Jk
„Nur eine Kleinigkeit hat sich noch an dem Kleid geändert."
„So? Was denn?" — „Der Preis. Von 300 auf 400 Mark."
„Das kann ich nicht!" jammerte Fräulein Glasner und fing an,
vor Verlegenheit zu weinen.
Frau Antonie Stiebritz freute sich über diese Tränen, denn sie
schloß daraus auf eine bedeutende Innigkeit jener einstigen Bekannt-
schaft. „O, Sie können es, liebe Freundin!" rief sie und legte der
lieben Freundin die Lände auf die Schultern, aber weniger als
Freundschaftsgeste, sondern um sie nun gleich an den Schreibtisch
zu ziehen.
„So etwas kann ich nicht schreiben! Das verstehe ich gar nicht!"
stöhnte Fräulein Glasner, ratlos erst auf den Briefbogen, den Frau
Stiebritz zurechtgelegt, und dann auf den Federhalter starrend, den
diese Freundin ihr in die Land gedrückt hatte.
Aber die Mutter des bei der Regierung unterzubringenden Sohnes
hatte sich präpariert und bereits einen Briefentwurs im Kopfe. „Ich
werde Ihnen ein paar Zeilen Vorschlägen, liebe Freundin. Ob Sie
schreiben wollen: Lieber Waldemar! oder: Sehr verehrter Lerr
Regierungspräsident! — — das hängt natürlich von Ihnen ab. Ich
werde nicht indiskret sein, ich sehe nicht hin."
„Ach was, ich schreibe, was sie will, aber ich schicke den Brief
nicht ab!" dachte Fräulein Glasner, von den so peinlichen Worten
„Lieber Waldemar!" zu einem wilden Entschluß getrieben. And dann
sagte sie, gleichzeitig schreibend: „Sehr verehrter Lerr Regierungs-
präsident! -"
„Recht so, liebe Freundin! So ist es wohl besser — — er ist ja
auch längst verheiratet, darauf mutz man Rücksicht nehmen, nicht wahr?
Also: Sehr verehrter Lerr Regierungspräsident! Viele Jahre sind
vergangen, aber Sie werden an unsere einstige Bekanntschaft wohl
23
®n Empfehlungsschreiben
Aus Regierungsasiessoren werden Regierungs-
räte, aus diesen manchmal Oberregierungsräte
und aus einigen wenigen Oberregierungsräten
schließlich Regierungspräsidenten. Der einstige
^r^gierungsassessor von Brandeis hatte das er-
^icht, und er war Präsident gerade jenes Re-
gierungsbezirks geworden, zu dem, wenn auch nicht
uls eine Perle, Muggenstedt gehörte. In der
Visitenkartenschale des Fräulein Charlotte Glas-
uer lag nun die schon etwas vergilbte Karte ziem-
lich obenauf, von einem gleichgültigen Neujahrs-
kärtchen zur Lälfte verdeckt — aber so, daß der
gewichtig gewordene Name „von Brandeis" zu
sehen war.
Er wurde gesehen — von Frau Antonie Stie-
dritz, der Gattin des Brauereibesitzers Stiebritz,
der in dieser Eigenscbaft — nicht als Gatte, son-
dern als Vrauereibesitzer — Nachfolger jenes
Onkels des Fräulein Glasner war, der einst die
Muggenstedter mit Bier versorgt hatte und dabei
öu Vermögen gekommen war. Frau Stiebritz be-
trachtete sich als eine gute Bekannte des Fräulein
Glasner, erhob sich dann aber selbständig und
einseitig zu einer guten Freundin, als zwischen
dem Wissen um das Vorhandensein jener Karte
und einem eignen mütterlichen Wunsch eines Tages
!>ch eine Beziehung einstellte. Sie kam unter einem
Vorwände zu Fräulein Charlotte Glasner, saß
an dem runden Tisch in der guten Stube, sah dann,
wie zufällig abgelenkt, nach der Visitenkartenschale,
wachte aus dem Sehen ein aufmerksames Schauen
und zog dann die scheinbar von ihr jetzt zum ersten
Male erblickte Karte heraus. „Sie verzeihen, liebe
Freundin! Anser jetziger Lerr Regierungspräsi-
dent, nicht wahr?"
»3a!" sagte Fräulein Glasner. Sie sagte es
ohne Verlegenheit, denn es stimmte ja. Gloinirikoit
„And Sie haben ihn also als jungen Assessor "
gekannt, liebe Freundin?"
„Ach ja!" Das klang schon etwas verlegen,
denn wenn es auch nicht ganz falsch war, so war doch die Bekannt-
schaft ja sehr einseitig gewesen.
„Sie haben ihn wohl recht gut gekannt?" Frau Stiebritz legte
w diese Frage ein liebenswürdiges Ermuntern, mit einem offen-
herzigen Ja zu antworten, ohne Scheu zu gestehen.
„Ach, es ist so lange her-1" Fräulein Glasner errötete; sie bedauerte
jetzt, die Karte nicht ganz nach unten in die Schale gelegt zu haben.
Frau Stiebriy aber gab dem Erröten eine Deutung, die ihren Wün-
schen entsprach. „Ja ja-und nun sitzen Sie hier, liebe Freundin,
und er ist Regierungspräsident geworden. So ist das Leben!"
„So ist das Leben!" wiederholte Fräulein Glasner mechanisch.
Es tat ihr jetzt leid, die Karte nicht überhaupt ganz versteckt, irgend-
wo sicher verschlossen gehalten zu haben.
„Der Lerr Regierungspräsident wird sich dieser Bekanntschaft
gewiß noch gerne erinnern," bohrte Frau Stiebritz weiter.
„Vielleicht-* Fräulein Glasner zieh sich innerlich der Lüge.
Aber was hätte sie denn anders sagen können!
„O nein, ganz bestimmt!" ging Frau Stiebritz jetzt aus ihr Ziel
kus. „Wie könnte er das vergessen haben! Sie müssen mir einen
Gefallen tun, liebe Freundin, einen großen Gefallen. Anser Aeltester
hat doch jetzt sein Diplom als Architekt. And nun ist er aus den
Legierungs-Baumeister aus! Zur Regierungs-Bauinspektion möchte
er als Anwärter; er hat sich gemeldet, aber es werden ja noch viele
andere da sein. Den Lerrn Regierungspräsidenten geht das ja direkt
Nichts an, aber wenn er anregt, der und der möchte genommen werden
~~ — dann wird er auch genommen! Liebe Freundin: schreiben Sie
doch ein paar Zeilen an den Lerrn Regierungspräsidenten!"
„Nur eine Kleinigkeit hat sich noch an dem Kleid geändert."
„So? Was denn?" — „Der Preis. Von 300 auf 400 Mark."
„Das kann ich nicht!" jammerte Fräulein Glasner und fing an,
vor Verlegenheit zu weinen.
Frau Antonie Stiebritz freute sich über diese Tränen, denn sie
schloß daraus auf eine bedeutende Innigkeit jener einstigen Bekannt-
schaft. „O, Sie können es, liebe Freundin!" rief sie und legte der
lieben Freundin die Lände auf die Schultern, aber weniger als
Freundschaftsgeste, sondern um sie nun gleich an den Schreibtisch
zu ziehen.
„So etwas kann ich nicht schreiben! Das verstehe ich gar nicht!"
stöhnte Fräulein Glasner, ratlos erst auf den Briefbogen, den Frau
Stiebritz zurechtgelegt, und dann auf den Federhalter starrend, den
diese Freundin ihr in die Land gedrückt hatte.
Aber die Mutter des bei der Regierung unterzubringenden Sohnes
hatte sich präpariert und bereits einen Briefentwurs im Kopfe. „Ich
werde Ihnen ein paar Zeilen Vorschlägen, liebe Freundin. Ob Sie
schreiben wollen: Lieber Waldemar! oder: Sehr verehrter Lerr
Regierungspräsident! — — das hängt natürlich von Ihnen ab. Ich
werde nicht indiskret sein, ich sehe nicht hin."
„Ach was, ich schreibe, was sie will, aber ich schicke den Brief
nicht ab!" dachte Fräulein Glasner, von den so peinlichen Worten
„Lieber Waldemar!" zu einem wilden Entschluß getrieben. And dann
sagte sie, gleichzeitig schreibend: „Sehr verehrter Lerr Regierungs-
präsident! -"
„Recht so, liebe Freundin! So ist es wohl besser — — er ist ja
auch längst verheiratet, darauf mutz man Rücksicht nehmen, nicht wahr?
Also: Sehr verehrter Lerr Regierungspräsident! Viele Jahre sind
vergangen, aber Sie werden an unsere einstige Bekanntschaft wohl
23
®n Empfehlungsschreiben
Aus Regierungsasiessoren werden Regierungs-
räte, aus diesen manchmal Oberregierungsräte
und aus einigen wenigen Oberregierungsräten
schließlich Regierungspräsidenten. Der einstige
^r^gierungsassessor von Brandeis hatte das er-
^icht, und er war Präsident gerade jenes Re-
gierungsbezirks geworden, zu dem, wenn auch nicht
uls eine Perle, Muggenstedt gehörte. In der
Visitenkartenschale des Fräulein Charlotte Glas-
uer lag nun die schon etwas vergilbte Karte ziem-
lich obenauf, von einem gleichgültigen Neujahrs-
kärtchen zur Lälfte verdeckt — aber so, daß der
gewichtig gewordene Name „von Brandeis" zu
sehen war.
Er wurde gesehen — von Frau Antonie Stie-
dritz, der Gattin des Brauereibesitzers Stiebritz,
der in dieser Eigenscbaft — nicht als Gatte, son-
dern als Vrauereibesitzer — Nachfolger jenes
Onkels des Fräulein Glasner war, der einst die
Muggenstedter mit Bier versorgt hatte und dabei
öu Vermögen gekommen war. Frau Stiebritz be-
trachtete sich als eine gute Bekannte des Fräulein
Glasner, erhob sich dann aber selbständig und
einseitig zu einer guten Freundin, als zwischen
dem Wissen um das Vorhandensein jener Karte
und einem eignen mütterlichen Wunsch eines Tages
!>ch eine Beziehung einstellte. Sie kam unter einem
Vorwände zu Fräulein Charlotte Glasner, saß
an dem runden Tisch in der guten Stube, sah dann,
wie zufällig abgelenkt, nach der Visitenkartenschale,
wachte aus dem Sehen ein aufmerksames Schauen
und zog dann die scheinbar von ihr jetzt zum ersten
Male erblickte Karte heraus. „Sie verzeihen, liebe
Freundin! Anser jetziger Lerr Regierungspräsi-
dent, nicht wahr?"
»3a!" sagte Fräulein Glasner. Sie sagte es
ohne Verlegenheit, denn es stimmte ja. Gloinirikoit
„And Sie haben ihn also als jungen Assessor "
gekannt, liebe Freundin?"
„Ach ja!" Das klang schon etwas verlegen,
denn wenn es auch nicht ganz falsch war, so war doch die Bekannt-
schaft ja sehr einseitig gewesen.
„Sie haben ihn wohl recht gut gekannt?" Frau Stiebritz legte
w diese Frage ein liebenswürdiges Ermuntern, mit einem offen-
herzigen Ja zu antworten, ohne Scheu zu gestehen.
„Ach, es ist so lange her-1" Fräulein Glasner errötete; sie bedauerte
jetzt, die Karte nicht ganz nach unten in die Schale gelegt zu haben.
Frau Stiebriy aber gab dem Erröten eine Deutung, die ihren Wün-
schen entsprach. „Ja ja-und nun sitzen Sie hier, liebe Freundin,
und er ist Regierungspräsident geworden. So ist das Leben!"
„So ist das Leben!" wiederholte Fräulein Glasner mechanisch.
Es tat ihr jetzt leid, die Karte nicht überhaupt ganz versteckt, irgend-
wo sicher verschlossen gehalten zu haben.
„Der Lerr Regierungspräsident wird sich dieser Bekanntschaft
gewiß noch gerne erinnern," bohrte Frau Stiebritz weiter.
„Vielleicht-* Fräulein Glasner zieh sich innerlich der Lüge.
Aber was hätte sie denn anders sagen können!
„O nein, ganz bestimmt!" ging Frau Stiebritz jetzt aus ihr Ziel
kus. „Wie könnte er das vergessen haben! Sie müssen mir einen
Gefallen tun, liebe Freundin, einen großen Gefallen. Anser Aeltester
hat doch jetzt sein Diplom als Architekt. And nun ist er aus den
Legierungs-Baumeister aus! Zur Regierungs-Bauinspektion möchte
er als Anwärter; er hat sich gemeldet, aber es werden ja noch viele
andere da sein. Den Lerrn Regierungspräsidenten geht das ja direkt
Nichts an, aber wenn er anregt, der und der möchte genommen werden
~~ — dann wird er auch genommen! Liebe Freundin: schreiben Sie
doch ein paar Zeilen an den Lerrn Regierungspräsidenten!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kleinigkeit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4850, S. 23
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg