o
Der Mann mit dem dummen Gesicht
Kratzfink schaut düster vor sich hin. Er knallt seinen Lut aus den
Laken, daß er ihm beinahe ein Loch beibringt, läßt sich schwer auf
den Stuhl fallen und brüllt nach Bier und einem Schnaps.
„Was ist denn los?" erkundigt sich Zobel — durchaus nicht teil-
nahmsvoll, aber recht neugierig.
„Sechs Mark bin ich losgeworden!" knurrt Kratzfink. „Begau-
nert bin ich darum; ein Lund ist mir damit durchgegangen — ein
menschlicher Lund natürlich. Man soll wirklich keinem Menschen
Vertrauen schenken! Man wird ja doch nur betrogen."
„Sie urteilen zu hart!" sagt Zobel. „Erzählen Sie mal!"
Kratzfink kippt seinen Schnaps, stürzt die Lälfte vom Bier hin-
unter, steckt sich eine Beruhigungszigarre an und berichtet. „Ich
komme also vorhin an dem Lotteriekontor von Müller vorbei. Sie
werden wohl wissen: Ecke Grünstraße und Käfergaffe. Weil es an
der Ecke ist, hat das Geschäft zwei Eingänge: einen in der Grün-
straße und einen in der Käfergasse. Ich bleibe in der Grünstraße
stehen und sehe mir das Schau-
fenster an, wo der Lotterieplan
hängt und berichtet wird, wieviel
große Gewinne schon in diese vom
Glück sehr begünstigte Kollekte
gefallen find. Ich überlege, ob ich
mir nicht endlich auch ein Los
kaufen soll; die Ziehung der ersten
Klasse ist ja gerade übermorgen.
Alle meine Bekannten spielen in
der Klaffenlotterie, aber ich habe
mich nie dazu entschließen können.
Ich will schon hinein in den
Laden, aber dann denke ich: ,Ach
was! Lat ja doch keinen Zweck;
das Glück kommt immer nur
zu den Dummen/ Ich bin also
im Begriff, weiter zu gehn, da
kommt ein junger Mann an und
sieht sich auch das Schaufenster
an. Eine Helle Lederjacke trägt er
und eine Sportmütze, und eine
Reitpeitsche hat er — so, als
wenn er mit Reitpferden zu tun
hat. Aber das Gesicht — — ich
sage Ihnen: so etwas von däm-
licher Visage habe ich noch nie
gesehn. Unter ein Porträt von
dem Menschen könnte man glatt-
weg schreiben: Die Dummheit.
,Donner/ denke ich. ,Das ist ja
ein Wink des Schicksals/Ich hole
6 Mark heraus und sage zu dem
370
Menschen: ,Würden Sie mir einen Gefallen tun? Dann gehen Sie
doch hier hinein und kaufen Sie mir ein Viertellos zur ersten Klasse.
Ich bin ein bißchen abergläubisch und will das Los nicht selbst zieh«.
Ich werde mir dann gestatten, mich erkenntlich zu zeigen/ — ,Wird
gemacht/ sagt der Mensch, grapscht auch gleich nach den 6 Mark
und geht in den Laden. Ich sehe mir wieder den Lotterieplan an,
schaue dabei voll Loffnung in die Zukunft und warte und warte.
Der Mensch kommt nicht wieder 'raus. Ich warte noch ein paar
Minuten, aber dann scheint mir die Geschichte brenzlich, und ich
gehe selber in den Laden hinein. ,Ru brat' mir einer 'neu Storch/
denke ich, denn da sehe ich bloß einen Angestellten. Entschuldigen
Sie/ sage ich. ,War hier nicht eben ein junger Mann, der so aus-
sah, als wenn er mit Reitpferden zu tun hätte ?' — ,Ia, so einer
war eben hier/ sagt der Angestellte. ,Aber er hat bloß einen Augen-
blick in die Ziehungsliste hineingesehn und ist dann gleich wieder
'raus, zur andern Tür/ — Was sagen Sie dazu? Ist der Lund,
während ich in der Grünstraße lauere, in die Käfergasse hinaus und
getürmt. Ist das nicht eine Ge-
meinheit?"
„Ja, gemein ist das schon!"
nickt Zobel. „Aber Sie haben sich
eben geirrt: der Mensch war gar
nicht so dumm, wie er aussah.
Wissen Sie, was Sie hätten tun
müssen?"
„Run, was sollte ich da tun?
Der Schweinehund war ja längst
verschwunden; gekriegt hätte ich
ihn doch nicht mehr."
„Nee, das nicht!" meint Zobel
und grinst. „Aber Sie hätten auf
der Stelle nochmal 6 Mark her-
yeben und sich selber ein Los
ziehen sollen." — »n.
Leichtes Warten
„Du darfst die Schokolade aber erst auspacken, Lottchen, wenn
du ordentlich gefrühstückt hast. Kannst du auch so lange warten?"
„Kann ich, Onkel-ich trinke ja zum Frühstück Schokolade."
Drohung am Fernsprecher
„Wenn Sie mich noch ein
einziges Mal Lump nennen —
hänge ich ab!"
Der Bequeme
„Meinem Mann ist vom Arzt
empfohlen worden, jeden Tag
zwei Stunden Lolz zu sägen.
Aber anstrengen will er sich
nicht — da macht er halt Laub-
säge-Arbeiten!"
Der Mann mit dem dummen Gesicht
Kratzfink schaut düster vor sich hin. Er knallt seinen Lut aus den
Laken, daß er ihm beinahe ein Loch beibringt, läßt sich schwer auf
den Stuhl fallen und brüllt nach Bier und einem Schnaps.
„Was ist denn los?" erkundigt sich Zobel — durchaus nicht teil-
nahmsvoll, aber recht neugierig.
„Sechs Mark bin ich losgeworden!" knurrt Kratzfink. „Begau-
nert bin ich darum; ein Lund ist mir damit durchgegangen — ein
menschlicher Lund natürlich. Man soll wirklich keinem Menschen
Vertrauen schenken! Man wird ja doch nur betrogen."
„Sie urteilen zu hart!" sagt Zobel. „Erzählen Sie mal!"
Kratzfink kippt seinen Schnaps, stürzt die Lälfte vom Bier hin-
unter, steckt sich eine Beruhigungszigarre an und berichtet. „Ich
komme also vorhin an dem Lotteriekontor von Müller vorbei. Sie
werden wohl wissen: Ecke Grünstraße und Käfergaffe. Weil es an
der Ecke ist, hat das Geschäft zwei Eingänge: einen in der Grün-
straße und einen in der Käfergasse. Ich bleibe in der Grünstraße
stehen und sehe mir das Schau-
fenster an, wo der Lotterieplan
hängt und berichtet wird, wieviel
große Gewinne schon in diese vom
Glück sehr begünstigte Kollekte
gefallen find. Ich überlege, ob ich
mir nicht endlich auch ein Los
kaufen soll; die Ziehung der ersten
Klasse ist ja gerade übermorgen.
Alle meine Bekannten spielen in
der Klaffenlotterie, aber ich habe
mich nie dazu entschließen können.
Ich will schon hinein in den
Laden, aber dann denke ich: ,Ach
was! Lat ja doch keinen Zweck;
das Glück kommt immer nur
zu den Dummen/ Ich bin also
im Begriff, weiter zu gehn, da
kommt ein junger Mann an und
sieht sich auch das Schaufenster
an. Eine Helle Lederjacke trägt er
und eine Sportmütze, und eine
Reitpeitsche hat er — so, als
wenn er mit Reitpferden zu tun
hat. Aber das Gesicht — — ich
sage Ihnen: so etwas von däm-
licher Visage habe ich noch nie
gesehn. Unter ein Porträt von
dem Menschen könnte man glatt-
weg schreiben: Die Dummheit.
,Donner/ denke ich. ,Das ist ja
ein Wink des Schicksals/Ich hole
6 Mark heraus und sage zu dem
370
Menschen: ,Würden Sie mir einen Gefallen tun? Dann gehen Sie
doch hier hinein und kaufen Sie mir ein Viertellos zur ersten Klasse.
Ich bin ein bißchen abergläubisch und will das Los nicht selbst zieh«.
Ich werde mir dann gestatten, mich erkenntlich zu zeigen/ — ,Wird
gemacht/ sagt der Mensch, grapscht auch gleich nach den 6 Mark
und geht in den Laden. Ich sehe mir wieder den Lotterieplan an,
schaue dabei voll Loffnung in die Zukunft und warte und warte.
Der Mensch kommt nicht wieder 'raus. Ich warte noch ein paar
Minuten, aber dann scheint mir die Geschichte brenzlich, und ich
gehe selber in den Laden hinein. ,Ru brat' mir einer 'neu Storch/
denke ich, denn da sehe ich bloß einen Angestellten. Entschuldigen
Sie/ sage ich. ,War hier nicht eben ein junger Mann, der so aus-
sah, als wenn er mit Reitpferden zu tun hätte ?' — ,Ia, so einer
war eben hier/ sagt der Angestellte. ,Aber er hat bloß einen Augen-
blick in die Ziehungsliste hineingesehn und ist dann gleich wieder
'raus, zur andern Tür/ — Was sagen Sie dazu? Ist der Lund,
während ich in der Grünstraße lauere, in die Käfergasse hinaus und
getürmt. Ist das nicht eine Ge-
meinheit?"
„Ja, gemein ist das schon!"
nickt Zobel. „Aber Sie haben sich
eben geirrt: der Mensch war gar
nicht so dumm, wie er aussah.
Wissen Sie, was Sie hätten tun
müssen?"
„Run, was sollte ich da tun?
Der Schweinehund war ja längst
verschwunden; gekriegt hätte ich
ihn doch nicht mehr."
„Nee, das nicht!" meint Zobel
und grinst. „Aber Sie hätten auf
der Stelle nochmal 6 Mark her-
yeben und sich selber ein Los
ziehen sollen." — »n.
Leichtes Warten
„Du darfst die Schokolade aber erst auspacken, Lottchen, wenn
du ordentlich gefrühstückt hast. Kannst du auch so lange warten?"
„Kann ich, Onkel-ich trinke ja zum Frühstück Schokolade."
Drohung am Fernsprecher
„Wenn Sie mich noch ein
einziges Mal Lump nennen —
hänge ich ab!"
Der Bequeme
„Meinem Mann ist vom Arzt
empfohlen worden, jeden Tag
zwei Stunden Lolz zu sägen.
Aber anstrengen will er sich
nicht — da macht er halt Laub-
säge-Arbeiten!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Leichtes Warten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 188.1938, Nr. 4846, S. 370
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg