Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Patzenburg

läufig noch keine bestimmten Pläne. Aber er rächte sich, indem er
allerlei kleine Geschichten brachte von über Nacht reich gewordenen
Leuten, die dann Dummheiten anstellten und das Geld bald wieder
verloren. Diese Geschichten erschienen unter der Acberschrift: Wie
gewonnen, so zerronnen. —

Dann aber kam der Tag, an dem Äerr Johann Schnabel von
einer kurzen Reise aus der Provinzhauptstadt mit einem von einer
dortigen Bank ihm verabfolgten Scheckbuch zurückkehrte, und nun gab
es ein Ereignis: der alte John erschien beim Bürgermeister und
wünschte, die Patzenburg zu kaufen — aber sofort. Das Angebot
konnte der Stadt nur angenehm sein, doch schien ein Aufschub nötig:
die Ortsarmen mußten doch erst anderwärts untergebracht werden,
und man hatte gerade kein geeignetes Gebäude. Diesem Einwand
begegnete der Grundstückskäufer Johann Schnabel mit der über-
raschenden Erklärung, die Leute sollten selbstverständlich dort bleiben-
und da er das als Verpflichtung übernahm, war jede Schwierigkeit
behoben, und die Patzenburg ging in seinen Besitz über. Gegen Bar-
zahlung, die dem Stadtkämmerer von Poggstedt große Freude machte.

And nun begann in der Patzenburg jenes Treiben, das Pogg-
stedt ständige» Gesprächsstoff und manchen Leuten auch Grund zur
Entrüstung gab. Zunächst wurde ein Speisezimmer eingerichtet. Daß
hierzu gerade jenes Mobiliar gekauft wurde, das eigentlich für die
Aussteuer ihrer Tochter die Gattin des Amtsgerichtsdirektors Laffner
ausersehen hatte das konnte nur die Dame selbst — dem Amts-
gerichtsdirektor war es gleichgültig — die Tochter und de» Schwie-
gersohn kränken, während viele andere Leute sich darüber freuten.
Dann wurde die ganze Bewohnerschaft der Payenburg neu einge-
kleidet. Die vier alten Weiblein mußte», mit dem nötigen Gelde
ausgerüstet, selbst dafür sorge». Für jeden der sieben Männer aber
bestellte John zwei und für sich vier Anzüge beim ersten Schneider
von Poggstedt, und da dies kurz vor Pfingsten geschah, konnten
einige Poggstedter Lerren diesmal nicht ihre doch zu diesem Fest
fälligen neue» Sommeranzüge erhalten. Sie nahmen das übel und
meinten, man würde noch tolle Sachen von der Patzenburg erleben.

Dort wurde nun eine Köchin angestellt, und das kränkte de»
Wirt zum „Ordensritter", denn es war seine Köchin, die John ihm
ausmietete, eine vorzügliche Köchin, für die so schnell kein Ersatz zu
finden war. Darunter litte» auch die Gäste des „Ordensritters",
und daß man nun in der Patzenburg so gut speiste wie sonst kaum
in der Stadt, wurde auch von vielen andern Leuten als eine An-
verschämtheit angesehen. Freilich belastete man mit dieser Anver-
schämtheit nicht Johann Schnabel, der ja als Millionär zu respek-
tieren war, sondern die andern Insasse» der Patzenburg, die eigentlich
doch nur Ortsarme waren. Aber es war doch gerade John, der als
Lerr der Payenburg der Arheber dieser die Poggstedter Gesellschafts-
ordnung störenden Ausschreitungen war. Er hatte wohl auch die
Absicht dabei, herausfordernd zu beweisen, daß Schranken nieder-
geriffe» werde» könnten. Er paßte auf, und wenn einer der Pogg-
stedter Krämer etwas besonders Delikates angezeigt hatte, etwa die
damals »och schwer zu erhaltenden ersten frischen Matjesheringe
oder Aehnliches, dann ging die ganze erste Sendung nach der Payen-

burg, und andere Leute, die in Poggstedt sich sowas leisten konnten,
hatten das Nachsehen. Daß dabei sicherlich ein Zuviel waltete, und
manches gar nicht restlos in der Patzenburg verbraucht werden konnte,
gab auch jenen Leuten willkommenen Grund zur Empörung, die am
üppigen Wohlleben der Patzenburg Anstoß zu nehmen sich sonst ge-
scheut hätten, um nicht für neidisch zu gelten. Das Aergernis an
der Patzenburg wuchs.

Bald kam es noch ärger. Die Payenburg fing keine Lasen mehr
in Schlingen. O »ein — John pachtete eine Jagd, und während die
Männer aus die Jagd gingen, mußten die Weiblein sich in die Pogg-
stedter Konditorei setzen, sehr zum Mißfallen der dort ihr Kaffee-
kränzchen abhaltenden Damen. Der Stadtmusikus wurde mit seiner
Kapelle zu volkstümlichen Konzerte» nach der Patzenburg zitiert,
und einmal in der Woche wurde der Kremser des Poggstedter Fuhr-
unternehmers zu einem Ausfluge gemietet, wobei jedesmal mit großem
Spektakel zuerst in der ganzen Stadt herumgefahren wurde. And so
wird noch manches andere von jenem tollem Treiben erzählt. Er-
wähnt sei nur noch die Theatergeschichte. Einmal in jedem Winter
kam nach Poggstedt auf 14 Tage eine nicht schlechte Theatergesell'
schaft, deren Vorstellungen im Schützenhaussaale stets sehr gut be-
sucht waren, denn sonst hatte man ja das ganze Jahr über keine
Theatergenüffe in Poggstedt. Was tat John? Er mietete im voraus
zu alle» Vorstellungen die ganze erste Stuhlreihe für die Patzen-
burg. Am zweite» Abend war der Saal bis auf diese Reihe leer,
und der Direktor, dem der Zusammenhang klar gemacht worden war,
beschwor Lerrn Schnabel, ihm die Plätze wieder frei zu geben. John
war hartnäckig, hatte aber ein Einsehen: er behielt seine Plätze, be-
zahlte dem Direktor auch die übrigen, und die Poggstedter Gesell-
schaft hatte kein Theater.

Wie dann die Herrlichkeit der Patzenburg ein Ende »ahm, das
steht fest, aber es wird sich nicht mehr ermitteln laffen, ob der da-
malige Bürgermeister — er hieß Christian Danneboom — wirklich
so wohl überlegend dabei mitgewirkt hat, wie behauptet wurde. Ein
in der Provinz herumreisender Wanderzirkus kam nach Poggstedt.
Es wird erzählt, daß der Bürgermeister dabei nachgeholfen habe,
denn für Poggstedt war das Anternehmen eigentlich etwas zu groß,
und daß er auch den gerade in einer großen Klemme steckenden Zir-
kusdirektor veranlaßt habe, sich mit Jammern und Klagen und einem
Vorschläge an Johann Schnabel heranzumachen. Das mag später
erfunden worden sein; nur dies steht fest, der Zirkus zog wieder
fort und John mit ihm, aber nicht als Clown, denn dazu war er
zu klapprig geworden, sonder» als Direktor. Er hatte ihn gekauft.
Für die Bewohner der Patzenburg ließ er einen genügenden Betrag
in der Obhut der Gemeinde zurück. Sic starben dann nach und nach
fort; neue kamen nicht mehr hinzu, den» für die späteren Ortsarmen
sorgte Poggstedt in anderer Weise, was sowieso geschehen mußte,
da die Payenburg ja nicht mehr der Stadt gehörte. Sic fiel übrigens
dem Fiskus zu, als John, von dem man in Poggstedt nichts mehr
gehört hatte, einige Jahre später ohne Erben dahingegangen war.

Aber noch einmal: es sollte sich doch ein Poggstedter Chronist
finden, der die merkwürdige Geschichte der nun leider verschwundenen
Payenburg getreulich aufzcichnet.

Lei Anfragen oder Bestellungen wollen Sie sich gefl, auf die „Fliegenden Blattet“ beziehen.

9
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen