Das Szegediner Gulasch
Von Alfred Ahlmann
An einem jener strahlenden Morgen,
an dem die Abenteuerfreude schon die
Argonauten beseelte, waren wir seit
Stunden im Anstieg aus einen Drei-
tausender der Oetztaler Alpen. An
einem Gletscherwasser, das schäumend
über den schmalen Pfad sprang, warfen
wir zu einer Rast unsere Rucksäcke
zwischen die Karrenfelsen und uns
stöhnend daneben.
„Ich fühle ein Saugen in der Zwerch-
fellgegend," sagte Georg, „das nicht miß-
zuverstehen ist. Gebt das Gulasch heraus,
denn kein Alpinist lebt vom Brote allein."
Kurt kramte aus seinem Rucksack
eine blinkende Büchse. Wir schauten
zärtlich auf das Etikett, das einen fett-
strotzenden Ochsen darstellte, der saftiges
Pußtagras kaute, und lasen: „Ein Kilo
prima Szegediner Paprika - Gulasch,
im eigenen Saft."
„Ich höre himmlische Musik in mei-
nem Magen!" behauptete Georg und
verdrehte die Augen. „Lob sei meiner
erstaunlichen Umsicht! Ihr seid in Inns-
bruck blind an dem großartigen Gulasch-
Schaufenster vorbeigerannt, ihr bejam-
mernswerten Landstörzer. Was würdet
ihr jetzt tun ohne meine verblüffende
Intelligenz? Ihr würdet elend verhungern!" Ein mildes Lächeln ver-
klärte sein rundes Gesicht, um das ihn ein Schauspieler, der den
heiligen Franziskus zu spielen hat, baß beneidet haben würde.
Kurt blickte abwesend auf die Büchse in seiner Land herab, ein
Schatten verdüsterte sein Gesicht, und unvermutet fragte er mich
inquisitorisch: „Wo hast du den Schlüssel?"
„Was für einen Schlüssel?" fragte ich erschreckt.
„Stell' dich nicht so dumm!" raunzte er und sah mich unsicher
an, „den Büchsenöffner natürlich!"
Ich fühlte deutlich, daß ich sehr blaß
wurde, und sagte beklommen: „Ich habe
ihn doch dir mit der Büchse gegeben,
als du partout darauf bestandest, sie
auch mal tragen zu wollen!"
Seine Farbe wechselte wie die eines
photographischen Papiers, das man
dem Tageslicht aussetzt. Lästig fuhr er
in seinen Rucksack, durchwühlte alle
Taschen, dann sagte er mit tragischer
Gebärde auf mich deutend: „Ich habe
ihn nicht, — du mußt ihn haben!"
„Wieso denn ich?" rief ich, während
ich fühlte, daß mein Rücken plötzlich
ganz kalt wurde. „Wenn ich ihn aber
doch dir gegeben habe! Ich fühle die
Büchse mit dem Schlüssel geradezu über-
deutlich in meiner Land!" demonstrierte
ich so überzeugend, daß Kurt den Blick
senkte.
Georg hatte bisher so vollkommen un-
beteiligt dagesessen, daß man ihn hätte
für einen buddhistischen Mönch halten
können, der über die heilige Silbe „Om"
uachdenkt. „Was ist denn los!" fuhr er
plötzlich auf; „sucht ihr nach einem ent-
schwundenen Glück?"
„Ja, akkurat darnach," sagte ich und
wagte ihn nicht anzusehen; „der Büch-
senöffner für das Szegediner Gulasch
ist weg."
Er sprang von seinem Felsblock auf, als hätte dieser Feuer ge-
fangen, und Kurt behauptete später sogar, Georg hätte Flammen und
Rauch aus den Nasenlöchern geschnaubt. Wenn Blicke in atmosphä-
rischen Druck umgewandelt werden könnten, — seine würden genügt
haben, das Problem der Atomzertrümmerung sehr zu vereinfachen.
Er beschuldigte uns, in gerader Linie von der Familie der Esel abzu-
stammen, und bezeichnete es als ein großes Glück, daß die Geschichte
der menschlichen Dummheit noch nicht geschrieben worden sei, denn
wir verdienten bevorzugte Erwähnung in einem besonderen Kapitel.
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.1 ui,. ""iu'/.Ii,
h'/,i if n,
Der Dämmerschoppen
„Auf d' Rächt, Frau Nachbarin, wanns duster wird, da
trink i immer a Dunkles, aber in der Früh, wann d'
Sonn' aufgeht, da schmeckt mir am besten a Lelles!"
„Ler damit!" schnaubte er mich an und riß mir
die Büchse aus der Land. „Glaubst du, daß sie sich
vor Furcht öffnen wird, weil du sie so anstierst?"
Er lächelte ironisch. „Das hat schon der Lord Birken-
head gesagt, daß niemals etwas dabei herauskommt,
wenn Gehirne zweiter Ordnung sich mit Problemen
erster Ordung abgeben."
Ich sagte, diese Kritik entbehre zwar nicht einer
gewissen Schärfe, wohl aber vermisse ich darin kon-
struktive Gedanken. Georg warf mir einen vernich-
tenden Blick zu, klappte sein großes Taschenmesser
auf und klemmte die Gulaschbüchse zwischen die Knie.
Ich wollte gerade meinen Zweifel äußern, daß es
sich hier wirklich um konstruktive Gedanken handele,
als Georg schon die Büchse weit weg schleuderte und
den Daumen in die Löhe hielt, — er hatte sich bereits
geschnitten . . . Grollend zog er sich hinter einen
Felsblock zurück, wohin ich ihm folgte, um ihm beim
Verbinden zu helfen.
„Von altersher besteht eine tiefe Kluft zwischen
denen, die etwas verstehen, und solchen, die etwas
zu verstehen glauben," hörten wir Kurt mit Be-
tonung sagen. „Die letzteren nennt man Laien, Di-
lettanten, unter Umständen auch Pfuscher."
Als ich wieder zu ihm trat, versuchte er mit einer
Schere ein Loch in die Büchse zu bohren. Ich sah
ihm eine Weile zu, bis er mit einem entsetzten Schrei
(Fortsetzung Seite 327)
324
Von Alfred Ahlmann
An einem jener strahlenden Morgen,
an dem die Abenteuerfreude schon die
Argonauten beseelte, waren wir seit
Stunden im Anstieg aus einen Drei-
tausender der Oetztaler Alpen. An
einem Gletscherwasser, das schäumend
über den schmalen Pfad sprang, warfen
wir zu einer Rast unsere Rucksäcke
zwischen die Karrenfelsen und uns
stöhnend daneben.
„Ich fühle ein Saugen in der Zwerch-
fellgegend," sagte Georg, „das nicht miß-
zuverstehen ist. Gebt das Gulasch heraus,
denn kein Alpinist lebt vom Brote allein."
Kurt kramte aus seinem Rucksack
eine blinkende Büchse. Wir schauten
zärtlich auf das Etikett, das einen fett-
strotzenden Ochsen darstellte, der saftiges
Pußtagras kaute, und lasen: „Ein Kilo
prima Szegediner Paprika - Gulasch,
im eigenen Saft."
„Ich höre himmlische Musik in mei-
nem Magen!" behauptete Georg und
verdrehte die Augen. „Lob sei meiner
erstaunlichen Umsicht! Ihr seid in Inns-
bruck blind an dem großartigen Gulasch-
Schaufenster vorbeigerannt, ihr bejam-
mernswerten Landstörzer. Was würdet
ihr jetzt tun ohne meine verblüffende
Intelligenz? Ihr würdet elend verhungern!" Ein mildes Lächeln ver-
klärte sein rundes Gesicht, um das ihn ein Schauspieler, der den
heiligen Franziskus zu spielen hat, baß beneidet haben würde.
Kurt blickte abwesend auf die Büchse in seiner Land herab, ein
Schatten verdüsterte sein Gesicht, und unvermutet fragte er mich
inquisitorisch: „Wo hast du den Schlüssel?"
„Was für einen Schlüssel?" fragte ich erschreckt.
„Stell' dich nicht so dumm!" raunzte er und sah mich unsicher
an, „den Büchsenöffner natürlich!"
Ich fühlte deutlich, daß ich sehr blaß
wurde, und sagte beklommen: „Ich habe
ihn doch dir mit der Büchse gegeben,
als du partout darauf bestandest, sie
auch mal tragen zu wollen!"
Seine Farbe wechselte wie die eines
photographischen Papiers, das man
dem Tageslicht aussetzt. Lästig fuhr er
in seinen Rucksack, durchwühlte alle
Taschen, dann sagte er mit tragischer
Gebärde auf mich deutend: „Ich habe
ihn nicht, — du mußt ihn haben!"
„Wieso denn ich?" rief ich, während
ich fühlte, daß mein Rücken plötzlich
ganz kalt wurde. „Wenn ich ihn aber
doch dir gegeben habe! Ich fühle die
Büchse mit dem Schlüssel geradezu über-
deutlich in meiner Land!" demonstrierte
ich so überzeugend, daß Kurt den Blick
senkte.
Georg hatte bisher so vollkommen un-
beteiligt dagesessen, daß man ihn hätte
für einen buddhistischen Mönch halten
können, der über die heilige Silbe „Om"
uachdenkt. „Was ist denn los!" fuhr er
plötzlich auf; „sucht ihr nach einem ent-
schwundenen Glück?"
„Ja, akkurat darnach," sagte ich und
wagte ihn nicht anzusehen; „der Büch-
senöffner für das Szegediner Gulasch
ist weg."
Er sprang von seinem Felsblock auf, als hätte dieser Feuer ge-
fangen, und Kurt behauptete später sogar, Georg hätte Flammen und
Rauch aus den Nasenlöchern geschnaubt. Wenn Blicke in atmosphä-
rischen Druck umgewandelt werden könnten, — seine würden genügt
haben, das Problem der Atomzertrümmerung sehr zu vereinfachen.
Er beschuldigte uns, in gerader Linie von der Familie der Esel abzu-
stammen, und bezeichnete es als ein großes Glück, daß die Geschichte
der menschlichen Dummheit noch nicht geschrieben worden sei, denn
wir verdienten bevorzugte Erwähnung in einem besonderen Kapitel.
",i
.1 ui,. ""iu'/.Ii,
h'/,i if n,
Der Dämmerschoppen
„Auf d' Rächt, Frau Nachbarin, wanns duster wird, da
trink i immer a Dunkles, aber in der Früh, wann d'
Sonn' aufgeht, da schmeckt mir am besten a Lelles!"
„Ler damit!" schnaubte er mich an und riß mir
die Büchse aus der Land. „Glaubst du, daß sie sich
vor Furcht öffnen wird, weil du sie so anstierst?"
Er lächelte ironisch. „Das hat schon der Lord Birken-
head gesagt, daß niemals etwas dabei herauskommt,
wenn Gehirne zweiter Ordnung sich mit Problemen
erster Ordung abgeben."
Ich sagte, diese Kritik entbehre zwar nicht einer
gewissen Schärfe, wohl aber vermisse ich darin kon-
struktive Gedanken. Georg warf mir einen vernich-
tenden Blick zu, klappte sein großes Taschenmesser
auf und klemmte die Gulaschbüchse zwischen die Knie.
Ich wollte gerade meinen Zweifel äußern, daß es
sich hier wirklich um konstruktive Gedanken handele,
als Georg schon die Büchse weit weg schleuderte und
den Daumen in die Löhe hielt, — er hatte sich bereits
geschnitten . . . Grollend zog er sich hinter einen
Felsblock zurück, wohin ich ihm folgte, um ihm beim
Verbinden zu helfen.
„Von altersher besteht eine tiefe Kluft zwischen
denen, die etwas verstehen, und solchen, die etwas
zu verstehen glauben," hörten wir Kurt mit Be-
tonung sagen. „Die letzteren nennt man Laien, Di-
lettanten, unter Umständen auch Pfuscher."
Als ich wieder zu ihm trat, versuchte er mit einer
Schere ein Loch in die Büchse zu bohren. Ich sah
ihm eine Weile zu, bis er mit einem entsetzten Schrei
(Fortsetzung Seite 327)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das ist schon mehr ein Opapa-gei." "Der Dämmerschoppen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4869, S. 324
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg