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Der Handschuh V°n Ralph urban
Kilian Zuck war ruckweise auf der Bank weitergerutscht und
hatte die Mitte erreicht. Die Bank stand in einem Park.
And auf der Bank saß außer dem jungen Mann das Glück.
Es war blond, hatte lange dunkle
Wimpern und weit ausgeschnittene
Nasenflügel. Das Glück war in
diesem Fall jedoch nicht sächlich, son-
dern ausgesprochen weiblich, worüber
schon die Linienführung keinen Zweifel
aufkommen ließ. Jedesmal, wenn Kilian
Zuck das hauchdünn bestrumpfte Bein,
das über das ebenso elegante Gegen-
stück geschlagen war, mit den Blicken
streichelte, begann sein Lerz zu klappern.
Kilian Zuck hatte kein Glück bei
Frauen, vielleicht schon deshalb, weil er
zu poetisch veranlagt war. Oder war
er zu zaghaft? Oder zu jung? Zum
Teufel, nein, Zaghaftigkeit wollte er flch
diesmal nicht vorwerfen. —
„Gnädiges Fräulein," sagte er mit
bebender Stimme, „gnädiges Fräulein,
darf ich Sie fragen, was für ein Buch
Sie lesen?"
Langsam hob die Dame die seidenen
Wimpern, langsam wandte sie das Ge-
sicht vom Buch ab und dem jungen
Mann zu, sah aus ihren blaugrauen
Märchenaugen eine Weile durch ihn
hindurch, um dann gleich wieder zu
ihrer Lektüre zurückzukehren.
Kilian Zuck stieg das Blut zu Kopf.
Da sich ihm keine Gelegenheit bot, zu
versinken, wurden seine Gedanken wü-
tend. Er sah sich als Tyrann auf dem
Thron sitzen und ihm zu Füßen lag
schluchzend und um Gnade flehend jene
junge Dame. Kilian aber blieb hart.
.Führt sie ab st sprach er zu den Lenkern
und lächelte veräcktlich.
Die junge Dame aber hatte keine
Ahnung von ihrem schrecklichen Schick-
sal und las ruhig weiter. Auch der
junge Mann blieb in seinem grimmigen
Trotz sitzen. Den Triumph sollte sie
nicht erleben, daß er jetzt aufstand und
sich beschämt davonschlich. Wie alle
Männer, wenn sie Gleichmut und
402
Aeberlegenheit vorschwindeln wollen, entzündete er sich eine Ziga-
rette. Lässig warf er das Streichholz über die Schulter, und dabei
entdeckte er etwas. Linker der Bank lag ein Landschuh. Ein bild-
schöner, blauer Wildlederhandschuh mit einer unglaublich schicken
Stulpe. Das Gegenstück lag in dem
Schoß der Dame. Kilian Zuck verstand
den Wink des Schicksals. Ganz lang-
sam glitt seine Land hinunter, ein
wenig lehnte er sich noch zurück, und
dann hatte er ihn schon. Die Dame
las ruhig weiter.
Der Tyrann wurde sanfter und be-
schloß, die Lenker mit dem Opfer zu-
rückzurufen.
„Gnädiges Fräulein!"
„Mein Lerr, Sie langweilen mich!"
unterbrach die Dame und schoß einen
wütenden Blick.
Kilian rächte sich und steckte den
Landschuh ein. Der Tyrann in ihm be-
fahl den Lenkern, das Mädchen in die
Folterkammer zu schleifen.
Nach einer Weile klappte die junge
Dame das Buch zu und stand auf.
Jetzt vermißte sie den zweiten Land-
schuh, sah unter die Bank, sah auf Kilian
Zuck, der sie diesmal keines Blickes
würdigte. Zwei Sekunden lang war er
davon überzeugt, daß sie ihn ansprechen
würde. In der dritten Sekunde jedoch
drehte sie sich um und ging davon, den
Weg zurück, den sie gekommen. Dabei
spähte sie nach allen Seiten suchend
umher. Der junge Mann wartete ab,
bis sie einen gewissen Vorsprung hatte,
dann folgte er ihr gemächlich. Wenn
sie erst alle Loffnung aufgegeben haben
würde, den Landschuh wiederzufinden,
dann würde ihr kaltes Lerz der Dank
erwärmen, sobald er ihr das Verlorene
wiederbrachte.
Kilian Zuck beschleunigte seine
Schritte, denn die Dame war um eine
Wegbiegung verschwunden. Bald aber
sah er sie wieder. Sie lehnte am Ge-
länder einer Brücke und starrte in den
Bach, der durch den Park floß. Kilian
weitete die Brust und nahm auch sonst
lFortsetzung Seit« 404)
„Warum sitzen Sie denn nie auf Ihrem schönen Balkon?"
„Ich war Souffleur und fühle mich hier unten wohler."'
Der Handschuh V°n Ralph urban
Kilian Zuck war ruckweise auf der Bank weitergerutscht und
hatte die Mitte erreicht. Die Bank stand in einem Park.
And auf der Bank saß außer dem jungen Mann das Glück.
Es war blond, hatte lange dunkle
Wimpern und weit ausgeschnittene
Nasenflügel. Das Glück war in
diesem Fall jedoch nicht sächlich, son-
dern ausgesprochen weiblich, worüber
schon die Linienführung keinen Zweifel
aufkommen ließ. Jedesmal, wenn Kilian
Zuck das hauchdünn bestrumpfte Bein,
das über das ebenso elegante Gegen-
stück geschlagen war, mit den Blicken
streichelte, begann sein Lerz zu klappern.
Kilian Zuck hatte kein Glück bei
Frauen, vielleicht schon deshalb, weil er
zu poetisch veranlagt war. Oder war
er zu zaghaft? Oder zu jung? Zum
Teufel, nein, Zaghaftigkeit wollte er flch
diesmal nicht vorwerfen. —
„Gnädiges Fräulein," sagte er mit
bebender Stimme, „gnädiges Fräulein,
darf ich Sie fragen, was für ein Buch
Sie lesen?"
Langsam hob die Dame die seidenen
Wimpern, langsam wandte sie das Ge-
sicht vom Buch ab und dem jungen
Mann zu, sah aus ihren blaugrauen
Märchenaugen eine Weile durch ihn
hindurch, um dann gleich wieder zu
ihrer Lektüre zurückzukehren.
Kilian Zuck stieg das Blut zu Kopf.
Da sich ihm keine Gelegenheit bot, zu
versinken, wurden seine Gedanken wü-
tend. Er sah sich als Tyrann auf dem
Thron sitzen und ihm zu Füßen lag
schluchzend und um Gnade flehend jene
junge Dame. Kilian aber blieb hart.
.Führt sie ab st sprach er zu den Lenkern
und lächelte veräcktlich.
Die junge Dame aber hatte keine
Ahnung von ihrem schrecklichen Schick-
sal und las ruhig weiter. Auch der
junge Mann blieb in seinem grimmigen
Trotz sitzen. Den Triumph sollte sie
nicht erleben, daß er jetzt aufstand und
sich beschämt davonschlich. Wie alle
Männer, wenn sie Gleichmut und
402
Aeberlegenheit vorschwindeln wollen, entzündete er sich eine Ziga-
rette. Lässig warf er das Streichholz über die Schulter, und dabei
entdeckte er etwas. Linker der Bank lag ein Landschuh. Ein bild-
schöner, blauer Wildlederhandschuh mit einer unglaublich schicken
Stulpe. Das Gegenstück lag in dem
Schoß der Dame. Kilian Zuck verstand
den Wink des Schicksals. Ganz lang-
sam glitt seine Land hinunter, ein
wenig lehnte er sich noch zurück, und
dann hatte er ihn schon. Die Dame
las ruhig weiter.
Der Tyrann wurde sanfter und be-
schloß, die Lenker mit dem Opfer zu-
rückzurufen.
„Gnädiges Fräulein!"
„Mein Lerr, Sie langweilen mich!"
unterbrach die Dame und schoß einen
wütenden Blick.
Kilian rächte sich und steckte den
Landschuh ein. Der Tyrann in ihm be-
fahl den Lenkern, das Mädchen in die
Folterkammer zu schleifen.
Nach einer Weile klappte die junge
Dame das Buch zu und stand auf.
Jetzt vermißte sie den zweiten Land-
schuh, sah unter die Bank, sah auf Kilian
Zuck, der sie diesmal keines Blickes
würdigte. Zwei Sekunden lang war er
davon überzeugt, daß sie ihn ansprechen
würde. In der dritten Sekunde jedoch
drehte sie sich um und ging davon, den
Weg zurück, den sie gekommen. Dabei
spähte sie nach allen Seiten suchend
umher. Der junge Mann wartete ab,
bis sie einen gewissen Vorsprung hatte,
dann folgte er ihr gemächlich. Wenn
sie erst alle Loffnung aufgegeben haben
würde, den Landschuh wiederzufinden,
dann würde ihr kaltes Lerz der Dank
erwärmen, sobald er ihr das Verlorene
wiederbrachte.
Kilian Zuck beschleunigte seine
Schritte, denn die Dame war um eine
Wegbiegung verschwunden. Bald aber
sah er sie wieder. Sie lehnte am Ge-
länder einer Brücke und starrte in den
Bach, der durch den Park floß. Kilian
weitete die Brust und nahm auch sonst
lFortsetzung Seit« 404)
„Warum sitzen Sie denn nie auf Ihrem schönen Balkon?"
„Ich war Souffleur und fühle mich hier unten wohler."'
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Warum sitzen Sie denn nie auf Ihrem schönen Balkon?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 188.1938, Nr. 4848, S. 402
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg