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Zeichnung von M. Bauer

Hannibals Kop^ Von Alfred Richter

Der Grossist Lannibal Schmidt, der gute dicke Kerl, saß an
seinem Erbsitz im Weinhaus Goldtraube und feierte Geburtstag.

Für die Goldtraube bedeutete das immer, seit vielen Jahren
schon, einen Aufruhr in Küche und Keller, der Grossist ließ etwas
draufgehen, geizig war er nicht, und mit jedem Jahr wurden der
Gäste mehr. Er bewillkommnete die geladenen und duldete großzügig
die ungeladenen. Lannibal Schmidt war ein patenter Kerl.

Für Lannibal nahmen seine Geburtstagsfeiern immer den gleichen
Verlauf. Nachmittags um fünf Ahr wurde der erste Toast ausge-
bracht. Lannibal lächelte strahlend dazu in die Runde. Bis gegen
sieben war er lebhafter als irgend einer. Dann zeigten sich die ersten
leichten Sprachstörungen. Ab neun Ahr bewältigte Lannibal nur
»och das knappe Wörtchen „Prost!" Am elf konnte er denen, die
sehr spät kamen, und die er überhaupt nicht kannte, immerhin noch
eine Verbeugung aus dem Lehnstuhl heraus machen.

Den Rest, bis die Löhne krähten, verschlief er. In diesen
letzten Stunden wuchs die Zeche ins Angemessene. Aber Lannibal
blickte am nächsten Tage, eine große Tasse wohltuende Lühnerbrühe
einnehmend wie eine Arzenei, mit schweren Lidern flüchtig auf die
Rechnung und zahlte alles. Was da! Geburtstag ist nur einmal im
Jahr, und wußte man denn, ob man im nächsten überhaupt noch lebte?

Diesmal feierte Lannibal den fünfzigsten. Es war so gut wie
ein Ortsereignis, und in den Räumen der Goldtraube wurde ein
Föhn der Freude durch einen Scirocco der Hellen Wonne abgelöst.
Lannibal schlief bereits vor elfe ein, so hatte er sich angestrengt.

Aber er sägte erst den dritte» Eichenast — da wurde er schon
wieder geweckt. Ein gräßliches Anglück war geschehen: Lannibals
Kopf war dicker geworden.

Dicker? — Ein Kürbis, ein bedrohlicher neuer Nebenmond war
er geworden, der ständig auf die unschuldige Erde — und dies mitten
in der Goldtraube — herabzufallen drohte. Alle Gäste sahen es mit
Entsetzen, und die Grabesruhe noch gar nicht aufgefundener Kata-
komben legte sich auf die Gesellschaft.

Wie kam es denn, daß man diesen ans Gebiet der Lexerei hin-
streifenden grotesken Anfall so plötzlich und vor allem so sehr spät
b.merkte?

Nun, sehr einfach! Irgend einer der fidelen Freunde hatte dem

schlafenden Lannibal den Rundhut, den er immer trug, und den
jeder kannte, auf die im Schlummern auf und abnickende Birne ge-
drückt, und da war der Lut nicht mehr ein korrekter Lut, sondern
nur noch ein lächerliches Zündhütchen, nichts anderes mehr als die
alberne Zwergkopfbedeckung eines wasserschädligen Zirkusclowns
gewesen.

Schauderhaft! Alle starrten auf die dicke rote Tomate, auf der kokett,
aber düster anklagend die viel zu kleine modische Melone balanzierte.

Man weckte Lannibal.

Die gute Seele, obgleich aus wirklich seligem Schlaf geweckt,
nahm gar nichts übel, sondern lächelte mit geschlossenen Augen in
das Vorgeläude, griff auf de» Tisch, langte sich ein Glas her — es
gehörte eigentlich Edgar Rotz — und trank es aus.

Dann freilich kam ihm die tiefe Stille zum Bewußtsein, und
nun schlug er die Augen auf. Er sah nichts als entgeisterte Gesichter,

und alle stierten sie aufseine» Kopf-„Prost!" sagte Lannibal,

denn nur dieses Wort konnte er jetzt noch formen, und faßte sich
auf die Glatze.

Dort thronte — nanu? — ein Kinderhut. Lannibal nahm ihn
herab und betrachtete ihn. Er erkannte ihn als den seinen, grinste
ihn bedudelt an und zwickte ihn sich wieder aus die glatte Billard-
kugel. Aber da merkte er, daß der Lut viel zu klein war.

Oho? Lannibal knöchelte dreimal mit dem Mittelfinger unter
den Rand der Tischplatte und zwang sich zu stammeln: „Toi, toi, toi."
Er war also schon um mehrere Grade nüchterner geworden. And nun
wollte er dem Geheimnis gänzlich auf den Grund gehen. Seine
Freunde, die alle seine Bewegungen verfolgten wie ein Fakir den
Tanz seiner Giftschlangen, ahnten, daß der unglückliche Mann, wenn
er die unheimliche Geschwulst seines Lauptes gewahr werden würde,
in lebensgefährlicher W ise erschrecken müßte, und suchten ihm den
mörderische» Lut zu entwinden. Allein nun wurde Lannibal bockig
und kämpfte erbittert um das Möbel, schlug auf die tapsenden Lände
und setzte sich den Lut nun erst recht auf.

Kaum fühlte er ihn aber auf dem Kopse, als ihm bewußt wurde,
was seiue Gäste so erregte: Der Lut war der richtige, und gepaßt
hatte er immer. Also konnte nur der Kopf angeschwollen sein.

And wie angcschwollen! Jetzt glotzte auch Lannibal. Die Augen
quollen ihm aus dem Kopfe vor Schreck und Entsetzen. Einen nach

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Bildbeschreibung

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Fliegende Blätter
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bauer, Max
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Creditline
Fliegende Blätter, 188.1938, Nr. 4823, S. 5

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