte Ihnen Vorschlägen,
daß Sie mit der Dame sofort brechen-•"
Otto ist gänzlich verdattert.
„Wie meinen Sie das? Brechen? Wir sind doch erst seit
acht Tagen verlobt."
„Die Kuß-Szene filme ich nicht, die muß mein
Double machen, mein Partner hat Zwiebeln gegessen."
„Ich weiß es totsicher, unser Weg geht links!"
„And ich schwöre, er geht rechts!"
„Ä^as sind denn das für Namensschilder an deiner Tür? Ein Ringkämpfer
und ein Iiu-Iitsumeister? Seit wann hast du denn Antermieter?"
„Labe ich nicht. Ich hänge die Schilder immer nur hin, wenn ich verreise,
und die Wohnung leer steht."
Der Schriftsteller kam zum Verleger, um sich Bescheid zu holen.
„Ihr Buch," sagte der Verleger, „ist fabelhast. Es beha».-
delt diese schwierigen Probleme von gänzlich neuen Gesichts-
punkten aus. Alle Geistigen werden es lesen."
Der Schrifsteller drückte ihm bewegt die Land.
„Sie werden also mein Buch verlegen?"
„Davon habe ich, glaube ich, nichts gesagt. Es hat kein
Publikum."
„Aber," flehte der Schriftsteller, „Sie sagten doch soeben,
alle Geistigen würden es lesen."
„Eben deshalb!" sagte der Verleger.
Ins Münchner Lofbräuhaus kam ein Fremdling. Außerdem schien
der Mann auch so etwas wie ein Salatapostel zu sein. Er war blaß
und mager und hatte einen orientalischen Fanatismus im Blick.
„Bitte, ein Glas warme Milch!" bestellte der Anbekannte.
Die Kellnerin Cenzi, die seit 25 Jahren das Service hatte, war von
diesem Ansinnen so erschlagen, daß sie stumm davonging.
Nach fünf Minuten rief der Gast mit schnarrender Stimme:
„Fräulein, wo bleibt meine Milch?"
Die Cenzi nahm sich zusammen, um nicht saugrob zu werden.
„Da müssen S' Eahna scho »o a bißl gedulden, Lerr. Mir san hier
a Bräuhaus, wissen S'. D' Milli muß i erst holen lassen, vastenga S' mi?"
Der Gast hatte wohl begriffen, daß es mit der Milch Schwierig-
keiten haben müßte.
„Na, dann bringen Sie mir inzwischen was zu lesen, Fräulein!"
Das war aber der Cenzi zu viel.
„Was zu lesen möchten S'? Dös hats bei uns no net geb'n. Aber wenn der
Lerr Schusser spuiln möcht, bis d' Milli kommt — dös wär im Los drunt, bittschön!"
Im medizinischen Examen zeigte der Anatomieprofessor dem Kandidaten
einen kleinen Knochen.
„Bitte, wollen Sie mir sagen, was das für ein Knochen ist!"
„Das ist ein Zungenbein, Lerr Professor."
„Richtig! And würden Sie sich trauen, zu entscheiden, ob es von einem
Mann oder von einer Frau stammt?"
Der Kandidat betrachtete sinnend das Zungenbein.
„Von einer Frau," sagte er. „Es ist so stark ausgebildet."
Auf der Lochzeitsrcise war es. Ehe sie abends aus dem Zug stiegen, sagte
er zu ihr: „Eins wollte ich dir noch sagen, Liebling."
„Was denn, Adolar?"
„Du mußt dich nicht wundern! Ich war immer so zerstreut."
„Was meinst du denn bloß?"
„Ach, weißt du, es könnte zum Beispiel Vorkommen, daß ich nachts im Traum
mit dir rede und statt Else was andres zu dir sage,vielleicht Lola oder Lissi oder Grete."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ich weiß es totsicher" "Die Kuß-Szene"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 184.1936, Nr. 4736, S. 293
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg