Zeichnung von M. Claus
4a VACo*»-*
„Wat, Sie wollen mir punkto Anstand belehren, Frau Schlaube?
Ick laffe mir darin von keenemMenschen belehren." —„Det merkt man!"
In Sachen: .Alster'
huldigen. Sonntagein und sonntagaus,Jahre
hindurch, wurde ein Alsterspaziergang zur
Gewohnheit: links um das Gewässer herum
und rechts herum, von der Mündung bis
zur Quelle wie umgekehrt, teils aus ge-
pflegten Parkwegen, über deren Unan-
tastbarkeit schnauzbärtige Wächter grimmig
Obacht führten, teils auf den Promenaden
erdrückender Prachtvillenstraßen, die über-
völkert waren von einem feiertäglich heraus-
geputzten Publikum... Muß ich noch sagen,
daß wir auch gelegentlich auf seetüchtigem
Alsterdampfer den großen Teich des kleinen
Mannes friedlich überquerten? Kam dann
ein schwankendes Segelboot vor unseren
Bug, dem meine Blicke allzu sehnsüchtig
folgten, als daß es unbemerkt hätte bleiben
können, so rief die Mutter warnend und
schaudernd zugleich: „Du wirst es uns doch
wohl nicht antun wollen, mein Junge, auf
so einem gefährlichen Ding zu fahren ...?"
Ich schluckte das Leulen hinunter und
wanderte hernach seufzend mit den Eltern
in nur einwandfreie bürgerliche Lokale, wo
es guten Kaffee (riesige Kuchenpakete wur-
den mitgebracht) und genußreichen Blick
über die Alster gegen angemessene Preise
einzutauscken gab. So entwickelte sich, lang-
sam aber beständig, aus einer kindlich un-
schuldsvollen Stellung der Alster gegenüber
abgrundtiefe Feindschaft.
Kaum, daß ein Sonntagmorgen (im
wahrsten Sinne des Wortes) graute, fragte
die Mutter: „Nun — und heute, Vater?"
Und der gute Vater wiegte nachdenklich
das Laupt: „Za, ich habe gedacht, wir
hätten mal und könnten ja schließlich auch
-aber es geht doch eigentlich nichts
über die engere Leimat!" — Engere Leimat
bedeutete: Alster! Bedeutete wieder mal:
Spaziergang links oder rechts herum! Und
bedeutete endlich und zuletzt: Wege, die
nur zum Gehen, nicht zum Spielen bestimmt
waren; Gitter, die nicht überklettert wer-
den durften; große Wärter, die mit dicken Knüppeln kleinen Jungens
auflauerten... ja, bedeutete und hieß und war nichts anderes als:
Geh grade. Junge! — Nimm die Füße hoch, Bengel! — Schnupf
die Nase aus, Donnerwetter nochmal! — Lörst du nicht . . . siehst
du nicht . . . kannst du den Schnabel nicht fünf Minuten halten ...?
Ach, Sie wissen und kennen das sicher alles; denn Sie sind ja
auch mal ein kleiner Jochen gewesen, der in der Nase bohrte oder,
wenn das nicht gerade, lieber Landstand machte als grade auf den
Beinen ging! Genug! Bitten, Tränen, Zähneklappern, Frechheit —
nichts von allem konnte den traditionellen Alstermarsch verhindern.
Ade für heute, geliebtes Straßenspiel und gute Freunde! Ade, Frie-
denspfeife, Männerrat und Lagerfeuer im nahen Wiesengrund, wo
die Gefährten vergeblich auf mich warten würden! Ich wurde in
einen Anzug gesteckt, dessen Lose viel zu lang über die Knie hing.
„Lalbstock" nannten es aus gebührender Entfernung die feigen Krieger
vom gegnerischen SiouxstammI Ich bekam einen Bubikragen mit
knallbunter Schleife um den Lals geschlungen, darauf der Kopf gleich
einem Korken auf der Flasche saß. „Gipsverband" schrien die Sioux-
hunde hinterher! Und ganz zuletzt erhielt mein dicker Schädel einen
Riesenstrohhut als sonntägliche Krönung, dessen Gummiband das
Kinn niederträchtig fest gegen den Oberkiefer preßte. „Brave Kinder
reden nicht so viel" — daher das Gummiband. And dann brüll-
ten mir die Memmen und Coyoten aus dem Volk der Sioux „Mondkalb I"
nach, indes ich, heulend halb und halb auch heldischer Apachen-Winne-
tou, wütend knirschte: „Wartet nur — morgen!" Das Ausrufungs-
zeichen hätte, wenn es nach mir gegangen wäre, als flammendes
Schwert am Limmel erscheinen müssen. Meine Eltern jedoch fanden
mich niedlich und versuchten, teils mit Schokoladenversprechungen,
teils mit „Kriegst ein' in Nacken!" auch „Winnetou" davon zu
überzeugen.
Es ist niemals gelungen, ihr guten Eltern! Eines Tages flog der
Strohhut heimlich in die Alster, die Lalbstockhose bekam mit Nach-
hilfestunden einen allmächtigen Riß, der Bubikragen wanderte als
Skalp an meinen Gürtel, und ich selber ergriff sonntagmorgens in
aller Frühe aus Bett und Fenster die Flucht. Das bewirkte, daß
ich ungeratener Sohn in den Augen aller anständigen Menschen be-
trächtlich an Wert, die Alster in den Augen meiner Eltern aber er-
heblich an Reiz verlor. Nur mein Alsterhaß blieb, untilgbar, bis
auf den heutigen Tag. —
Sie, der Sie auch einmal „Chingachgook" oder „Old Shatterhand"
gewesen sind, werden nun verstehen, daß die ungezählten Sonntage
aus meiner Jugendzeit, da ich um Büffeljagden und Prärie betrogen
wurde, fürchterliche Vergeltung fordern ... Werden begreifen, daß
es die Alster war, die tückisch den Lebensraum meines Jndianer-
und Trapperdaseins benagte . . .
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„Wat, Sie wollen mir punkto Anstand belehren, Frau Schlaube?
Ick laffe mir darin von keenemMenschen belehren." —„Det merkt man!"
In Sachen: .Alster'
huldigen. Sonntagein und sonntagaus,Jahre
hindurch, wurde ein Alsterspaziergang zur
Gewohnheit: links um das Gewässer herum
und rechts herum, von der Mündung bis
zur Quelle wie umgekehrt, teils aus ge-
pflegten Parkwegen, über deren Unan-
tastbarkeit schnauzbärtige Wächter grimmig
Obacht führten, teils auf den Promenaden
erdrückender Prachtvillenstraßen, die über-
völkert waren von einem feiertäglich heraus-
geputzten Publikum... Muß ich noch sagen,
daß wir auch gelegentlich auf seetüchtigem
Alsterdampfer den großen Teich des kleinen
Mannes friedlich überquerten? Kam dann
ein schwankendes Segelboot vor unseren
Bug, dem meine Blicke allzu sehnsüchtig
folgten, als daß es unbemerkt hätte bleiben
können, so rief die Mutter warnend und
schaudernd zugleich: „Du wirst es uns doch
wohl nicht antun wollen, mein Junge, auf
so einem gefährlichen Ding zu fahren ...?"
Ich schluckte das Leulen hinunter und
wanderte hernach seufzend mit den Eltern
in nur einwandfreie bürgerliche Lokale, wo
es guten Kaffee (riesige Kuchenpakete wur-
den mitgebracht) und genußreichen Blick
über die Alster gegen angemessene Preise
einzutauscken gab. So entwickelte sich, lang-
sam aber beständig, aus einer kindlich un-
schuldsvollen Stellung der Alster gegenüber
abgrundtiefe Feindschaft.
Kaum, daß ein Sonntagmorgen (im
wahrsten Sinne des Wortes) graute, fragte
die Mutter: „Nun — und heute, Vater?"
Und der gute Vater wiegte nachdenklich
das Laupt: „Za, ich habe gedacht, wir
hätten mal und könnten ja schließlich auch
-aber es geht doch eigentlich nichts
über die engere Leimat!" — Engere Leimat
bedeutete: Alster! Bedeutete wieder mal:
Spaziergang links oder rechts herum! Und
bedeutete endlich und zuletzt: Wege, die
nur zum Gehen, nicht zum Spielen bestimmt
waren; Gitter, die nicht überklettert wer-
den durften; große Wärter, die mit dicken Knüppeln kleinen Jungens
auflauerten... ja, bedeutete und hieß und war nichts anderes als:
Geh grade. Junge! — Nimm die Füße hoch, Bengel! — Schnupf
die Nase aus, Donnerwetter nochmal! — Lörst du nicht . . . siehst
du nicht . . . kannst du den Schnabel nicht fünf Minuten halten ...?
Ach, Sie wissen und kennen das sicher alles; denn Sie sind ja
auch mal ein kleiner Jochen gewesen, der in der Nase bohrte oder,
wenn das nicht gerade, lieber Landstand machte als grade auf den
Beinen ging! Genug! Bitten, Tränen, Zähneklappern, Frechheit —
nichts von allem konnte den traditionellen Alstermarsch verhindern.
Ade für heute, geliebtes Straßenspiel und gute Freunde! Ade, Frie-
denspfeife, Männerrat und Lagerfeuer im nahen Wiesengrund, wo
die Gefährten vergeblich auf mich warten würden! Ich wurde in
einen Anzug gesteckt, dessen Lose viel zu lang über die Knie hing.
„Lalbstock" nannten es aus gebührender Entfernung die feigen Krieger
vom gegnerischen SiouxstammI Ich bekam einen Bubikragen mit
knallbunter Schleife um den Lals geschlungen, darauf der Kopf gleich
einem Korken auf der Flasche saß. „Gipsverband" schrien die Sioux-
hunde hinterher! Und ganz zuletzt erhielt mein dicker Schädel einen
Riesenstrohhut als sonntägliche Krönung, dessen Gummiband das
Kinn niederträchtig fest gegen den Oberkiefer preßte. „Brave Kinder
reden nicht so viel" — daher das Gummiband. And dann brüll-
ten mir die Memmen und Coyoten aus dem Volk der Sioux „Mondkalb I"
nach, indes ich, heulend halb und halb auch heldischer Apachen-Winne-
tou, wütend knirschte: „Wartet nur — morgen!" Das Ausrufungs-
zeichen hätte, wenn es nach mir gegangen wäre, als flammendes
Schwert am Limmel erscheinen müssen. Meine Eltern jedoch fanden
mich niedlich und versuchten, teils mit Schokoladenversprechungen,
teils mit „Kriegst ein' in Nacken!" auch „Winnetou" davon zu
überzeugen.
Es ist niemals gelungen, ihr guten Eltern! Eines Tages flog der
Strohhut heimlich in die Alster, die Lalbstockhose bekam mit Nach-
hilfestunden einen allmächtigen Riß, der Bubikragen wanderte als
Skalp an meinen Gürtel, und ich selber ergriff sonntagmorgens in
aller Frühe aus Bett und Fenster die Flucht. Das bewirkte, daß
ich ungeratener Sohn in den Augen aller anständigen Menschen be-
trächtlich an Wert, die Alster in den Augen meiner Eltern aber er-
heblich an Reiz verlor. Nur mein Alsterhaß blieb, untilgbar, bis
auf den heutigen Tag. —
Sie, der Sie auch einmal „Chingachgook" oder „Old Shatterhand"
gewesen sind, werden nun verstehen, daß die ungezählten Sonntage
aus meiner Jugendzeit, da ich um Büffeljagden und Prärie betrogen
wurde, fürchterliche Vergeltung fordern ... Werden begreifen, daß
es die Alster war, die tückisch den Lebensraum meines Jndianer-
und Trapperdaseins benagte . . .
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wat, Sie wollen mir punkto Anstand belehren, Frau Schlaube?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1937
Entstehungsdatum (normiert)
1932 - 1942
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 187.1937, Nr. 4820, S. 391
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg