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Zeichnung von E. Croissant

Der

Bahnhof voller Liebe

Man sieht es ja ein, daß Liebes-
leute es manchmal schwer haben,
ungestört beisammen zu sein. Aber
daß man es deswegen gleich so
bunt treibt wie das Lenerl und
sein Eduard, das ist doch nicht
nötig. Die beiden sind halt noch
recht jung, sie gehen so an das
zwanzigste Jährchen hin. And
abends müssen beide zu Laus sein
bei den Eltern. Erst wenn der
Eduard vom Militär zurückkom-
men wird, werden ihm die männ-
lichen Freiheiten des abendlichen
Ausgehens zugebilligt werden, so
hat der Papa gesagt.

Aber wenn der Sohn oder die
Tochter nach dem Büro eine
halbe Stunde in den Anlagen spa-
zieren gehen, bevor sie heimkom-
men, haben die Eltern nichts da-
gegen. Das ist gesund. And unter-
tags braucht man nicht zu fürch-
ten, daß die jungen Leute irgend-
wen kennen lernen und in den
schönen grünen Anlagen von
ihrer schönen grünen Liebe reden.

Antertags ist es dazu in den
Anlagen zu hell.

And an den Bahnhof denken
die Eltern nicht. Wohl aber das
Lenerl und der Eduard. Das
Lenerl ist vor Vergnügen gleich
rot geworden, wie ihr der Eduard
eines Tages sagte: „Du, Lenerl,
ich weiß was," und wie er ihr
dann seinen feinen Plan ins Ohr
flüsterte.

Seitdem stehen sie jeden Nach-
mittag auf dem Bahnsteig vor
dem Berliner Schnellzug. Sie
drücken sich die Land, und der
Eduard sagt: „Nein, mein liebes
Schwester!, daß wir jetzt so lang
von einander getrennt sein sollen,"
und dann geben sie sich viele lange
Busseln. Das Wort von der
Schwester ist leider eine Lüge.

Es dient dazu, die Busseln nach
außen hin zu beschönigen. Denn
die Leute, die in den Zug ein-
steigen, schauen den beiden zu.

Das ist aber einmal ein liebens-
würdiger Bruder. Das findet man selten, daß ein Bruder so an
seiner Schwester hängt. So reden die Leute.

Wenn es Zeit ist, einzusteigen, dann kommt ein letzter, herzlicher
Abschiedskuß, und an einem Tag schwingt sich das Lenerl auf das
Trittbrett hinauf, am nächsten der Eduard. Sie haben es genau ein-
gekeilt, wer jeweils abfahren muß. Sie wechseln darin ab. Einmal
wollte der Eduard einsteigen, als das Lenerl dran war. Da hat sie
ihn bei Seite gedrückt und hat ihm ins Ohr geflüstert: „Weißt du
denn nicht, daß heute ich abfahre?" And die Leute am Abteilfenster, die
es gesehen haben, haben zueinander gesagt: „Vor lauter Schmerz wissen
die beiden nicht mehr, wer fortfährt, und wer zu Laus bleiben darf."
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Natürlich fahren fle gar nicht
fort. Sondern sie steigen ganz
leise durch zwei, drei Wagen
hindurch, klettern dort rasch
wieder aus dem Zug und ver-
lassen dann Arm in Arm den
Bahnhof.

Eines Tages aber sagte ein
Mann vom Fahrdienst, wie fle
gerade durch die Sperre wollten:
,,3m Lauf der Zeit haben Sie
jetzt schon ziemlich viel Geld für
Bahnsteigkarten ausgegeben."

Das Lenerl wurde furchtbar
rot. Der Eduard versuchte es,
die Sache von der heileren Seite
zu nehmen. „Schauen Sie," sagte
er, „auf einem Bahnhof müssen
so viele Leute ernsthaften Ab-
schied nehmen. Da wird so viel
geweint, und da gibt es so viel
Trauer. Der Bahnhof würde
mit der Zeit zu einem richtigen
Trauerhaus, wenn wir nicht ein
bißchen Glück und ein paar
erschwindelte Busseln hinein-
brächten."

Aber der Bahnbeamte blieb
ernst: „Es ist sehr freundlich, daß
Sie so viel Mitgefühl für den
Bahnhof haben, und die Eisen-
bahn dankt Ihnen auch sehr, daß
Sie jeden Tag das Geld für die
Bahnsteigkarten opfern, nur da-
mit es im Bahnhof nicht zu trau-
rig zugeht. Aber jetzt ist es ge-
nug. Der Bahnhof ist jetzt sehr
vergnügt, und ein Bahnhof voller
Liebe braucht er schließlich nicht
zu werden. Ich will Sie also nicht
Wiedersehen."

Da ging dem Eduard das Ge-
sicht aus dem Leim, und selbst
das Lenerl, von dem wir bisher
nur gehört haben, daß es rot
wurde, tat diesmal etwas anderes
und wurde blaß.

Der Eduard sagte ganz klein-
laut: „Ja, was sollen wir denn
machen? Wir haben uns doch
gern. And abends dürfen wir nicht
miteinander fortgehen. Laben Sie
denn noch nie gehört, daß man
einen Kuß in Ehren nicht ver-
wehren darf?"

And das Lenerl klagte: „Der
Berliner Zug ist gerade so prak-
tisch zwanzig Minuten nach Büroschluß fortgefahren."

Was war da zu machen? Pflicht und Gutmütigkeit kämpften um
das Lerz des Mannes vom Fahrdienst. Schließlich siegte die Gut-
mütigkeit. Auch die Männer der Eisenbahn haben trotz aller Fahr-
planstrenge, trotz aller kühnen Geschwindigkeiten und trotz aller
zusammengeballten Maschinenkraft ein einfaches menschliches Lerz,
das sich erweichen läßt.

„Auf meinen Gleisen kann ich Sie nimmer brauchen," sagte der
Mann vom Fahrdienst, „aber wenn Sie da hinüber gehen in den
Bezirk von meinem Nachbarn, dann bin ich nicht verpflichtet,

lFortsehung Sette 151)

Essen ins kalte Wasser!" — „Ich habe heute Fisch gegessen."
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das ist aber ungesund, Herr Fröhlich, gleich nach dem Essen ins kalte Wasser!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4858, S. 148

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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